Wilhelmsburg. Kriegsverherrlichender Gedenkstein spaltete schon 1932 die Elbinsel. Nun steht das Mahnmal dem Wohnhaus eines ermordeten Juden gegenüber.
Seit fünf Jahren entwickelt eine von der Wilhelmsburger Geschichtswerkstatt ins Leben gerufene Arbeitsgruppe ein Konzept für das umstrittene Kriegerdenkmal an der Emmauskirche. Vergangenen Donnerstag war es nun soweit – die von vielen lang ersehnte Enthüllung des seit 2018 bedeckten Denkmals konnte in einem ersten Schritt vollzogen werden. Allerdings haben die Arbeiter unter der Anleitung von Vera Drebusch und Reto Buser den 3,2 Tonnen schweren Erinnerungsstein nicht nur freigelegt, sondern auch eine Achsendrehung vorgenommen. Das Konzept der beiden Künstler geht nämlich weit über eine simple Enthüllung hinaus: Der 1932 errichtete Stein ist schon lange Gegenstand einer kontroversen Diskussion.
Das Denkmal wurde schon 1932 in einer angespannten Stimmung eingeweiht: „Republikanische Organisationen waren der Feier fern geblieben“, schrieb am 13. September 1932 das Volksblatt Harburg-Wilhelmsburg über die Einweihung – während Reichs- und Kriegsflaggen das Bild beherrscht haben sollen: ein Weltkriegsdenkmal im Sinne des aufstrebenden nationalsozialistischen Regimes.
„Kein Gedenken den Faschisten“ war eines Tages auf dem Denkmal zu lesen
Diskussionen über den Umgang mit dem Denkmal flammten auch in der Nachkriegszeit immer wieder auf – sorgten jedoch langfristig für keine Lösung. Als das Denkmal 2017 im Rahmen der Bauarbeiten für eine neue Kita wieder präsenter freigelegt wurde, dauerte es nicht lange, bis unbekannte Täter sich daran zu schaffen machten: „Kein Gedenken den Faschisten“ wurde in schwarzem Graffiti quer über den Stein gesprüht. Die neu entbrannte Diskussion inspirierte die örtliche Pastorin und die Geschichtswerkstatt dazu, sich mit dem Thema zu befassen. Zuerst wurde das Denkmal jedoch verhüllt, um ein Konzept zu erarbeiten.
Die Frage, wie an die dunkelste Etappe der deutschen Geschichte erinnert werden soll, treibt auch die Künstlerin Vera Drebusch um: „Wer sind wir, und wie können wir uns mit Schuld auseinandersetzen?“ Die Antwort scheint sie im Dialog zu suchen: „Uns ist wichtig, dass viele Menschen angesprochen werden und sich mit dem Thema auseinander setzen wollen.“
Das Denkmal steht jetzt in der Täter-Opfer-Achse
Zu diesem Zweck wurden neben der Geschichtswerkstatt und der Arbeitsgruppe auch die Nachbarschaft, die angrenzende Kirche und die Kita in den Diskurs eingebunden. Mit der Achsendrehung wurde nun der erste Schritt dieses Dialogs getätigt: „Die Idee ist , das Denkmal aus seiner Achse zu drehen, um eine neue Achse zu erschaffen – nämlich eine Täter-Opfer-Achse“, erklärt Künstler Reto Buser.
Während der Stein vorher fast stolz die Mannesallee herab ausgerichtet war, blickt er nun auf ein Haus auf der gegenüberliegenden Straßenseite. In den 1930er- und 40er-Jahren wohnten dort der Jude Hans Leipelt und seine Familie. „In München kam Hans Leipelt mit der Weißen Rose in Berührung. Später verteilte er dann auch selbst Flugblätter in Hamburg“, erklärt Margret Markert von der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg. An die Ermordung Leipelts und seiner Familie durch die Nationalsozialisten erinnern drei Stolpersteine vor dem Haus, auf die das Kriegerdenkmal nun gerichtet ist.
Ein kleiner Garten soll angelegt und von der Kita gepflegt werden
Auch die vorbeilaufenden Passanten zeigten Neugier an dem kontroversen Stein. „Viele sind stehengeblieben, um zu gucken“, erzählt Oliver Menk, Leiter der Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg. Spaziergänger erkundigten sich mal freundlich nachfragend und auch mal in raueren Tönen: „Es ist spürbar, dass die Aktion polarisiert“, urteilt Buser. Deshalb endet das Konzept von Drebusch und Buser mit der Achsendrehung auch noch nicht.
In den nächsten Schritten soll eine künstliche Grasnarbe zwischen Denkmal und Haus angebracht werden, um die komplexe Beziehung der beiden Komponenten zu betonen. Zusätzlich soll das Verb „denken“ mit seinen diversen Präfixen in permanenter Farbe auf dem Boden platziert sowie ein kleiner Garten angelegt werden, der möglicherweise von der angrenzenden Kita gepflegt werden soll. Buser: „Die Umgebung soll zur Entschleunigung einladen.“
Das Ziel: Ein fortlaufender Prozess des Erinnerns
So sollen die Voraussetzungen für einen fortlaufenden Prozess des Erinnerns geschaffen werden: „Natürlich kann ich auch den Impuls verstehen, ein solches Denkmal zu entfernen oder ähnliches. Aber es gehört auch zum künstlerischen Prozess, mit der Geschichte und mit dem Ort zu arbeiten. Ich bin der Meinung, dass Erinnern besser miteinander möglich ist“, sagt Drebusch.
Die Geschichtswerkstatt Wilhelmsburg sowie Vera Drebusch und Reto Buser laden im Rahmen der Woche des Gedenkens am 6. Mai um 15 Uhr zum Gespräch am Denkmal. Interessierte können dort am Diskurs teilnehmen, Fragen stellen und sich in den Prozess einbringen. Unter www.veradrebusch.de/artworks/denken soll die Entwicklung des Projekts fortlaufend sichtbar gemacht werden.