Harburg. Weil die Werkserweiterung nicht stattfindet, wird nach Meinung von Rot-Grün kein Bebauungsplan benötigt.

Industriefeindlich oder gar Industrie erhaltend? Die Harburger Bezirksversammlung hat beschlossen den Bebauungsplan, der die Erweiterung des Daimler-Werks in Bostelbek ermöglichen würde, einzustampfen, Weil die Daimler AG die Erweiterung abgesagt hat. An dem Beschluss scheiden sich die Geister mindestens so sehr, wie sie sich zuvor an der Aufstellung des Plans schieden.

Die rechten Oppositionsparteien FDP, CDU und AfD wollen den Bebauungsplan erhalten. Sie fürchten, dass ansonsten in Zukunft eine Erweiterung nicht mehr möglich ist. SPD und Grüne, die Einstellung des Verfahrens beantragt hatten, argumentieren hingegen, dass nur so eine zukünftige Erweiterung gesichert werden kann. „Rot-Grün ist schuld, wenn Daimler Harburg irgendwann ganz den Rücken kehrt“, wettert Oppositionsführer Ralf Dieter Fischer, Bezirksfraktionsvorsitzender der CDU im Harburger Rathaus.

„Sollte Daimler noch einmal erweitern wollen, brauchen wir wahrscheinlich ohnehin einen neuen Bebauungsplan“, kontert der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Richter (SPD), „und bis dahin ist die Fläche unbeplant einfacher zu sichern.“

Bereits um die Jahrtausendwende war die Daimler AG auf den Bezirk und die Stadt zugekommen und hatte beantragt, ihr Werk in Bostelbek bis an die Autobahn heran und bis zum Moorburger Landscheideweg erweitern zu können. Die Stadt kam dem Autobauer schnell entgegen und leitete die entsprechenden Bebauungspläne für Heimfeld und Moorburg in die Wege.

Moorburger Flächen wurden nicht mehr benötigt

Finalisiert wurden die beiden Bebauungspläne jedoch nie: Die seinerzeit vage angekündigte Werkserweiterung nahm jahrelang keine konkreten Formen an, auf die man den Plan hätte zuschneiden können. Erst 2019 kam die Daimler AG mit greifbaren Erweiterungsplänen erneut auf die Stadt zu. Die Moorburger Flächen – nördlich des Fürstenmoordamms – wurden nicht mehr benötigt. Auf dem Bostelbeker Stück zwischen dem bestehenden Werk und der Autobahn sollte ein „Plant Consolidation Center“ entstehen. Altmodisch ausgedrückt ist das ein klassisches Materiallager, mit dem man die Produktion auch bei Lieferengpässen stabil weiterbetreiben kann.

In der Automobilindustrie war so etwas zwischenzeitlich aus der Mode gekommen. Aus verschiedenen Gründen passten der angefangene, mittlerweile 15 Jahre alte Bebauungsplan und die neuen Daimler-Pläne nicht mehr richtig zusammen. Deshalb wurde beschlossen, den alten Plan zu beerdigen, und einen neuen aufzustellen, der auf das Plant Consolidation Center zugeschnitten ist. Reibungslos ging das nicht. Die Fläche ist Teil des Moorgürtels zwischen Geest und Elbmarsch. Naturschützer protestierten gegen die Erweiterung.

Die Harburger Bezirks-Grünen mussten sich bei ihrem Hamburger Landesverband sowie den traditionell eng mit den Grünen verwobenen Umweltverbänden harten Diskussionen stellen, weil sie wegen der Bedeutung des Werks für den Harburger Arbeitsmarkt die Erweiterung befürworteten.

Bei Daimler wird die Situation nicht dramatisch gesehen

Entsprechend anspruchsvoll waren die Umweltauflagen für die neuen Gebäude und die Ausgleichsmaßnahmen für die 20 Hektar große Fläche. Das Werk sollte klimaneutral erweitert, Dach und Fassade begrünt sowie Photovoltaikanlagen installiert werden. Der Güterverkehr sollte umweltverträglicher als heute vermehrt über die Schiene abgewickelt werden. Ein Gleis der Hafenbahn sowie Gleise der Niederelbebahn grenzen direkt ans Erweiterungsgelände an. Um den Verlust der Moorfläche auszugleichen, sollten im Harburger Osten neue geschaffen werden. Daimler sollte die Grundstückankäufe dafür tätigen. 2020 sagte Daimler die Erweiterungspläne wegen der unsicheren Entwicklung des Automobilmarkts ab, allerdings war die Mitteilung deutlich mit „vorerst“ versehen.

„Das war alles schon in trockenen Tüchern und eventuell wird es schwieriger, bei einem erneuten Bebauungsplanverfahren wieder Ausgleichsflächen zu finden“, sagt Bianca Blomenkamp, Fraktionsvorsitzende der Grünen, „aber wir haben dem Bebauungsplan nur für diese konkrete Werkserweiterung mit entsprechenden Arbeitsplatzzusagen mitgetragen.“

Ralf-Dieter Fischer hält es für fatal den gesamten Bebauungsplan wieder einzustampfen: „Es reicht doch, das Verfahren ruhen zu lassen! Wenn sich nach der Krise der Markt wieder erholt, wird Daimler sich fragen, welche Werke wachsen können“, glaubt er. „Und Werke ohne Wachstumsperspektive schließen. Das wäre das Aus für Harburg!“

Bei Daimler sieht man es nicht ganz so dramatisch: „Harburg ist und bleibt ein wichtiges Werk gerade für Zukunftstechnologien“, sagt Pressesprecherin Madeleine Herdlitschka, aber wenn wir hier neue Erweiterungspläne haben, werden sie eben nicht die alten sein. Deshalb ergibt es Sinn, dieses Planverfahren einzustellen und bei Bedarf einen neuen Bebauungsplan aufzustellen.“

Weist ein Bebauungsplan das Gelände nämlich als Gewerbegebiet aus, befürchtet Frank Richter, wird es nicht für Daimler reserviert bleiben. Der zweite Satz des Beschlusses lautet deshalb auch, dass die städtische Wirtschaftsförderung „Hamburg Invest“ das Gelände nicht weiter vermarkten soll.