Harburg. Vier Fraunhofer-Institute wollen Hamburgs Wirtschaft helfen, Quantencomputer zu nutzen. Der Steuermann sitzt im Harburger Binnenhafen.
Sie bilden eine neue Generation von Rechnern, die noch in den Kinderschuhen steckt: Quantencomputer funktionieren komplett anders als herkömmliche Computer und sind ihnen potenziell haushoch überlegen: Rechnungen, für die heutige Hochleistungsanlagen Jahre bräuchten, können in kürzester Zeit durchgeführt werden. Daraus ergeben sich für Unternehmen vielfältige Chancen, die es zu erschließen gilt. Ein Netzwerk von vier Einrichtungen der Fraunhofer-Gesellschaft möchte helfen, das Quantencomputing für die Hamburger Wirtschaft nutzbar zu machen. Koordiniert wird es von seinem Initiator Prof. Carlos Jahn, Leiter des Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) im Harburger Binnenhafen.
„Im CML haben wir uns sehr früh mit dem Quantencomputing befasst“, sagt Jahn. „Deshalb sind wir etwas weiter als unsere Kollegen in den anderen Instituten.“ Die Supercomputer könnten zum Beispiel den Containerfluss in Häfen optimieren oder dafür sorgen, dass Lkw genau dann eintreffen, wenn sie gebraucht werden – zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort in richtiger Reihenfolge.
Routenplanung in der Schifffahrt kann von den neuen Superhirnen profitieren
Auch die bereits digitalisierte Routenplanung in der Schifffahrt kann von den neuen Superhirnen profitieren. Sie können veränderte Wetterbedingungen, Ladungszustände und andere Parameter schneller zum idealen Weg umrechnen und dabei mehr Details, etwa Schiffseigenschaften wie Antrieb, Rumpfform und Seegangsverhalten, berücksichtigen. Ein anderes potenzielles Einsatzfeld ist das Flottenmanagement von Reedereien.
Drei weitere Fraunhofer-Institute mit Sitz in Hamburg bilden zusammen mit dem CML das virtuelle Anwendungszentrum für Quantencomputing namens Fraunhofer IQHH. Mit im Boot sitzt das Fraunhofer ITMP, das innovative Wege zur Früherkennung, Diagnose und Therapie bei Störungen des Immunsystems erforscht und entwickelt. Hier ließen sich mit den Rechenleistungen von Quantencomputern beispielsweise bei Studien zur Prognose der Wirksamkeit von Medikamenten zeitliche Abfolgen darstellen.
Beim Fraunhofer IATP in Bergedorf geht es um hochtechnischen 3D-Druck, der beispielsweise komplexe metallische Strukturen produzieren kann. Mit einem Quantencomputer lassen sich die Druckprozesse in kurzer (Rechen-)Zeit vorab simulieren, um den besten Weg zu finden, wie sich das jeweilige Material aufbringen lässt. Der Vierte im Bunde, das Fraunhofer-Institut für Angewandte Polymerforschung (IAP), entwickelt beispielsweise Katalysatoren, die in der Wasserstoffwirtschaft angewendet werden.
Wirtschaft helfen, sich auf das Zeitalter der Quantentechnologie einzustellen
„Wir wollen der Wirtschaft helfen, sich auf das Zeitalter der Quantentechnologie einzustellen“, sagt Jahn. Dabei suchen die Fraunhofer-Forscher Kontakt zu großen Hamburger Unternehmen und bieten ihnen an, gemeinsam herauszufinden, in welchen Bereichen, bei welchen Problemlösungen der (kostspielige) Einsatz eines Quantencomputers in Frage käme. Sind solche Fragestellungen gefunden, helfen die Spezialisten des IQHH, Probleme mathematisch Quantencomputer-gerecht zu beschreiben. Sie entwickeln Rechenmodelle, die von den Superhirnen bearbeitet werden können. Das CML sei gerade mit einer Reederei konkret im Gespräch.
Große Autohersteller und die Chemieindustrie beschäftigen sich intensiv damit, setzen die Technik sogar schon für einzelne, spezielle Anwendungen ein, so Jahn. „Wir wollen nicht warten, bis das Quantencomputing weit entwickelt ist, sondern schon jetzt, in einem frühen Stadium, die Anwendungen mitentwickeln. Das schafft Wettbewerbsvorteile für die Wirtschaft in der Metropolregion Hamburg.“ Dabei arbeiten die Mitglieder des IQHH in Themenbereichen, deren Branchen in der Region stark vertreten sind.
Bislang gibt es auf der Welt erst 20 Quantencomputer
Bislang gebe es auf der Welt 20 Quantencomputer, so Jahn. Ein einziger stehe in Deutschland, bei IBM am Hauptsitz in Ehningen südwestlich von Stuttgart. „Bei den Rechnern haben die Betreiber Zugriff auf die verarbeiteten Daten. Viele Unternehmen haben damit Probleme. Beim Rechner in Deutschland gilt der deutsche Datenschutz. Fraunhofer hat bei IBM Rechenzeit gebucht. Das kostet uns viel Geld, aber die Daten verlassen das Land nicht.“ Die Fraunhofer Gesellschaft ist Deutschlands größte Forschungsgemeinschaft, mit gut 30.000 Mitarbeitern in rund 80 über das Land verteilten Instituten und Forschungseinrichtungen.
Die aktuellen Quantenrechner „können noch nicht so viel“, sagt der CML-Chef: „Sie können nur kleine Probleme, nur Teilbereiche rechnen. Aber dort sieht man ihr Potenzial im schnellen Rechnen.“ Vielerorts machen Forscher und Unternehmen einen Zwischenschritt in die Welt der Quantenmechanik: Sie nutzen sogenannte Quanten-Annealer. Diese arbeiten nach dem Prinzip des Quantencomputers, simulieren seine Art zu rechnen. Und sind dadurch deutlich schneller als andere herkömmliche Rechner.
Die Quantentechnologie wird die weiteren Entwicklungen in Wissenschaft und Wirtschaft maßgeblich prägen, davon sind die Fraunhofer-Forscher überzeugt. Doch dafür braucht es Spezialisten auf diesem Gebiet, und die sind weltweit rar. Das CML habe einige dieser Spezialisten engagieren können, freut sich Jahn. Und die Zusammenarbeit mit den anderen Instituten mache das IQHH besonders flexibel bei der Bearbeitung von Aufträgen. „Damit sind wir der ideale Partner, um Unternehmen aus vielen Bereichen der Wirtschaft bei der Einführung dieser neuen Technologie zu unterstützen.“
Ende August 2022 weihte das Fraunhofer-Center für Maritime Logistik und Dienstleistungen (CML) sein neues Forschungsgebäude im Harburger Binnenhafen feierlich ein. Zuvor war es in der Technischen Universität Hamburg untergebracht, doch das Raumangebot an der TUHH konnte mit dem Wachstum des Centers nicht mithalten.
Der Einzug in das markante siebenstöckige Backsteingebäude am Lotsekai sei weitgehend abgeschlossen, sagt CML-Chef Prof. Carlos Jahn. Es fehle nur noch etwas Laborausstattung. 100 Arbeitsplätze seien hier entstanden.
60 Mitarbeiter hat das CML; hinzu kommen 40 bis 50 studentische Hilfskräfte. Es gibt eine Home-Office-Regelung, so dass nie alle vor Ort sind. So ist es möglich, die Zahl der Angestellten weiter zu erhöhen, auf 80 bis 85. Sie werden, bis auf wenige Ausnahmen, keine festen Büros haben.
Auf dem Wasser wird sich in den kommenden Monaten noch einiges tun: An der Kaikante des Kaufhauskanals bekommen die Forscher einen Ponton, um Boote und andere schwimmende Testobjekte zu Wasser lassen zu können, etwa für Probefahrten im Arbeitsbereich der autonomen Schifffahrt oder zum Müllsammeln auf See im Rahmen des Projekts SeaClear2.0.
Kleine Fahrzeuge, etwa ein fünf Meter langer Katamaran als Forschungsplattform, werden schon in diesem Sommer über den Lotsekanal schippern. In zwei Jahren soll ein etwa 20 Meter großes Forschungsschiff folgen. „Wir suchen noch nach einem geeigneten Schiff und würden es notfalls auch bauen lassen“, sagt Jahn.