Harburg/Neuwerk. Für unsere Serie „Mein perfekter Ferientag“ hat sich Autorin Angelika Hillmer auf den Weg nach Neuwerk gemacht

Ein perfekter Urlaubstag beginnt für mich eigentlich später als acht Uhr morgens. Aber für einen sportlichen Tag am Meer, garniert mit anschaulichen Informationen über das Leben im Watt und die Küstennatur, steigt man schon mal um 8.46 Uhr in Harburg in die Bahn und fährt mit dem 9-Euro-Ticket nach Cuxhaven. Dort, am Strand von Sahlenburg, liegt einer von zwei Ausgangspunkten für Wattwanderungen zum Hamburger Nordsee-Eiland, zur Insel Neuwerk: gerade mal 30 Einwohner, etwa drei Quadratkilometer Fläche. In einer Stunde auf dem Hauptdeich zu umrunden (falls noch Bedarf besteht nach dem gut dreistündigen Fußmarsch über den Meeresboden).

Wann gewandert werden kann, bestimmen die Gezeiten. Oft starten die Touren schon in den Morgenstunden, aber es gibt auch Tage mit Startzeiten zwischen 11 und 13 Uhr. Die passen in die Ferienzeit. Zu spät darf es nicht werden, denn sonst funktioniert der Rückweg nicht. Das Schiff „Flipper“ bringt die Inselbesucher in eineinhalb bis zwei Stunden zurück nach Cuxhaven. Und braucht das Hochwasser-Zeitfenster nach dem Niedrigwasser, das den Wattwanderweg freigab.

In Sahlenburg angekommen empfängt mich frischer Wind. Typisch Nordsee

Nun ist es nicht mehr weit. Der 1300 bis 1310 erbaute Leucht- und Wehrturm ist das Wahrzeichen der Insel.
Nun ist es nicht mehr weit. Der 1300 bis 1310 erbaute Leucht- und Wehrturm ist das Wahrzeichen der Insel. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

In Sahlenburg angekommen empfängt mich frischer Wind. Typisch Nordsee. Dazu stahlblauer Himmel. Am Horizont ist Neuwerk gut zu erkennen. Allmählich findet sich die 30-köpfige Gruppe zusammen. Reinhard vom Wattführerteam Wunderwelt Watt wird die zehn Kilometer lange Strecke zur maritimen Außenstelle des Hamburger Bezirks Mitte mit uns laufen. Luft- und Wassertemperaturen liegen bei 17 Grad. Kein Badewetter, aber darum geht es auch nicht. Auf den ersten Metern bleiben sogar die Füße trocken, denn sie stecken in alten Turnschuhen. Barfuß lässt sich das Watt nicht (mehr) durchqueren – scharfkantige Steine und vor allem die sich ausbreitende handtellergroße Pazifische Auster können die aufgeweichte Haut leicht aufschneiden.

Der Weg ist mit Pricken gekennzeichnet und wird auch von Wattwagen und Treckergespannen befahren. Schnell läuft Wasser in die Schuhe. Im schlickigen Boden wird alles bis zur Wade allmählich schlammfarben. Bis zum ersten Priel. Zwei große Wasseradern im Watt, in denen die Gezeiten pulsieren, gilt es zu durchqueren. Das Wasser läuft noch ab, und das mit starker Strömung. Jeweils zwei bis drei Wanderer fassen sich an die Hände, damit niemand verloren geht. Der Priel ist knietief, reicht bei ungünstigem Wind auch schon mal bis an die Oberschenkel.

Einsiedlerkrebse, Seesterne, Seeigel und Jungfische

Unbemerkt von den Wanderern tobt das Leben in den Prielen: Einsiedlerkrebse, Seesterne, Seeigel und Jungfische sind hier zuhause. Junge Schollen lauern – sandfarben und oberflächlich eingegraben – gut getarnt auf kleine Fische und Krebse als Beute. Auch die Nordseegarnele (biologisch fälschlicherweise oft als Krabbe bezeichnet) zieht sich mit dem ablaufenden Wasser in die Priele zurück. Heute sorgt der Nordwestwind dafür, dass das Wasser nicht gut ablaufen kann, so dass einige Wattareale nicht trocken fallen. Viele Wegabschnitte stehen knapp knöcheltief unter Wasser. So gibt es laufend kostenlose Schuhwäschen auf dem Weg. Und jede Menge Natur.

Eine Reitergruppe ist Richtung Festland unterwegs.
Eine Reitergruppe ist Richtung Festland unterwegs. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Watt- und andere Würmer, Muscheln, Schnecken und Krebstiere verstecken sich im Boden. Oft ist er übersät mit zerbrochenen Muschelschalen. Auch daran zeigt sich Schritt für Schritt, dass das Wattenmeer einer der produktivsten Lebensräume der Erde ist. Bei Ebbe finden zahllose Möwen und andere Küstenvögel einen reich gedeckten Tisch, bei Flut freut sich die Fischwelt über das kalte Buffet. Schollen, Heringe und Seezungen haben hier ihre Kinderstube.

Die Insel kommt immer klarer und detailhafter in Sicht

Reinhard hält eine Sandklaffmuschel in der Hand. Die in der Nordsee lebenden Muscheln und Austern sind kleine biologische Kläranlagen. Mit überraschend großen Filterleistungen. Eine Miesmuschel könne ein Liter trübes Wasser innerhalb von 20 Minuten in glasklares Wasser verwandeln, sagt der Wattführer den staunenden Gästen. Gerade an den Austernbänken gleicht das verbliebene Wasser dem eines Gebirgsbachs.

Unmerklich verlassen wir den Nationalpark Niedersächsisches Wattenmeer und betreten den Nationalpark Hamburgisches Wattenmeer. Die Insel kommt immer klarer und detailhafter in Sicht. Immer wieder unterbricht Reinhard die Wanderung über den Meeresboden, weil es etwas Interessantes zu sehen und zu erzählen gibt. Ein Halt ist nötig, um eine von mehreren Wattwagen-Karawanen passieren zu lassen. Die Meereskutschen brauchen nur gut eine Stunde für den Weg nach Neuwerk. Wer lieber bequem zur Insel gelangen möchte, kann dort einen Platz buchen.

Nach fast dreieinhalb Stunden ist die Passage geschafft

Nach fast dreieinhalb Stunden ist die Passage geschafft. Auf der Insel angekommen führt der erste Weg zur Fußwaschanlage. Schuhe und Strümpfe ausgezogen, grob abgewaschen, Füße gebadet. Handtuch und neues Schuhwerk ausgepackt – schon bin ich inselfein. Hinter den Deichen dominiert die Landwirtschaft, im Deichvorland die Natur. Ein Wanderweg zur Ostbake ist wunderschön, doch erst einmal muss der Magen gefüllt werden.

An der Fußwaschanlage auf Neuwerk wird neben Füßen auch Schuhwerk gesäubert.
An der Fußwaschanlage auf Neuwerk wird neben Füßen auch Schuhwerk gesäubert. © Hillmer/HA | Angelika Hillmer

Vorbei am Nationalpark-Haus und am Wahrzeichen der Insel, dem 1310 erbauten Wehr- und Leuchtturm, kommt nun das nächste Highlight der Tour. Nach innerer Einkehr auf der Wanderung folgt die handfeste Einkehr in eine Gaststätte. Im Herzen der Insel, an der nördlichen Deichlinie, warten die Restaurants Zum Anker und Hus achtern Diek auf hungrige Gäste, im Südwesten das Alte Fischerhaus, am Wehrturm ein Bistro. An schönen Tagen kann Hochbetrieb herrschen – jährlich besuchen um die 100.000 Touristen die Insel, vornehmlich Tagesgäste. Je nach Wetter und Tiden bleiben ihnen sechs bis sieben Stunden Inselaufenthalt, bis die „MS Flipper“ die Inselbesucher zurück zum Festland schippert.

Gegen Abend geht es zum Anleger

Frisch gestärkt und etwas müde mache ich mich auf zur Ostbake. Immer am Deich entlang – der Fußweg durch die Salzwiesen ist wegen der an der Nordseeküste grassierenden Vogelgrippe gesperrt. Salzwiesen sind der mit Abstand artenreichste Küstenlebensraum. Manche Arten gibt es nur hier, etwa Pflanzen, die salzhaltiges Wasser vertragen. Die niedrigen Bereiche der Wiesen werden bei Hochwasser überspült. In der Zeit, wenn die vor Stunden passierten Wattflächen bis zu drei Meter unter Wasser liegen, versammeln sich Möwen, Seeschwalben, Austernfischer und viele andere Watvögel am Inselsaum und auf den Grünflächen.

Gegen Abend geht es zum Anleger. Bei gutem Wetter, passenden Gezeiten und an Wochenenden ist das für 400 Personen ausgelegte Schiff komplett ausgelastet. Frühes Erscheinen sichert die besten Plätze. Und das sind die Sitzbänke oben auf dem Außendeck. Während der Fahrt neigt sich die Sonne gen Horizont, und der Himmel verfärbt sich – perfekter kann ein Urlaubstag nicht enden!