Harburg. Forscher der TU Hamburgentwickeln einen Nano-Werkstoff, um Ermüdungsrisse zu reparieren. Wie das ausgezeichnete Material funktioniert

Es läuft derzeit bestens für Professor Marcus Rutner und Doktorand Jakob Brunow von der Technischen Universität Hamburg in Harburg (TUHH). Ihre Forschung an einem „Pflaster“ für marode Infrastrukturelemente wurde gerade mit dem Harburger Nachhaltigkeitspreis ausgezeichnet. Was außer einer Urkunde, die bleibt, auch einen Scheck, der ausgegeben werden kann, bedeutet – immerhin über eine Summe in Höhe von 2500 Euro.

Kaum waren die so geehrten Gelehrten an ihre Schreibtische zurückgekehrt, erreichte sie die nächste gute Nachricht: Die Hamburger Wissenschaftsbehörde hat 30.000 Euro zur Verfügung gestellt, um die vielversprechenden Forschungsergebnisse aus dem Labor in die reale Anwendung zu übertragen. „Calls for Transfer“ heißt das Förderprogramm, und der „Call“ ist nicht als Anruf, sondern als Aufruf zu verstehen.

Mit ultradünner Metallschichtung stark belastete Stahlbauteile reparieren

Die Idee des Nanolaminatpflasters: Mit einer ultradünnen Metallschichtung wollen Rutner und Brunow beispielsweise an Brücken stark belastete Stahlbauteile reparieren, bei denen erste feine Ermüdungsrisse aufgetreten sind. „Üblicherweise werden solche Brücken entweder massiv verstärkt oder komplett neu gebaut“, erklärt Rutner. „Mit unserer Methode kann man den Riss mit wenig Materialaufwand füllen und daran hindern, weiter zu wachsen. Stahlbauwerke können so um ein Vielfaches länger halten, als bislang angenommen.“

Das hochstrapazierfähige Nanolaminatpflaster ist deutlich dünner als ein menschliches Haar. Es ist deshalb so strapazierfähig, weil sich in diesen hauchdünnen Film 160 nanofeine Schichten aus Kupfer und Nickel abwechseln. Solche Laminatwerkstoffe sind den meisten am ehesten aus dem Holzbau geläufig, wo Multiplexplatten, aus dünnen Furnieren verleimt, stabiler sind als Massivholz. Die Kräfte, die auf so einen Schichtwerkstoff einwirken, werden in jeder Schicht anders abgelenkt. „Wenn sich der Riss ausbreiten will, muss er sich bei unserem Nanopflaster 160-mal einen neuen Weg suchen“, sagt Rutner.

Für den Laminateffekt sind in dem Bad zwei Metalle gelöst

Einfach aufgeklebt wird das „Pflaster“ jedoch nicht – und hier beginnen die Praxisschwierigkeiten: Das Nanolaminat wird schichtweise auf das Werkstück galvanisiert, also in einem Elektrolysebad aufgebracht, durch welches Strom fließt. Dabei ist der Stahl die negativ gepolte Kathode, die Elektronen an die Reaktion abgibt und dafür positiv geladene Metall-Ionen an sich bindet, die im Bad gelöst sind. Für den Laminateffekt sind in dem Bad zwei Metalle gelöst – Kupfer und Nickel. Über die Stromstärke können die Forscher regeln, welches Metall gerade an der Kathode gebunden wird, so galvanisieren sie die abwechselnden Schichten. Selbstverständlich bedienen sie den Stromregler nicht selbst. Dieser Prozess ist automatisiert. Schließlich ist man nicht umsonst Ingenieurwissenschaftler – man lässt pulsen.

Das Material des Pflasters legt sich nicht nur über den Riss, sondern füllt ihn auch aus. Das Laminat darüber stabilisiert die Stelle. In Laborversuchen mit genormten Werkstücken haben Rutner und Brunow herausgefunden, dass sie die Lebensdauer eines Bauteils damit um ein fünf- bis zehnfaches verlängern können. Bei einem Werkstück musste der Bruchversuch sogar unterbrochen und in der Woche darauf fortgesetzt werden, weil die Probe am Freitagabend immer noch nicht gebrochen war. Stahlbrücken sind aktuell für 100 Jahre konstruiert. Sie könnten theoretisch 500 Jahre halten – wenn alle anderen Bauteile auch mitspielen.

Verfahren soll nun vom Labor auf die Baustelle gebracht werden

Die Produktion von Stahl verursacht stolze sieben Prozent der weltweiten CO2-Emissionen. Die Lebensdauer von Stahlbauwerken zu verlängern, ist also eine wirksame Stellschraube für den Klimaschutz. Außerdem ist guter Stahl nicht billig. Wenn also das Nanolaminatpflaster-Verfahren vom Labor auf die Baustelle gebracht werden kann – und das ist eher ein „wann“-wenn, als ein „ob“-wenn – kann man damit durchaus etwas zur Rettung der Welt und der Staatskasse beitragen.

Das größte Problem bei der praktischen Umsetzung ist die Größe der Werkstücke. Man kann nicht einfach eine Elbbrücke oder gar einen Eiffelturm in ein riesiges Elektrolytbad legen. „Wir entwickeln derzeit eine Glocke, die über die Schadstelle gestülpt werden kann und dicht abschließt. Diese wird dann mit dem Elektrolyt gefüllt und der Prozess kann starten“, sagt Jakob Brunow. „Da aber jedes Bauteil eine andere Geometrie hat, muss das ein modulares System werden, dessen Aufsatzstück man je nach der Form des Werkstücks wechseln kann.“

Vor Rutner und Brunow liegt jetzt wieder einige Tüftelarbeit. Einen externen Partner haben sie bereits gefunden: Die Hamburg Port Authority (HPA) stellt einige ausgewählte Hafenbrücken für die Praxiserprobung der Modul-Glocken zur Verfügung.