Harburg. Täglich nutzen zehntausende Autos Teilstrecken der Verbindung, was zu gefährlichen Situationen führt. Was die Bezirkspolitik vorhat.
Der „zweite“ oder auch „mittlere Ring“ für den Bezirk Harburg ist eine verkehrspolitische Idee aus den 1960er-Jahren. Analog zum „Ring 2“ in Hamburg sollte es eine Kombination aus bestehenden Straßen geben, die die sternförmig angeordneten Stadtteile Harburgs so miteinander verbindet, dass man nicht erst in die Innenstadt hinein und dann wieder heraus fahren muss, um beispielsweise von Marmstorf nach Heimfeld zu gelangen.
Das war vor allem deshalb wichtig, weil man bereits das Aufgraben der gesamten Innenstadt für die S-Bahn und den inneren Harburger Ring plante. Von Bostelbek bis Rönneburg sollte der zweite Ring gehen, sogar je ein Stück von Friedhof und Stadtpark abschneiden, das Riegesche Gehölz in Langenbek durchtrennen und über die damals noch gar nicht existente Gordonstraße zur Vogteistraße führen.
Die Straße Am Frankenberg war nicht für die Strecke vorgesehen und ist zu schmal
Politisch ist der Zweite Ring längst tot. Praktisch gibt es ihn aber noch. Am Frankenberg – Langenbeker Weg – Marmstorfer Weg – Ernst-Bergeest-Weg – Bremer Straße – Friedhofstraße – Weusthoffstraße – Lohmannsweg -- Milchgrund heißt sein Verlauf. Täglich nutzen zehntausende Autos zumindest Teilstrecken dieser Verbindung. Die ist längst nicht überall dafür geeignet: Das Stück von Langenbek nach Rönneburg existiert gar nicht. Zwischen Langenbek und Eißendorf gibt es mehrere Versprünge, weil die Streckenbegradigungen an den Grundstücken scheiterten.
Die Straße Am Frankenberg war eigentlich nicht für die Strecke vorgesehen und ist zu schmal. Dennoch ist der gesamte Verlauf von Langenbek bis Bostelbek als Hauptstraße(n) in Landesverantwortung eingestuft. Die Harburger Grünen wollen das gerne ändern. Die gesamte Strecke soll zu Bezirksstraßen herabgestuft werden. Verkehrsberuhigung wäre dann leichter möglich, hoffen sie.
Alle Fraktionen befürworten, dass geprüft wird, ob eine Herabstufung möglich ist
Damit wäre die immer noch wie ein Untoter durch viele Verkehrsplanerköpfe geisternde Ring-Idee endgültig begraben. Zumindest dem Antrag, zu prüfen, ob die Herabstufung möglich ist, stimmten alle anderen Fraktionen zu, wenn auch jede mit einer eigenen Motivation.
Fast jede Partei hat schon einmal versucht, an der einen oder anderen Stelle des offiziell nicht existierenden Rings Dinge zu verbessern. Ansatzpunkte gibt es reichlich: Am Milchgrund etwa. Gut 900 Meter und nahezu schnurgerade geht die Strecke hier vom Heimfelder Bergrücken in die Bostelbeker Senke. 50 Stundenkilometer sind erlaubt, aber ohne Hindernisse wird auch mal mehr Gas aufs Pedal gegeben. Und Hindernisse gibt es keine. Auf dem Beinahe-Kilometer gibt es keinen einzigen Fußgängerüberweg. Dabei kreuzen sich hier die Wege zu gleich zwei Grundschulen.
Nach dem Motto „Freie Fahrt für freie Bürger“ lädt der Ernst-Bergeest-Weg zum Bleifuß ein.
Ähnlich sieht es am Ernst-Bergeest-Weg aus. Zwar gibt es hier Fußgängerüberwege und sogar Ampeln. Aber der Ernst-Bergeest-Weg ist einer von nur zwei Abschnitten des Straßenzug-Zombies, die jemals so gebaut wurden, wie es sich die autofreundlichen Planer seinerzeit dachten. Nach dem Motto „Freie Fahrt für freie Bürger“ lädt er zum Bleifuß ein. Unfallträchtige harte Bremsmanöver an den Übergängen vor der Schule oder dem Altenheim kommen häufig vor, und es gibt einige sehr unübersichtliche Einmündungen und Kreuzungen.
An der Friedhofstraße sind Fußgänger zweimal gezwungen, ausgerechnet an unübersichtlichen Stellen die Straßenseite zu wechseln, weil es auf beiden Seiten Abschnitte ohne Fußweg gibt. Alle Versuche, solche Situationen zu entschärfen, sind bislang gescheitert. Am gesamten Verlauf der gut sechs Kilometer langen Strecke gibt es exakt zwei Tempo-30-Strecken – vor den Altenheimen am Frankenberg und vor der Grundschule Kiefernberg an der Weusthoffstraße.
Vier Schulen und eine Handvoll Seniorenheime an einer Straße ohne Verkehrsberuhigung
In direkter Nähe des Straßenzuges liegen aber vier weitere Schulen und eine Handvoll Seniorenheime. Mal war es der Landesbetrieb Straßen, Brücken und Gewässer (LSBG), der ein Veto gegen Verkehrsberuhigung einlegte, mal die Polizei in ihrer Funktion als Straßenverkehrsbehörde. Die Begründung war stets die Funktion der Straßen als Hauptstraßen von übergeordneter Bedeutung. Das wollen die Grünen beenden.
„Wir brauchen Tempo 30 vor der Grundschule Marmstorf und der Marmstorfer Altenwohnanlage“, erklärt der Grünen-Abgeordnete Fabian Klabunde, „und weil es wenig Sinn macht, dazwischen das Tempo wieder zu erhöhen, kann man hier durchgehend 30 anordnen. Das geht einfacher, wenn es dann eine Bezirksstraße ist. An der Friedhofstraße und am Milchgrund wäre Geschwindigkeitsbegrenzung gut, damit Fußgänger und Radfahrer sich hier gefahrlos bewegen können. Diese Verkehrsteilnehmer dem Auto unterzuordnen, ist veraltetes Denken!“
Die Bushaltestellen am Langenbeker Weg kranken am zu schmalen Fußweg auf der einen und dem nicht vorhandenen auf der anderen Straßenseite
Tempo 30 vor der Marmstorfer Schule und vor Kindertagesstätten befürwortet auch die Fraktionsvorsitzende der FDP, Viktoria Ehlers, und ist deshalb ebenfalls für die Umwidmung als Bezirksstraße. Gleichzeitig warnt sie aber: „Wir müssen auch aufpassen, dass die Grünen hier nicht ihren Wunsch nach flächendeckenden Tempolimits in der gesamten Stadt über diesen Umweg umsetzen!“
„Die Strecke hat ja viele neuralgische Punkte, an denen man etwas tun könnte, wenn man dürfte“, sagt Frank Wiesner, Verkehrsexperte der SPD-Bezirksfraktion. Die Bushaltestellen am Langenbeker Weg kranken am zu schmalen Fußweg auf der einen und dem nicht vorhandenen auf der anderen Straßenseite; an der Friedhofstraße und am Milchgrund müssen dringend Querungshilfen her. Alle Bemühungen in dieser Hinsicht sind bislang gescheitert.
Die Mehrheit der Bezirksabgeordneten ist dafür, den verkehrspolitischen Zombie zweiter Ring endgültig sterben zu lassen
Rainer Bliefernicht, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der CDU in der Bezirksversammlung befürwortet Sprunginseln am Milchgrund: „Das ist für Schulkinder ideal“, sagt er. „Denn dann müssen sie jeweils nur eine Fahrspur im Blick haben. Tempo 30 auf Teilen des Ernst-Bergeest-Weges wäre ebenfalls sinnvoll. “
Was die gesamte Strecke angeht, rät Bliefernicht dazu, mit Augenmaß vorzugehen: „Man sieht ja täglich, dass diese Querverbindung gebraucht wird. Und wenn über die Strecke tatsächlich einem Stau auf einer Einfallstraße ausgewichen wird, sieht man auch, dass man nicht viel Spielraum für Einschränkungen hat.“
Ob die mahnenden Stimmen von CDU und FDP Gehör finden, ist fraglich: Die Mehrheit der Bezirksabgeordneten ist dafür, den verkehrspolitischen Zombie zweiter Ring, zumindest in seiner Version als durchgehende Schnellstrecke, endgültig sterben zu lassen. Helfen könnte den Freunden der Fahrfreude nur noch der LSBG, indem der seinen Schatz, den Ring, nicht hergibt.