Harburg. 86-Jährige musste dringend zur Toilette. Kurz darauf kontrollierten Mitarbeiter des Bezirksamtes Harburg die Kontaktdatenliste.
Ein 85 Jahre alter Mann und seine kranke Frau (86) sollen zwei Bußgelder in Höhe von insgesamt 357 Euro wegen Verstoßes gegen Corona-Regeln zahlen. Ihr Vergehen: Sie hatten sich im Backhaus Wedemann am Veritaskai nicht vollständig in die Kontaktdatenliste eingetragen, weil die demente Frau dringend zur Toilette musste.
Der Fall, über den zuerst die „Bild“-Zeitung berichtete, hatte sich schon im Juni ereignet. Die beiden alten Leute sind Stammgäste in der Filiale im Harburger Binnenhafen und bestellen oft den Mittagstisch. So auch am 1. Juni gegen 14 Uhr. Franziska Wedemann, Inhaberin des Unternehmens, ließ sich von ihren Mitarbeitern schildern, was passierte. „Beide kamen in die Filiale. Die Frau musste dringend zur Toilette. Sie haben den Mitarbeitern nur ihren Namen zugerufen, weil sie ja als Stammgäste bekannt sind“, so Wedemann.
Kontaktdatenliste: Namen wie beim Appell laut aufgerufen
Kurz darauf – die beiden alten Leute hatten sich an einen Tisch gesetzt – kamen Mitarbeiter des Bezirksamtes. Sie sollen sich die Kontaktdatenliste genommen und die Namen laut aufgerufen haben. „Wie bei einem Appell auf dem Kasernenhof hieß es von Mitarbeitern“, so Wedemann. Danach waren der 85-Jährige und seine kranke Frau „fällig“, weil ihre Kontaktdaten nicht vollständig waren. Laut Mitarbeitern sollen die beiden auch den Grund dafür genannt haben. Laut Behörde aber nicht.
Brisant: Einer der Bezirksamtsmitarbeiter, der beteiligt war, gilt als berüchtigt wegen seines Auftretens und der Pingeligkeit bei Kontrollen. Und das nicht nur bei Kontrollierten. Die im Binnenhafen zuständige Wasserschutzpolizei entschuldigte sich nach einer Kontrollaktion bei Betroffenen. Danach fand dort kein gemeinsamer Einsatz mehr statt. „So, wie der sich aufgeführt hatte, geht es überhaupt nicht“, erinnert sich ein Polizist. Das ist keine Einzelmeinung: Harburger Gastronomen hatten im Juni, einmalig in Hamburg, öffentlich gegen die rüden Umgangsformen des Mitarbeiters protestiert.
357 Euro Bußgeld: Solidarität für Ehepaar
Im Fall der beiden Senioren gibt es mittlerweile eine Welle der Solidarität. „Wir hatten Anrufe von Menschen aus ganz Deutschland, aus Düsseldorf oder Stuttgart, die das Bußgeld für die beiden alten Leute übernehmen wollen“, sagt Franziska Wedemann. „Unsere Anwältin, die auch uns vertritt, weil auch wir in der Sache ein Bußgeld bekommen haben, wird sie auch unentgeltlich in einem Widerspruchsverfahren vertreten.“
Die Betroffenen, die von einer kleinen Rente als Rohrschlosser und Reinigungskraft leben, sind gerührt, wollen aber kein Geld annehmen. Wedemann: „Sie haben gesagt, dass es lieber gespendet werden soll.“