Wilhelmsburg/Haiti. Hamburger Helfer kehren nach Einsatz in Haiti zurück. Holger Grinnus, Chef der Rettungshundestaffel, berichtet von der Situation vor Ort
Gleich zu Beginn kommt das Team an seine Grenzen: Ein Baby wird auf einer selbstgebauten Trage von einer Nachbarinsel geschickt. Es ist einen Tag alt und wiegt gerade einmal 1800 Gramm. Auch die Mutter schwebt in Lebensgefahr, sie ist nicht ansprechbar. Die beiden werden drei Tage lang rund um die Uhr von den Helfern versorgt, auch eine Amme lässt sich auf der Insel ausfindig machen. Schließlich befinden sich Mutter und Baby in einem stabilen Zustand und werden zur weiteren Behandlung in die Hauptstadt Haitis Port-au-Prince ausgeflogen.
Holger Grinnus ist zurück in Hamburg-Wilhelmsburg, doch die Bilder lassen ihn nicht los. Der Hamburger war Teil eines Einsatz-Teams, das nach dem katastrophalen Erbeben dem Karibikstaat zur Hilfe eilte. Dem Team gehörten Mediziner, Pflegekräfte und Sanitäter sowie ein Experte für Wasseraufbereitung und Logistiker an.
35 Freiwillige von ISAR Germany leisten humanitäre Hilfe
Nach dem Erdbeben der Stärke 7,2, das das ohnehin gebeutelte Land am 14. August hart traf, leisteten 35 Hilfskräfte von I.S.A.R. Germany und des Fachbereichs humanitäre Hilfe des Bundesverbandes Rettungshunde als Reaktion medizinische Notfallversorgung auf der Insel Les Cayemitis.
Unmittelbar nach der Meldung, dass Haiti nach dem Erdbeben von 2010 erneut schwer erschüttert wurde, war Grinnus als Vorsitzender der BRH-Rettungshundestaffel Hamburg und Harburg klar: Da könnte eine Einsatzmeldung und Hilfegesuch kommen. So kam es auch. Am 19. August startete der Charterflug nach Haiti. Neun Stunden später landete das Team in Port-au-Prince. Dort machte es Zwischenstation und organisierte die nächsten Schritte.
Weiter ging es per gechartertem Katamaran nach Les Cayemitis, ebenfalls neun Stunden Fahrzeit. Die kleine Insel liegt 200 Kilometer von der Hauptstadt und 30 Kilometer vom Epizentrum des Erdbebens entfernt. Sie hatte bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Hilfe von außerhalb erhalten.
Der Katamaran war zu groß zum Anlegen an der Insel. So musste die Ausrüstung erst einmal in kleine Ruderboote verfrachtet werden, alle packten mit an. Die Rede ist nicht von ein paar Koffern sondern elf Tonnen Fracht. Grinnus stellt klar: „Wir stellen niemals Ansprüche und nutzen niemals Ressourcen von vor Ort. Wir haben immer alles bei uns.“ Vom Treibstoff über eine Trinkwasseraufbereitungsanlage bis hin zur Toilette.
Auf Insel gab es keinen Arzt, nur eine Krankenschwester
Der Empfang sei sehr freundlich gewesen, die Gruppe konnte ihr Lager errichten und mit der Arbeit beginnen. Und die war dringend nötig. Auch mehr als eine Woche nach dem Beben gab es zahlreiche Verletzte, die noch auf eine Behandlung warteten. „Auf der ganzen Insel gab es keinen Arzt“, erklärt Grinnus. Das medizinische Personal beschränkte sich auf Maria, eine Krankenschwester.
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Es lag wohl auch an der diplomatischen Vorarbeit des örtlichen Pastors, dass die Menschen den Helfern vertrauten. Sie standen vor dem Behandlungszeit Schlange, so Grinnus. Ihr Vertrauen wurde darin gestärkt, dass den Helfern kein einziger Patient verstirbt. Am Ende behandeln sie mehr als 800 Verletzte, darunter 200 Kinder und 90 Schwangere. „Wir konnten wirklich etwas bewirken konnten“, zieht Grinnus Bilanz.
Hunde kamen für Suche in den Trümmern zu spät
Die Hauptaufgabe des pensionierten Polizisten war die Essensversorgung des Teams. Denn für die ursprünglich angedachte Suche in den Trümmern war es bei der Ankunft schon zu spät, die beiden mitgebrachten Rettungshunde fungierten daher als „Therapiehunde“. Es gab genug anderes in dem Katastrophengebiet zu tun. Um 4.55 Uhr klingelte Grinnus’ Wecker. Erste Aufgabe: Frühstück vorbereiten. Die ersten Patienten sollten schließlich schon gegen 7 Uhr versorgt werden können, bei Außentemperaturen jenseits von 35 Grad Celsius blieb die Praxis an den heißesten Stunden des Tages nur für Notfälle offen. Am späten Nachmittag nahmen die vier Ärzte die Arbeit wieder auf. Darüber hinaus half Grinnus unter anderem bei der Versorgung der Verletzten oder versuchte Kontakt nach Deutschland herzustellen: „Mal geht eine Nachricht raus, mal nicht“, erinnert er sich.
Wie dankbar man für die Hilfe aus Hamburg ist, zeigt die Begrüßung bei der Rückkehr am Flughafen. Dort wartete der haitianische Botschafter, der extra zum Empfang des Hilfsteams aus Berlin anreiste. „Er war bei seiner Rede tief bewegt“, berichtet der 62-jährige Pensionär, den die Dankesworte auch nicht kalt ließen. Noch glücklicher wäre er gewesen, wenn sie früher hätten starten können. Doch das offizielle Hilfegesuch Haitis ließ auf sich warten, andere Hilfsorganisationen konnten überhaupt nicht vor Ort sein.
Für den Hamburger ist es nicht der erste Einsatz im Ausland. Er weiß, dass die Gedanken an die Bewohner von Les Cayemitis nicht so schnell verschwinden werden. Menschen, die ein „völlig anderes Leben führen und auf völlig andere Weise glücklich sind.“ Im Team beginnen schon die Planungen für die Zukunft: Sie wollen den Kontakt zu Krankenschwester Maria aufrechterhalten, sie bestmöglich unterstützen. Auch für das ausgeflogene Baby wollen sie sich etwas überlegen. Auf Wunsch der Großmutter durften sich die Helfer einen Namen überlegen. Das kleine Mädchen heißt jetzt Isarbella.
Über die Hundestaffel:
- Die BRH – Rettungshundestaffel Hamburg und Harburg wurde 1995 als ehrenamtliche Hilfsorganisation gegründet. Ihr Zweck ist es, überall dort zu helfen, wo durch Einsatz ihrer Mittel Leben und Gesundheit von Mitmenschen erhalten und geschützt werden kann. Sämtliche Kosten für Ausrüstung und Einsätze trägt der Verein, der sich über Mitgliedsbeiträge und Spenden finanziert.
- Alarmiert wird die Hundestaffel durch Polizei, die Feuerwehr, Rettungsleitstellen oder den Katastrophenschutz. Primäres Einsatzgebiet ist die Stadt Hamburg, die Landkreise Harburg und Lüneburg sowie Teile der Landkreise Stade und dem Heidekreis, wo sie bei der Suche nach Verletzten, Vermissten oder Verschütteten helfen