Harburg. Vor zehn Jahren wurde in einer Garage in Eißendorf das erste „Prototyp“ verkostet. Der Anfang einer Erfolgsstory
Das war so nicht geplant und doch war es gut so: Gleich der erste Sud, den Oliver Wesseloh als selbstständiger Craft-Beer-Brauer ansetzte und braute, war ein Hit. Noch heute heißt dieses Bier „Prototyp“ und ist das umsatzstärkste Produkt der Sinstorfer „Kehrwieder Kreativbrauerei“, die Oliver und Julia Wesseloh gegründet haben. Vor zehn Jahren wurde „Prototyp“ zum ersten Mal öffentlich verkostet – in einer Garage in Eißendorf – und legte den Grundstein für ein erfolgreiches Unternehmen. Zur Feier des Tages laden die Wesselohs und ihre mittlerweile sechs Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter am Freitag zum Brauereifest, mit Verkostungen von Prototyp, Prototyp-Varianten und vielen anderen Kreativbieren der Sinstorfer Sudhausgurus; Live-Musik, Wurst und Pizza.
Nach einem Studium der Brauereitechnologie, Praxiserfahrung im Gröninger Brauhaus und Wanderjahren in Amerika wo er mit der jungen Craft-Beer-Szene in Berührung kam, die er technisch beriet und die ihn kreativ inspirierte, kehrte Oliver Wesseloh mit seiner Frau Julia nach Hamburg zurück, um hier selbst eine Brauerei zu gründen. Die Kessel und Tanks baute er sich in Bayern zusammen, wo ein Freund schon eine Brauerei hatte und eine stillgelegte Meierei darauf wartete, ausgeschlachtet zu werden, so dass man ihrer Rohre und Behälter neuem Nutzen zuführen konnte. Diese Anlage war fertig und wartete darauf, nach Hamburg zu ziehen. Hier jedoch war noch kein Standort gefunden.
Den Harburger Brauer juckte es in den Fingern. Er wollte eigenes Bier machen
Oliver Wesseloh aber juckte es in den Brauerfingern: Er wollte endlich sein eigenes Bier machen. Als Untermieter bei jemand anderem zu brauen konnte er sich vorstellen, aber in ganz Norddeutschland gab es keine passende Brauerei. Kleine Gasthausbrauereien haben keine Flaschenabfüllanlagen und bei den großen Brauereien sind die Kessel und damit die Braumengen so riesig, dass man einen Braugang gar nicht vollständig unter die Leute bekäme. „Zum Glück war die Kleinbrauerszene in Dänemark schon weiter“, sagt Oliver Wesseloh, und so konnte ich zum Række Mølle Bryghus in Mitteljütland reisen und loslegen.“
Was er brauen wollte, hatte er sich schon im Kopf zurecht, und an Zutaten bereit gelegt: So wie die amerikanischen Craft Brewer alte englische Biersorten neu interpretierten, wollte er eine deutsche Sorte neu aufstellen: das Lagerbier. Handbereitetes böhmisches Tennenmalz bildete die Grundlage, die deutschen Hopfensorten Nordbrauer und Perle ebenso. Später im Prozess wurden der amerikanische Simcoe- und der tschechischer Saazer-Hopfen hinzugefügt, „gestopft“, wie man sagt. „Dafür hatte ich ein wenig herumexperimentiert und Hopfen in einem bierähnlichen Medium ohne viel Eigengeschmack ziehen lassen um zu sehen, welche Aromen dabei entstehen“, sagt er.
Alle, die den Prototyp verkosteten, waren begeistert
Der dafür genutzte Sechserpack mit Bremer Schlüsselaufdruck und Edelmetallmarkennamen tat beste Dienste. „Wir hatten eigentlich gedacht, dass Olli diesen ersten Sud abfüllt, wir ihn hier mit Familie und Freunden verkosten, Anregungen aufnehmen und dann weiterentwickeln“, sagt Julia Wesseloh. „Deshalb gab es auch noch keinen Namen für das Bier. Aber alle, die den Prototyp verkosteten, waren begeistert! So blieb es bei dem Prototyp und er behielt seinen Namen.“
Der erste Braugang war noch in zwei Fahrten mit dem Familien-VW-Bus abzuholen gewesen. Nun aber musste die Menge gesteigert werden. Eigene Räume waren immer noch nicht vorhanden. Die kamen 2014. Die Anlage zog aus Bayern nach Sinstorf um. Brauen musste Oliver Wesseloh aber weiter woanders, mal in Dänemark, mal im bayerischen Nittenau, wo er auch seine Kessel gebaut hatte und wo er bis heute Prototyp braut, weil seine eigene Brauanlage, nachdem sie 2015 endlich von den Behörden abgenommen war, längst zu klein war für die große Nachfrage nach dem Prototyp.
In Sinstorf werden kleinere Mengen gebraut, erlesene Spezialbiere
Hier in Sinstorf werden kleinere Mengen gebraut, erlesene Spezialbiere, die jeweils einen kleinen Kundenkreis haben – oder nur kurz Saison. 150 verschiedene Biere hat sich die „Kehrwieder Kreativbrauerei“ schon erdacht, und fünf Millionen Flaschen verkauft. 21 Biere sind derzeit im Online-Shop, davon sind 14 saisonal oder einmalige Raritäten und sieben – darunter selbstverständlich Prototyp – sind Dauerbrenner. Vier der 21 Biere sind übrigens alkoholfrei – was man von Prototyp nicht behaupten kann. „Prototyp ist wie ein Pils auf Steroiden“, hat Oliver Wesseloh das sehr hopfige, 5,7 Prozent starke Erfolgsbier mal beschrieben.
Schon 2014 heimste Prototyp seine ersten Preise ein, weitere folgten. „Besonders stolz sind wir auf den „European Beer Star“ in Gold von 2021“, sagt Julia Wesseloh, „nachdem wir 2020 schon Silber hatten und vor allem nachdem viele Mitbewerber alsbald ähnliche Biere wie unseren Prototyp versuchten.“