Wilstorf. Eine Wilstorfer Klempnerei erledigt Aufträge nun auch per Lastenrad. Welche Gründe dafür sprechen und was die Kunden sagen.
Es gibt nicht viele Fahrradfahrer, die immer Werkzeug dabei haben. Birger Heynlein ist aber so einer. Es wäre auch witzlos, wenn nicht, denn Birger Heynleins Fahrrad ist sein Arbeitsfahrzeug und Birger Heynlein ist Klempner – außerdem ist er mit der großen roten Ladebox auf seinem schwarzen Lastenrad ein echter Hingucker auf Harburgs Straßen, denn außer bei Postboten und Hipster-Eltern sind Lastenräder im Hamburger Süden noch eher selten. Handwerker auf dem Fahrrad hat man hier seit Jahrzehnten nicht mehr gesehen, und selbst in den stärker Öko-orientierten Vierteln nördlich der Elbbrücken setzen noch nicht allzu viele Handwerksbetriebe auf die neue Mobilität.
Heynleins Arbeitgeber, die Wilstorfer „Klempnerei Erich Svensson GmbH“ schon und zwar aus ganz praktischen Erwägungen. „Wir haben sehr viele Aufträge im Nahbereich rund um die Firma“, sagt Chef und Inhaber Ole Svensson. „Da ist das Lastenrad für die kleineren Arbeiten praktisch. Oft sogar praktischer, als der Lieferwagen.“
Was er braucht, hat Heynlein in große Papiertüten gepackt – die kippen nicht so leicht
Autos hat die Klempnerei auch immer noch eine gute Handvoll. Das Lastenrad gibt es nur einmal. „Der Chef will auch immer mal damit fahren“, sagt Birger Heynlein, „aber meistens bin ich ja damit unterwegs.“
Der Tag beginnt für Heynlein, wie für alle anderen in der Firma: Kurze Besprechung, was anliegt, Material und Werkzeug zusammenstellen, einladen und losfahren. Nur, dass Birger Heynlein eben kein Auto belädt. Drei Kunden hat er heute. Es ist Freitag, früh Feierabend. Sonst hat er auch mal mehr Kunden anzufahren. Was er für die einzelnen braucht, hat Heynlein in großen Papiertüten konfektioniert. Die kippen in der roten Cargo-Box nicht so leicht durcheinander, wie etwa Kartons oder Eimer.
Auf dem Schiebedeckel der Box ist eine Klappleiter festgeschnallt
Außerdem befindet sich ein großer Werkzeugkoffer in der Box, Messgeräte für Heizungsanlagen, ein Staubsauger und einiges schweres Werkzeug, wie Hammer und Meißel, in einem Eimer. Muffen, Schellen, Klöterkram liegen in einem anderen. Auf dem Schiebedeckel der Box ist eine Klappleiter festgeschnallt.
Aus der Firmeneinfahrt heraus geht es heute zuerst nach rechts und das heißt: bergauf. Die kleine Klempnerei liegt an der Jägerstraße, der Kunde ist in der Max-Halbe-Straße, hinter dem Kapellenweg. Das bedeutet Jägerstraße erst aufwärts, dann abwärts zur Winsener Straße, dann wieder hoch, Richtung Kapellenweg. Wirklich abstrampeln muss der Handwerker sich nicht, denn das Lastenrad ist ein E-Bike: „Ohne die elektrische Unterstützung wäre das viel zu anstrengend, weil das Rad ja schwer beladen ist“, sagt Heynlein.
Wenn zu viel Zeit für die Parkplatzsuche draufgeht
250 Kilogramm darf sein Lastenrad Marke „Urban Arrow“ insgesamt wiegen, höchstens 125 der Fahrer, höchstens 125 die Last – und zwischen diesen beiden Limits muss auch noch das Eigengewicht des Bikes, stolze 50 Kilo, aufgeteilt werden. Das bedeutet: Werden die vollen 125 Kilo schon auf dem Sattel ausgereizt, dürfen in der Box nur noch 75 Kilo landen. Diese Gefahr besteht bei Birger Heynlein aber nicht: Der 46-jährige ist auch in der Freizeit sportlich unterwegs; schwimmt, radelt, läuft. Triathlon macht er jedoch nicht – wenn man mal vom Installateursdreiklang Gas, Wasser S...-anitär absieht.
Die Idee, ein Lastenrad anzuschaffen, kam in der Klempnerei das erste Mal bei einem Sommerfest vor fast zwei Jahren auf. „Wenn wir bei Kunden schnell etwas reparieren mussten, ging oft einige Zeit für die Parkplatzsuche drauf“, sagt Heynlein. „Und wenn wir einen Parkplatz hatten, mussten wir mit Werkzeug und Material lange Wege zu Fuß zum Kunden. Jedes Mal, wenn man noch mal etwas aus dem Auto holen musste, kam dieser Fußweg auch noch einmal dazu. Das konnte dann schon mal eine Viertelstunde dauern.“
Lastenrad kaufen oder Kastenwagen leasen? Es gibt viele Auswahlkriterien
Einige Zeit musste die Idee allerdings noch reifen. Den Ausschlag gaben dann zwei Dinge: Der Krieg Russlands gegen die Ukraine und die Poller der Stadt in der Zimmermannstraße. Sprit wurde überall teurer, Parkraum im Kern-Kundengebiet Svenssons knapper. „Wir haben dann lange gesucht, bis wir das Rad gefunden hatten, das für uns am besten passte“, sagt Ole Svensson, und haben uns dann für dieses entschieden.“
Als Anschaffung ist ein Lasten-E-Bike auf den ersten Blick nicht günstig: Knapp 6000 Euro kostet ein „Urban Arrow“ in der Version, die Svensson bestellt hat. Über drei Jahre abgeschrieben, kommt das den Leasingkosten eines Kastenwagens nahezu gleich. „Aber wir sparen Sprit, Steuern und andere Kosten – und vor allem Zeit“, sagt Svensson.
An das Lenken muss man sich erst noch gewöhnen
An der Winsener Straße biegt Heynlein nach rechts ab. Er dürfte auch geradeaus durch die Grünanlage, aber das will er nicht. Erstens ist dort gerade viel Fußgängerverkehr, weil Kinder zur Schule gebracht werden, und zweitens ist das Rad doch etwas klobig – und auch hier gibt es Sperrpoller. Stolze 274 Zentimeter misst das E-Bike in der Länge, der Kasten ist 70 Zentimeter breit. An das Lenken muss man sich gewöhnen: Man sitzt weit hinter dem gelenkten Rad, muss den Lenker also früher bewegen, damit das Fahrrad rechtzeitig um die Kurve fährt. Außerdem ist es wegen der Länge auch etwas steifer in der Bewegung. „Ich sitze hier ja auch im Holland-Stil aufrecht und nicht gebeugt, wie privat auf meinem Trekking-Rad“, sagt Heynlein. „Das ist ein weiterer Unterschied.“
Über Paul-Gerhardt-Straße und Kapellenweg ist Heynlein beim Kunden angekommen. Das Rad schiebt er mit etwas Manövrieren rückwärts in die Einfahrt. Der Kunde staunt. „Die meisten Kunden freuen sich, wenn ich mit dem Fahrrad komme“, sagt Heynlein, „und das freut mich dann auch.“
Ein zweites Lastenrad wird die Firma dennoch wohl erst einmal nicht kaufen. Lange Heizkörper, bündelweise Rohre oder ganze Heizungsanlagen lassen sich auf diese Weise nicht bewegen. Allerdings schreitet die Entwicklung auch bei E-Bikes voran und in Harburg soll Parkraum noch knapper werden – wer weiß?