Harburg. Kritiker bemängeln Tempo des Veloroutenausbaus und die Verkehrsführung für Radfahrer an Baustellen – und nennen Beispiele.
Gleich zu Anfang des Verkehrswende-Workshops des Bezirksamts mit den Einwohnern von Eißendorf und Heimfeld gab es einen Moment der Erkenntnis: Warum es eigentlich vor dem Rathaus keine Möglichkeit gebe, sein Fahrrad anzuschließen, wollte eine Heimfelderin wissen, die mit dem Rad gekommen war. Sekunden des betretenen Schweigens gingen der kleinlauten Antwort voraus, dass es im Rathausinnenhof drei gut versteckte Fahrradbügel gebe. Das Bezirksamt hat gut 800 Mitarbeiter. Hängt der Bezirk Harburg bei der Verkehrswende also hinterher?
Ja, sagen mehrere Kritiker. Der Fahrradclub ADFC kritisiert das schleppende Tempo in Sachen Verkehrswende in Harburg. Während der Ausbau des Velorouten- und bezirklichen Radnetzes stockt, vergisst die Stadt das Fahrrad bei Baustellen oft komplett, heißt es in einer Mitteilung des Clubs. Und die FDP-Bezirksfraktionsvorsitzende Viktoria Ehlers stört eine Strecke, die eigentlich schon fertig ist. Der Abschnitt der Veloroute 10 im Harburger Binnenhafen weist am Rand bereits Schäden auf. Dort müsste also schon wieder eine Baustelle eingerichtet werden. Damit wäre man zurück beim ADFC.
Die Radwege seien die ersten, die gesperrt werden, wenn an einer Straße gebaut wird
Der Club bemängelt unter anderem den stockenden Hausbau des Hauptradwegenetzes, also die Velorouten. Die werden in Harburg stückweise immer dort ausgebaut, wo es gerade geht. Dazwischen bleiben erst einmal Lücken. Wie lange, kann bei vielen Lücken niemand sagen: Zu unkalkulierbar sind Schwierigkeiten und Beharrungskräfte, auf die man stößt.
Die weitere Kritik: Selbst, wo es gute Radwege – oder überhaupt welche – gibt, sind es diese, die als erstes gesperrt werden, wenn an einer Straße gebaut wird. Beispiele gibt es viele: In der Maldfeldstraße plant die Stadt wegen einer Baustelle von Mai bis Oktober 2023 sämtliche Fuß- und Radwege für fast ein halbes Jahr ganz zu sperren. Am Harburger Ring, Höhe Herbert-und-Greta-Wehner-Platz, gibt es zwar mittlerweile einen Radfahrstreifen, auf dem jedoch der Bauzaun für das Pflastern des Fußweges abgestellt ist. Sven Anders von der Bezirksgruppe Harburg des ADFC hat noch weitere Beispiele: „Statt einer vernünftig ausgeschilderten Ausweichstrecke für Radfahrerinnen an der Baustelle Rehrstieg/Striepenweg, Teil der Veloroute 10, existiert dort nur eine Alibi-Umleitung aus Richtung Neugraben und aus Richtung Harburg gar keine. Radfahrende landen dort einfach in der Baustelle, müssen absteigen und behindern dann auf dem engen Weg die Fußgänger.“
Bei den Behörden beiße man mit der Bitte um Abhilfe auf Granit
Ganz ähnlich sieht es in der Hannoverschen Straße aus, die Teil der Veloroute 11 ist. „Nachdem die Verkehrsbehörde dort im südlichen Abschnitt die erste Protected Bikelane Hamburgs unter großem Pressewirbel eingeweiht hatte, wird nun im nördlichen Abschnitt gebaut – allerdings nicht für eine Veloroute, sondern von Hamburg Wasser. Wer dort in Richtung Norden mit dem Rad fährt, teilt sich die eingeengte Kopfsteinpflaster-Fahrbahn mit dem Kraftverkehr“, sagt Anders. „Die Kraftfahrer drängeln, hupen und versuchen, durch gefährliches, schnelles Überholen vor den Radfahrer die Fahrbahnverengung zu erreichen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es dort zu einem schweren Unfall kommt!“
Bei den Behörden beiße man mit der Bitte um Abhilfe auf Granit. „Ich habe nicht das Gefühl, dass die Verkehrswende nach Harburg kommt“, sagt Sven Anders. „Im Gegenteil, das Fahrrad wird immer noch vernachlässigt oder vergessen – beispielsweise bei Baustellenführungen.“
Der Senat hat sich verpflichtet, den Rad- und Fußverkehr bei Baustellen zu berücksichtigen
In seiner Vereinbarung mit der Initiative Radentscheid Hamburg vom April 2020 hat sich der Senat verpflichtet, den Rad- und Fußverkehr bei Baustellen zu berücksichtigen, sodass Radfahrende diese entweder sicher passieren könnten oder es für sie eine geeignete, ausgeschilderte Umleitung gebe. „In Harburg passiert leider das Gegenteil“, so Anders.
Auch, wo es bereits gute Veloroutenabschnittchen gibt, gibt es Probleme, schreibt FDP-Politikerin Viktoria Ehlers in einer eigenen Pressemeldung. „Der erste urbane Radschnellweg Hamburgs ist bereits nach einem Jahr eine bauliche Vollkatastrophe“, so Ehlers.
Ihr Vorwurf: Die vielbefahrende Kreuzung Blohmstraße/Kanalplatz hat einen acht Zentimeter starken „Entschleunigungssockel“, der Autofahrer dazu bringen soll, lang- und aufmerksam an die Veloroute heranzufahren. Die Rampen am Sockel sind, vom Dampfschiffsweg kommend, bereits kaputt und mussten geflickt werden. „Verkehrssenator Tjarks hat eine Veloroute in ein sehr ungeeignetes Gebiet legen lassen, ohne die Gegebenheiten vor Ort zu betrachten“, so Ehlers. „Der Schwerlastverkehr gehört zum Harburger Binnenhafen. Die Industrie prägt den Charakter des Quartiers. Von vornherein hätte klar sein müssen, dass die Kreuzung einer extremen Belastung ausgesetzt ist. Die Haltbarkeit der eingesetzten Materialien hätte darauf ausgelegt sein müssen! Nach nur einem Jahr ein Sorgenkind des Straßenbaus – das muss neuer Rekord sein!“