Harburg. Bei der 13. Harburger Integrationskonferenz waren institutionelle Teilnehmer unter sich. Dabei geht es um 170.000 Menschen
„Zusammenleben in Vielfalt“ heißt das Leitbild, das sich der Bezirk Harburg gegeben hat. Wie füllt man die Worthülse so mit Leben, dass das Leitbild keine Phrase ist, sondern gelebte Realität? Damit beschäftigen sich unter anderem die Harburger Integrationskonferenzen. Am Freitag fand die mittlerweile dreizehnte dieser Zusammenkünfte statt.
170.000 Menschen lebten Ende 2021 im Bezirk Harburg, Tendenz steigend. Davon hatten knapp die Hälfte einen „Migrationshintergrund“; Tendenz ebenfalls steigend, so dass man davon ausgehen kann, dass es jetzt eine knappe Mehrheit der Bezirksbevölkerung ist. Bei den Harburgerinnen und Harburgern unter 18 sind es schon 68 Prozent. Wie aussagekräftig ist der statistische Stempel „Migrationshintergrund“ allerdings, den mindestens 85.000 Menschen hier aufgedrückt bekommen?
Wer ist Ausländer? Wer hat Migrationshintergrund?
Der Begriff ist weit gefasst: „Eine Person hat einen Migrationshintergrund, wenn sie selbst oder mindestens ein Elternteil nicht mit deutscher Staatsangehörigkeit geboren wurde“ erklärt das statistische Bundesamt dazu. Und weiter: „Im Einzelnen umfasst diese Definition zugewanderte und nicht zugewanderte Ausländerinnen und Ausländer, zugewanderte und nicht zugewanderte Eingebürgerte, (Spät-) Aussiedlerinnen und (Spät-) Aussiedler sowie die als Deutsche geborenen Nachkommen dieser Gruppen.“
Echte Ausländer, also Menschen ohne deutsche Staatsangehörigkeit, sind lediglich 25 Prozent derer, die in Harburg leben, also die nur Hälfte derer, denen ein Migrationshintergrund zugeschrieben wird. Die andere Hälfte sind entweder als Deutsche geboren oder haben sich aus freien Stücken entschieden, Deutsche zu werden. Auch sie tragen den Stempel „Migrationshintergrund“, ohne, dass jemand daraus eine spezielle Eigenschaft dieser Menschen ableiten könnte; egal, ob Bäcker oder Bundestagsabgeordneter, Grundschüler oder Hochschulprofessor, Eltern aus Albanien oder Zimbabwe.
36.000 Menschen mit Migrationshintergrund im Bezirk Harburg
Von diesen 36.000 Menschen mit Migrationshintergrund im Bezirk Harburg waren aber nicht viele zur Konferenz gekommen. Überhaupt waren nur etwa 80 Menschen bereit, sich am Freitag Abend damit mit zu befassen, wie 170.000 in Vielfalt zusammenleben sollen.
Mindestens die Hälfte davon waren in haupt- oder ehrenamtlicher Funktion anwesend und viele davon betrifft das Zusammenleben in Vielfalt auch nur von Dienstbeginn bis Feierabend, weil sie danach in ihre Wohnorte außerhalb des Bezirks fahren und ihr Privatleben dort verbringen. Einen Migrationshintergrund hatte schätzungsweise ein Fünftel der Teilnehmer.
Wenn es ans Entscheiden geht, sind Menschen mit Migrationshintergrund nämlich immer noch unterrepräsentiert. Das wusste auch Gastredner Karim Fereidooni, Erziehungs- und Politikwissenschaftler, Professor an der Ruhr-Universität Bochum und langjähriger Berater des Innenministeriums. „Die Gesellschaft folgt einem Narrativ, das Medien und manche Politiker verbreiten“, sagte er. „Da werden ausländisch aussehende Männer pauschal als triebgesteuert, patriarchal und minderintelligent dargestellt und ausländische Frauen zugleich als unterdrückt und verfügbar.“
Pauschalisierende Erzählungen von Menschen mit Migrationshintergrund
Diese pauschalisierenden Erzählungen von Menschen mit Migrationshintergrund würden sich in allen gesellschaftlichen Schichten und Bereichen wiederfinden, auch bei Medizinern, Polizisten oder Lehrern. Gleichzeitig wird mehrheitlich die Meinung vertreten, in Deutschland gebe es keinen Rassismus – jedenfalls keinen institutionellen. Als Fereidoonis Arbeitsgruppe beim Innenministerium eine Studie zu Rassismus in Deutschland beauftragen wollte, musste sie die Polizei explizit ausnehmen. Rassismus gebe es in der Polizei schlicht nicht und deshalb gebe es auch nichts zu untersuchen, hatten diverse Polizei-Lobbygruppen erfolgreich beim Ministerium vorgebracht.
„Daran sieht man auch eines“, sagte Fereidooni, „nämlich, dass man nicht glauben darf, dass die Politik auf die Wissenschaft hört. Politiker reagieren auf Druck, nicht auf faktenbasierte Erkenntnisse. Wer etwas verändern will, muss gesellschaftlichen Druck aufbauen!“ Das gelte auch für die Konferenzteilnehmer, so Fereidooni. Klaus Niemann, Sprecher des Harburger Integrationsrats, sagt, dass der Rat sich das zu Herzen nehmen will. Im Integrationsrat sind Migrantinnen und Migranten aus allen Regionen der Welt sowie alt eingesessene Harburgerinnen und Harburger vertreten. Der Rat gehörte zu den Konferenzveranstaltern. „Wir haben nach dem Vortrag ja eine ganze Zeit an verschiedenen Thementafeln diskutiert, und Vorschläge gesammelt, die sich an Politik und Verwaltung richten. Die werden wir jetzt ordnen und einreichen“, sagt Niemann.
„Diversity Day“ im Bezirksamt soll wiederholt werden
Zu den Vorschlägen gehörte unter anderem, mehr Migrantinnen und Migranten als Mitarbeiter des Bezirksamts zu gewinnen, Informationen über Integrationsangebote in einfacher Sprache zu verfassen , oder den „Diversity Day“ im Bezirksamt zu wiederholen, weil der so ein Erfolg gewesen sei. Das hatte im Sommer, als der Diversity Day im Sozialausschuss der Bezirksversammlung vorgestellt wurde, noch etwas nüchterner geklungen: Der Festtag der Vielfalt bestand aus einigen Stellwänden im Rathausfoyer und einem Mitarbeiterquiz.
„Dabei gibt es noch viele Vorurteile abzubauen“, sagt Klaus Niemann, „und zwar sowohl bei den deutschstämmigen Harburgern, als auch bei vielen Einwanderern. Das kann nicht vom Amt verordnet werden, sondern geht nur von Mensch zu Mensch und mit ehrenamtlicher Unterstützung. Was das Amt tun könnte, ist das Ehrenamt besser zu unterstützen. Es reicht nicht, einmal im Jahr drei Preise zu verleihen. Die Unterstützung muss permanent sein. Darauf werden wir in den nächsten Wochen drängen!“