Harburg/Wilhelmsburg. Lesestoff für Nostalgiker: Das Buch „Fußballheimat Hamburg“ erzählt viele spannende Geschichten aus Harburg und Wilhelmsburg.

Der auf der Elbinsel Wilhelmsburg aufgewachsene Lehrer und Sporthistoriker Ralf Klee präsentiert zusammen mit Co-Autor Broder-Jürgen Trede 100 Orte der Erinnerung aus der „Fußballheimat Hamburg“. Einige Orte existieren noch, andere leben nur noch in den Herzen von Fußballnostalgikern fort.

 Ausführlich widmen sich die Freunde, die sich während des Sportstudiums kennenlernten, der Fußballgeschichte in Wilhelmsburg, Harburg, Eißendorf und Wilstorf, wo sich zahlreiche Traditionssportstätten befinden.

Berühmtes Spiel zwischen „Eintracht Kopftuch“ und „United Strumpfhose“

So haben sie Wilhelmsburg als eine Keimzelle des hiesigen Frauenfußballs ausgemacht. Relativ bekannt ist „die zweite Generation der Wilhelmsburger Mädchen“, wie Trede und Klee den berühmten Neujahrskick 1969 zwischen „Eintracht Kopftuch“ (Handballerinnen Viktoria Hamburg) und „United Strumpfhose“ (bestehend aus Handballerinnen von Einigkeit Wilhelmsburg) beschreiben, bei dem Handballerinnen gegen das DFB-Verbot von Frauenfußball protestierten.

Doch die beiden Spürnasen haben Quellen entdeckt, die für das Bahnhofsviertel „kickende Mädchen“ seit Ende der 1920er-Jahre belegen. Eine von ihnen, Emma Seikowski, wurde vom späteren Gauligaspieler Eberhard Voss so fies gefoult, dass sie sich den Arm brach. Dieses Ereignis bestätigte die Verbandsoberen in ihrer Ablehnung des Frauenfußballs – der sei mit der „Würde des Weibes“ unvereinbar, meinten sie 1936.

Die Super-Spürnasen der Hamburger Fußballgeschichte finden nicht nur Gefallen daran, vergessene Spiele und Anekdoten aufzuspüren, sondern auch die „Lost Places“ der Hamburger Fußballhistorie – wie den vom zuständigen Bezirksamt mittlerweile als „entbehrlich“ eingestuften Grandacker Am Turnplatz 1. Dort kickte einst der SV Jahn Wilhelmsburg, und zwar schon 1928.

Austretendes Phosgen streckte Spieler Am Turnplatz nieder

Am 20. Mai des besagten Jahres war Gut Heil Moorburg zu Gast, als während der Partie plötzlich mehrere Spieler zusammensackten und von starken Krämpfen geplagt wurden, nachdem sie den Geruch von „Heu“ wahrgenommen hatten. Fünf Akteure mussten im Krankenhaus behandelt werden.

Das war passiert: Auf dem nahe gelegenen Industrieareal Peute waren in der Chemiefabrik Stoltzenberg Phosgen ausgetreten und Richtung Kirchdorf gewabert. Die Folge davon: Nicht nur die Fußballer, auch viele weitere Anwohner trugen wegen verätzter Lungen gesundheitliche Spätfolgen davon. Nach einer Skandalserie, die den damaligen Bürgermeister Hans-Ulrich Klose Jahrzehnte später fast den Job gekostet hätte, wurde die Fabrik abgerissen und das Erdreich entseucht.

Mopsberg in Harburg galt als „Olymp der Straßenfußballer“

Positive Nachrichten sind vom Mopsberg überliefert. Der Anhöhe zwischen Altem Friedhof und Harburger Stadtpark eilt in Fußballerkreisen ein legendär Ruf voraus. Der als „Olymp der Straßenfußballer“ bezeichnete Ort war in den 1920er- und 1930er-Jahren das Mekka der Harburger Fußballkünstler. Dort trafen sich die besten der Stadt, von denen es einige sogar zur Berühmtheit brachten: Rudi Noack, Richard und Friedo Dörfel sowie Rudi Greifenberg wurden später mit dem HSV Deutscher Meister oder sogar Nationalspieler.

Techniker Rudi Noack (links) im Mai 1934 beim Vorbereitungsspiel für die WM in Italien zwischen der deutschen Nationalmannschaft und der englischen Profi-Mannschaft Derby County im Frankfurter Waldstadion.
Techniker Rudi Noack (links) im Mai 1934 beim Vorbereitungsspiel für die WM in Italien zwischen der deutschen Nationalmannschaft und der englischen Profi-Mannschaft Derby County im Frankfurter Waldstadion. © Klee-Archiv | Klee-Archiv

Auf dem Mopsberg wird noch heute gekickt. Auf dem Kunstrasen der Sportanlage Baererstraße 47 spielt mittlerweile der Harburger Türksport. Freizeitkicker treten auf dem benachbarten Bolzplatz gegen den Ball.

Phoenix-Werke produzierten Sportschuhe und Fußballblasen

Gutes Stichwort: Die Bälle zu Noacks Zeiten wurden meist mit Blasen aus Kautschuk bestückt. Und die wurden nur ein paar Steinwürfe entfernt in den Phoenix-Werken produziert. Der Harburger Konzern spezialisierte sich früh auf den wachsenden Markt der Sportartikel und fertigte Turnschuhe, Fußballstiefel, Tennisbälle und besagte Fußballblasen an. Erst in den 1980er-Jahren war bei Phoenix die Luft raus aus diesem Sortiment.

Sport-Nostalgiker mögen das bedauern, werden es aber in Anbetracht der nahezu perfekten modernen Fußbälle verkraften. Die Kunststoffkugeln verwandeln sich bei Regen nicht mehr – wie weiland die Lederkugeln – in Medizinbälle, die beim Stoß mit der Stirn Kopfschmerzen verursachten. Traurig sein dürften die Traditionalisten allerdings über das Verschwinden der heute weitgehend mit Wohnungen überbauten alten Jahnhöhe in Heimfeld.

1954 besiegte der Harburger TB den HSV mit 1:0

"Spielt die deutsche Phoenix Fußballblase!" So lautete ein Slogan der Harburger Gummiwaren-Fabrik Phoenix AG. Die Werbeplakate stammen aus dem Jahr 1929. © Klee-Archiv | Klee-Archiv

Dort kickt der Harburger TB nicht mehr in der höchsten Spielklasse vor mehreren tausend Zuschauern auf Rasen, sondern um einige Meter versetzt vor kaum mehr als hundert auf Kunstrasen. Geblieben ist ein Hauch des Vergangenen: das alte Kassenhäuschen und die wehmütige Erinnerung an das sensationelle 1:0 gegen den Hamburger SV im Februar 1954. Den Autoren gebührt Respekt, dass sie dieses Ereignis als eingefleischte HSV-Anhänger nicht verschwiegen haben.

Neben den geschilderten hat das Duo viele weitere interessante Geschichten aufgespürt. Sie erinnern an längst überbaute Plätze (Eichenhöhe in Eißendorf, Exerzierweide in Bahrenfeld, Sportplatz am Steilshooper Forsthof), berichten über den legendären Tabakladen von HSV-Ikone Heinz Spundflache in Ottensen und würdigen den Stadtpark als Mekka der Freizeitkicker, die dort bisweilen mehr als 1000 Tore schossen, die in keiner Statistik vermerkt sind.

Barkassen-Kapitän nannte sein Schiff wie seine Frau: „Peter“

Auch Skurriles ist darunter – wie die Story über den Lottogewinner „Hein Gummi“, der sich einen Fußballverein zum Amüsement kaufte. Oder die von Barkassen-Kapitän „Lutn“ Alm, der Anfang der 1950er-Jahre das Tor des FC St. Pauli hütete und seine Frau wie sein Schiff „Peter“ nannte. Kurzum: Wer Harburgs, Wilhelmsburgs und Hamburgs Fußball liebt, der verliebt sich in dieses Buch!

Ralf Klee, Broder-Jürgen Trede: Fußballheimat Hamburg. 100 Orte der Erinnerung, Hildesheim 2020, Arete Verlag, 216 Seiten, 18 Euro