Harburg. Vor rund zwölf Jahren fügten Sanierer der Fassade große Schäden zu. Der neue Eigentümer reagierte – die Arbeiten sind hochkomplex.
Das Fleethaus am Schellerdamm/Ecke Veritaskai ist einer der imposanten steinernen Zeitzeugen der industriellen Geschichte des Harburger Binnenhafens. Und seine Fassade am Westlichen Bahnhofskanal ein beliebtes Fotomotiv. Seit fast einem Jahr ist sie – wie inzwischen das gesamte Gebäude – eingerüstet und mit Netzen verhängt.
Im Verborgenen laufen hochkomplexe Sanierungsarbeiten. „Vor rund zwölf Jahren wurden die Fassaden unfachmännisch saniert. Das führte zu großen Schäden“, sagt Gutachter Joachim Schreiber. Damals befand sich das Denkmal noch im Eigentum des Immobilienunternehmens Pramerica Real Estate Investors (heute: PGIM Real Estate).
Gut vier Millionen Euro muss CLS in Gebäudesubstanz investieren
Seit 2015 gehört das Fleethaus, in dem einst die Harburger Mühlenbetrieb Aktiengesellschaft Getreide verarbeitete, der CLS Germany GmbH mit Sitz in Hamburg. Es bietet 5000 Quadratmeter Bürofläche und 284 Parkplätze.
2020 wurde aufgrund von sichtbaren Schäden wie abgeplatzte Ziegelstücke und Ausblühungen an den Backsteinfassaden die Bausubstanz gründlich untersucht. Mit niederschmetternden Diagnosen. CLS muss nun gut vier Millionen Euro in die Hand nehmen, um die Gebäudesubstanz denkmalschutzgerecht zu erhalten. Vor allem die nach Westen gerichtete Fassade zum Bahnhofskanal musste stark überarbeitet werden.
Das Mauerwerk ist im unteren Bereich stark versalzen
In das Mauerwerk war über viele Jahre so viel Wasser eingedrungen, dass es, gerade im unteren Bereich, stark versalzen ist. So stark, dass das Gemäuer – wie Speisesalz im Streuer – seinerseits Wasser anzieht. Dieses Problem ist technisch nicht vollständig zu beseitigen.
„Wir haben im unteren Bereich fast alle Ziegelsteine ausbauen und durch neue ersetzen müssen“, sagt Schreiber. Der Sachverständige für Backsteinfassaden ist von der Stadt beauftragt, die Sanierungsarbeiten am Industriedenkmal zu betreuen. „Manche Steine saßen so locker, dass sie mit der Hand herausgenommen werden konnten.“ Am gesamten Gebäude mussten 30.000 Steine ausgetauscht werden. Auf einer Fläche von insgesamt 200 Quadratmetern blieb kein einziger Ziegelstein an seinem Platz. Dort wurde das Verblendmauerwerk komplett entfernt. Speziell im oberen Bereich der zum Kanal gewandten Fabrikfassade.
Die Ziegel stellt in Norddeutschland nur noch ein Werk in Drochtersen her
„Oben ist die Außenwand besonders dünn“, sagt Schreiber. „Sie hat nur eine Dicke von 24 Zentimetern. Als die maroden Verblendsteine abgenommen worden waren, blieben nur zwölf Zentimeter übrig – das ist statisch eine Katastrophe.“ Ein neues Verblendmauerwerk aus Ringofenziegeln im Hamburger Format, die in Norddeutschland nur noch das Klinkerwerk Rusch in Drochtersen (Landkreis Stade) brennen kann, wurde vor die historische Wand gemauert. Mit gut einem Zentimeter Abstand.
Den Spalt füllt eine sogenannte Bohrlochsuspension, ein mineralischer Mörtel, der die alte und die neue Wand miteinander verklebt und die historische Bausubstanz vor Feuchtigkeit schützt. Um das Gemäuer statisch zu stabilisieren, wurde zudem in jede dritte Fuge der neuen Wand eine Stahlverstärkung eingebaut.
Auch sämtliche Fensterstürze waren brüchig und mussten erneuert werden
Im unteren Bereich der Fassade bekämpfen nun horizontale Wassersperren die aufsteigende Feuchtigkeit: Das Mauerwerk wurde mit Heizstäben auf 100 Grad erhitzt und somit getrocknet. Dann wurde flüssiges Paraffin injiziert, das sich im warmen Mauerwerk horizontal ausbreitete. Auch sämtliche Fensterstürze waren brüchig und mussten erneuert werden. Die Holzfenster selbst sind unfachmännisch montiert worden – bei einem Großteil ist das Holz so stark verrottet, dass auch sie in den nächsten Monaten ersetzt werden.
Ende des Jahres sollen die Sanierungsarbeiten abgeschlossen sein. Polier Peter Krüger hofft, dass die Fenster bis Ende September montiert sind, so dass die sanierten Fassaden dann wieder öffentlich sichtbar werden.
Die neuen Steine müssen sich erst noch angleichen – ihnen fehlt die Patina
An einigen Stellen werden die neuen Steine wie Fremdkörper wirken, weil ihnen noch die Patina fehlt. Sie werden sich nach und nach an den Bestand angleichen. Manche Fensterbögen und Verzierungen sind aus gelbem Sandstein und heben sich deutlich vom roten Backstein ab. Hier wurde der Originalzustand wieder hergestellt. Das gilt auch für die Zierkeramik mit den Getreideähren über dem aus dem 1920er-Jahren stammenden Eingangsportal am Schellerdamm. „Die Keramik wird gerade gebrannt und 1:1 wieder angebracht“, sagt Schreiber.
Ein anderes Kunstwerk wird dagegen nicht wieder zu sehen sein: die Bildinstallation des Künstlers Werner Krömeke, die die historische Beladung des damaligen Speichers mit Getreidesäcken zeigt. Das sechs Meter breite „Fenster der Geschichte“ aus Aluverbundplatten hatte Krömeke 2016 installiert. Unten sind Hafenarbeiter im Boot zu sehen, weiter oben Arbeiter in den Speicherböden, die die hochgehievten Säcke annehmen. Das mehrteilige Fassadenbild ist 18 Meter hoch und wurde für die Sanierungsarbeiten demontiert. Nun steht es in der Parkgarage im Fleethaus.
Ein Kunstwerk gehört zu den Opfern der Sanierung
Eigentlich war geplant, die Schwarz-Weiß-Illustration der vergangenen Hafenwelt nach Abschluss der Arbeiten wieder zu installieren. Doch die marode Fassade lasse dies nicht zu, sagt Schreiber: „Aus technischer Sicht würden wir am liebsten überhaupt nichts an der Fassade anbringen. Denn jede Befestigung ist eine Schwachstelle, durch die potenziell Wasser ins Mauerwerk eindringen kann. Wir haben mit dem Denkmalamt jedoch einen Kompromiss geschlossen und werden nun die abmontierten Originalteile wieder anbringen. Mit einem speziellen Befestigungsverfahren.“ Zu ihnen zählen Rollen von Seilzügen, Festmacheringe oberhalb der Wasserkante, Eisengitter vor Speicherböden und die Achse einer Lore. Krömekes großflächiges Hafenbild sei sehr windanfällig und müsste stark befestigt werden, so Schreiber. Das sei dem angegriffenen Mauerwerk nicht zuzumuten.
Dass sein Kunstwerk endgültig nicht mehr installiert werden wird, hat Werner Krömeke vom Abendblatt erfahren. „Das ist eine Katastrophe“, ist seine erste Reaktion. „Das Bild ist originell und hat viele Passanten interessiert. Es wurde viel fotografiert und hat niemanden gestört.“ Gegenüber vom Fleethaus ist am Westlichen Bahnhofskanal gerade eine Kaimauer saniert worden. Sie liegt am südlichen Kanalplatz (derzeit ebenfalls eine Baustelle) und ist städtisches Eigentum. Vielleicht könnte zumindest das großflächige untere Bild, das Hafenarbeiter in einer Schute sowie ein Säckebündel zeigt, dort einen neuen Platz finden, hofft Krömeke.