Harburg/Fischbek. Kritik an den Plänen der IBA, deutlich weniger Stellplätze einzurichten als anfangs geplant. Warum es auch im Ausschuss knirscht.
Zustimmung sieht anders aus: Als IBA-Projektkoordinatorin Philippa Dorow im Harburger Stadtentwicklungsausschuss ankündigte, dass im neuen Mobilitätskonzept für das geplante Baugebiet Fischbeker Reethen weniger Parkplätze vorgesehen sind, als ursprünglich geplant waren, erntete sie Kritik von allen Parteien, außer den Grünen.
Die Fischbeker Reethen sind das letzte große Neubaugebiet der IBA im Bezirk Harburg und gleichzeitig das größte. Nördlich der Cuxhavener Straße und direkt an der Landesgrenze sollen hier 2300 Wohnungen entstehen, die Hälfte davon öffentlich gefördert. Fast 2000 Wohnungen sollen im Geschosswohnungsbau entstehen, etwas über 300 als Reihen-, Doppel- oder Einzelhäuser. Für alle 2300 Wohnungen sah der erste Entwurf 1500 Stellplätze vor, die den Wohnungen zugeordnet sind; dazu noch einmal 230 im öffentlichen Raum, für Besucher.
Ein Stellplatzschlüssel von 0,76 erschien vor acht Jahren noch ambitioniert
Auf zehn Geschosswohnungen sollten die Bauherren sechs Plätze einplanen; den Einfamilienhäusern gestand man jeweils einen ganzen Stellplatz zu. Mit den Besucherplätzen hätte das 76 Stellplätze auf 100 Haushalte bedeutet, oder einen so genannten Stellplatzschlüssel von 0,76.
Nun sollen die Fischbeker Reethen aber auch ein ökologisches Vorbildviertel sein, in dem unter anderem der Umstieg vom eigenen Auto auf jedwede umweltschonendere Mobilitätsform erleichtert und angeregt wird. Ein Stellplatzschlüssel von 0,76 erschien vor acht Jahren, als man die ersten konkreten Ideen zum Baugebiet formulierte, noch ambitioniert; heute glauben Verkehrsexperten, dass sich dieser Schlüssel deutlich reduzieren lässt. Gutachter empfahlen der IBA, die Anzahl der Stellplätze zu reduzieren. Ein Stellplatzschlüssel von 0,37 sollte machbar sein. Dafür sollte die Stellplatzanzahl für die Geschosswohnungen um zwei Drittel, die der Einfamilienhäuser um knapp ein Drittel reduziert werden.
Noch gibt es hier allerdings nicht einen einzigen Parkplatz
Ganz so weit will die IBA nicht gehen. Das Szenario, das Philippa Dorow vorstellte, sieht einen Stellplatzschlüssel von 0,54 vor, bei dem die Geschosswohnungsmieter gegenüber dem ersten Ansatz ebenfalls nur ein Drittel der Plätze einbüßen sollten.
Noch ist das natürlich alles Theorie. Noch gibt es hier nicht einen einzigen Parkplatz und auch niemanden, dem man ihn wegnehmen könnte. Die ernsthafte Erschließung der Fischbeker Reethen beginnt erst 2024, die Hochbaureife wird mittlerweile nicht vor 2026 erwartet und die IBA baut auch nicht selbst, sondern vermarktet dann einzelne Baufelder an verschiedene Bauherren: Wohnungsbauunternehmen, Baugemeinschaften, Reihenhausentwickler, Familien.
Maßnahmen, mit denen die IBA Anreize zur Mobilitätswende geben will
Der Stellplatzschlüssel wird dabei allerdings eine Rahmenbedingung sein, die vorgegeben wird, und je besser ein Bieter diese Bedingungen zu erfüllen verspricht, desto wahrscheinlicher kommt er zum Zug. Das gilt aber auch für viele der Maßnahmen, mit denen die IBA den Neu-Fischbekern Anreize zur Mobilitätswende geben will: Lastenräderparkplätze, Paketstationen, Fahrradstellplätze und –Reparaturstationen oder Mieter-Car-Sharing.
„Dazu kommen Anreize im Gebiet, wie neue Buslinien, Quartiers-Car-Sharing und eine gute Radwege-Infrastruktur, die alle in Vorbereitung sind“, sagt Dorow.
Bei Bedarf ließen sich mehr Plätze in der Quartiersgarage realisieren
Mit einem hohen Stellplatzschlüssel anzufangen und dann die Anzahl der Stellplätze zu reduzieren, wenn die Anreize ihre gewünschte Wirkung zeigen, hatte die IBA verworfen. Es erschien den Gebietsentwicklern unrealistisch. Andererseits haben sie auch eine „Rückfallebene“ vorgesehen, falls der Parkdruck im Quartier zu hoch wird. Dann ließen sich mehr Plätze in der Quartiersgarage ebenso realisieren, wie auch in Parkdecks unter erhöhten Innenhöfen.
„Letztendlich legen wir hier nur ein Konzept vor, wie etwas realisiert werden könnte“, sagt Dorow, „Die Entscheidung über den Stellplatzschlüssel liegt auf der politischen Ebene.“
Eine praxisferne Traumreise in eine autofreie Zukunft, nennt es die FDP
Dort zeigte man sich wenig begeistert: „Wenn man die Anwohner zu Nahverkehrsnutzern machen will, muss das Angebot stimmen“, sagt der SPD-Verkehrsfachmann Frank Wiesner. „Die S-Bahn-Station Fischbek wird außerhalb des Berufsverkehrs nur im 20-Minuten-Takt bedient, an Wochenenden und Abends nur alle 30 Minuten. Das ist kein Anreiz!“
„Das Mobilitätskonzept für die Fischbeker Reethen ist eine praxisferne Traumreise in eine autofreie Zukunft, aber kein belastbares Konzept, welches die Lust weckt, in dem neuen Harburger Wohnquartier zu wohnen“, kritisiert auch Viktoria Ehlers, Fraktionsvorsitzende der FDP in der Bezirksversammlung. Die Grünen rieten, sich doch einmal Städte anzusehen, die bereits Gebiete mit einem niedrigen Stellplatzschlüssel entwickelt haben. Harburgs Baudezernent Hans-Christian Lied stimmte ihnen zu: „Im Bereich des Harburger Zentrums haben wir eine Autobesitzquote von drei Autos auf zehn Wohnungen“, sagt er. „Eine Stellplatzquote von 0,54 ist deshalb nicht völlig unrealistisch.“