Harburg. Leben in Vielfalt? Keine Straße in Harburg polarisiert wie die „Lü“. Was Bürger und Geschäftstreibende sich wünschen
Mit ihrer provokanten Anregung, die Harburger Fußgängerzone als „Little Istanbul“ für den Bezirk zu vermarkten, hat die Harburger FDP einiges an Diskussion ausgelöst. Das bekamen auch andere zu spüren, die über die Lüneburger Straße sprechen wollen, aber mit dem FDP-Vorschlag nichts zu tun haben: Harburg Marketing, der Wirtschaftsverband „Unternehmer ohne Grenzen“ und das Bezirksamt hatten ihre zwei Diskussionsrunden unter dem Titel „Fokus Lüneburger Straße“ schon lange terminiert, als die FDP kurzzeitig das Thema besetzte und ihm ihren Stempel aufdrückte.
Eines wurde vor allem bei der zweiten Diskussion am Dienstagabend klar: Von seinem Leitbild-Ziel „Zusammenleben in Vielfalt“ ist der Bezirk Harburg noch weit entfernt. Gerade viele Deutsche wollen von der Vielfalt wenig wissen und meiden die Lüneburger Straße, weil sie Berührungsängste mit „Ausländern“ haben.
Einigen ist die Lüneburger Straße „zu ausländisch“
Die Diskussionsrunden waren eigentlich geplant, um das Konzept des „Runden Tisches Lüneburger Straße“ weiterzuentwickeln und zu optimieren: Verwaltung, Wirtschaft, Hauseigentümer, Polizei und Bürger waren bereits vor der Pandemie – da noch unter der Regie des Harburger Citymanagements – zusammengekommen, um über die „Lü“ zu sprechen. Diesen Faden wollte die neue Stadtmarketing-Chefin Antonia Marmon wieder aufnehmen.
Für das Auftakttreffen dieses Neuanfangs hatte es gleich zwei Termine gegeben: Montagvormittag und Dienstagabend. Verlief der Montag noch konstruktiv, gaben am Dienstag hauptsächlich diejenigen den Ton an, denen die Lüneburger Straße „zu ausländisch“ ist.
„Die deutschen Geschäfte wurden hier doch von den Ausländern vertrieben“, behauptete eine Teilnehmerin der Veranstaltung. Bei den Geschäftsleuten mit Migrationshintergrund, die ebenfalls in großer Zahl anwesend waren, löste das Kopfschütteln aus: „Glauben sie etwa, ich wäre auf einen Deutschen Geschäftsmann losgegangen und hätte ihm befohlen zu verschwinden, weil ich dort einen Laden aufmachen will?“, fragte Türkan Sepin, die in und um die Lüneburger Straße mehrere Bekleidungsgeschäfte innehat. „Die Geschäfte, die ich übernommen habe, standen lange leer. Ich habe viel Arbeit hereingesteckt, dass sie laufen!“
„Glauben sie etwa, ich wäre auf einen Deutschen Geschäftsmann losgegangen?“
Daniel Bödeker, Quartiersmanager bei der Stadterneuerungsgesellschaft (steg) erklärte es ruhiger: „Nach der Eröffnung des Phoenixcenters und der Arcaden sind viele Filialisten aus der Lüneburger Straße dorthin gegangen oder gelockt worden“, sagte er. „Außerdem schlossen alte inhabergeführte Geschäfte, weil sie keine Nachfolger fanden. Danach begann eine jahrelange Phase, in der viele Geschäfte leer standen. Jetzt legt sich der Leerstand und das ist unter anderem der Verdienst von Unternehmern mit Migrationshintergrund.“
„Was die Lüneburger Straße wirklich braucht, ist ein ansprechender Branchenmix, dann ist es auch egal, welche Herkunft der Ladenbesitzer hat“, sagte Celal Cengiz von „Unternehmer ohne Grenzen“.
„Ach, hören sie doch auf!“, war die Antwort der Dame, die lieber an der Vertreibungstheorie festhalten wollte und nun forderte, dass mehr Geschäfte an Deutsche vermietet werden.
Zuhörerin forderte: „Mehr Geschäfte an Deutsche vermieten!“
Es gab auch konstruktive Ansätze, unter anderem was das Thema Sauberkeit und die Erweiterung des Angebots über Einzelhandel und Gastronomie hinaus, beispielsweise in den kulturellen Bereich, angeht. „Man könnte zum Beispiel die derzeit im Museum hängende Ausstellung zur Lüneburger Straße im Wandel der Zeit später auf viele Schaufenster in der Straße verteilen“, sagte Celil Cengiz, „und später mit anderen Harburg-Ausstellungen genauso verfahren.“
Für mehr Sitzgelegenheiten in der Fußgängerzone, wie sie von vielen Bürgern gefordert werden, könne man auf die bunten Recycling-Produkte eines Harburger Behindertenprojekts zurückgreifen, schlug Antonia Marmon vor. Und Apotheker Lühr Weber berichtete vom Kampf seiner Mitarbeiter gegen die Taubenproblematik: Wir haben in unseren Filialen Handfeger und Schaufel neben der Tür griffbereit“, sagt er. „Wenn wir sehen, dass jemand Taubenfutter ausstreut, fegen wir es schnell wieder auf. Das ist aufwendig, aber es wirkt. Wenn alle Geschäftsinhaber dabei mitmachen, hat es bestimmt einen guten Effekt.“ Vertreter des Bezirksamts versprachen, sich mit den Unebenheiten des Gehwegbelags und der teilweise schlechten Beleuchtung der Straße zu befassen.
Im November soll die nächste Diskussionsrunde stattfinden. „Wir freuen uns sehr über die rege Beteiligung und darüber, dass sich wirklich viele Menschen für unsere Lüneburger Straße interessieren und einsetzen“, sagt Antonia Marmon. „Wir haben einen bunten Strauß an Ideen gewinnen können und machen uns jetzt an die Arbeit, daraus Maßnahmen zu entwickeln und im nächsten Schritt in die Umsetzung gehen zu können.“