Harburg. Das neue Gebäude vom Fraunhofer-Center für Maritime Logistik (CML) wird bezogen. Hier soll an autonom fahrenden Schiffen geforscht werden
Im Gebäude wird noch gearbeitet. Hammerschläge ertönen, Kabel hängen aus den Wänden, Büromöbel stehen verpackt in den Räumen. Im ersten und siebten Stock versperren Baugerüste den Blick auf den Harburger Binnenhafen. Dennoch kommt bereits jetzt, einen Monat vor der offiziellen Eröffnung, hochrangiger Besuch: Wirtschaftssenator Michael Westhagemann lässt sich am Mittwoch das neue Gebäude des Fraunhofer-Centers für Maritime Logistik und Dienstleistungen, kurz CML, am Lotsekanal zeigen und stellt als Erstes fest: „Das ist ja ein fantastischer Standort!“.
So sieht es auch der zukünftige Hausherr. „Die wasserseitige Testumgebung ist ein Traum“, sagt Prof. Carlos Jahn, Leiter des CML. Schließlich gilt es, unter anderem, Prototypen von autonom fahrenden Schiffen zu testen, eines der Forschungsfelder des CML. Das bereits erbaute Testschiff „Sealion“ war bislang in einem See bei Hemmoor oder im Hamburger Hafen unterwegs. Nun kann es bald direkt vor der Tür von einem Steg aus ins Wasser gelassen werden. Wer zur Schifffahrt forscht, Hafenstrukturen und -logistik verbessern will, ist im (Binnen-)hafen gut aufgehoben. Rund 60 Angestellte werden Ende August nach und nach den neuen backsteinroten Forschungstempel beziehen. Zusammen mit Studierenden werden rund 100 Menschen das achtgeschossige Gebäude beleben.
Derzeit ist das Fraunhofer-Center auf dem Campus der TU in Harburg untergebracht
Derzeit ist das Fraunhofer-Center noch auf dem Campus der Technischen Universität auf dem Schwarzenberg untergebracht. In drei verschiedenen Gebäuden. Jahn musste mehrfach neue Flächen anmieten, damit das CML wachsen konnte. 2016 entschied die Fraunhofer-Gesellschaft, im Binnenhafen ein eigenes Forschungsgebäude zu errichten. Als vor fünf Jahren der erste Architektenentwurf präsentiert wurde, arbeiteten 25 Angestellte und rund zehn Studenten am CML.
Inzwischen besteht das Center aus vier Geschäftsfeldern: Schiffs- und Flottenmanagement, Nautik und Seeverkehr, Hafen- und Terminalentwicklung sowie allgemein Hafentechnologie, etwa der Einsatz von mobilen Robotern für Wartungs- und Handlangeraufgaben auf den Terminals. Jahn zeigt dem Senator Bilder eines Roboterhunds, der auf seinen Arbeitswegen sogar Treppen steigen kann. Neue Roboter werden sich zukünftig im Erdgeschoss des Gebäudes auf einer 300 Quadratmeter großen, mit dem schnellen Internet des 5G-Standards ausgerüsteten Fläche austoben können.
Wie sind 14.000 Seefahrer auf 500 Schiffen zu verteilen?
Ein wichtiger Forschungs- und Anwendungsbereich ist die Digitalisierung von Managementaufgaben wie zum Beispiel die Personalplanung für Schiffsflotten. Wie sind 14.000 Seefahrer auf 500 Schiffen zu verteilen, wer sollte wann und wo im Einsatz sein? Um die beste Lösung zu finden, braucht es eine hohe Rechnerleistung. Das CML bietet Reedereien und anderen Anwendern Software-Lösungen an, die je nach Aufgabe unterschiedlich leistungsstark sind. Bis hin zum Quantencomputing, der nächsten Generation von Hochleistungs-Rechentechnik, die derzeit noch entwickelt wird.
Schon jetzt können die Forscher vom CML der Branche Angebote machen. Teamleiterin Anisa Rizvanolli nennt ein Beispiel: „Aida Cruises musste aufgrund von Pandemie-Auflagen neu planen. Es ging um die Frage, wie viel zusätzliches medizinisches Personal an Bord sein sollte, und wie viel Servicepersonal eingespart werden kann, weil die Schiffe nur mit halber Passagierkapazität fahren durften.“ Die Antwort lieferte eine Software made in Harburg.
Quantencomputing ist bei Fraunhofer ein großes Thema
„Quantencomputing ist bei Fraunhofer ein großes Thema, denn viele Anwendungen erfordern schnelle Rechnerleistungen“, sagt Jahn. „Es gibt bei uns ein Netz von zwölf Einrichtungen, die an dem Thema arbeiten, darunter auch wir. Zusammen mit drei Instituten planen wir, in einem ,Zentrum für industrielle Anwendungen Hamburg’ unsere Entwicklungen zu bündeln.“ Westhagemann ist begeistert: „Genau so etwas brauchen wir. Quantencomputing ist ein sehr wichtiges Zukunftsthema.“
Die Gastgeber führen den Senator auf das Gebäudedach. Hier steht ein Gerüst, das bald mit Antennen gespickt sein wird. Jahn nennt es den „steinernen Schiffsmast“: „Dort werden alle Antennen, die ein Schiff hat, installiert werden. Zusätzlich eine für das 5G-Netz. Wir können die Signale des Hamburger Hafens empfangen und mit ihnen arbeiten.“
Das Gebäude gliedert sich in Büro- , Labor und Werkstattbereiche. Zu den Neuanschaffungen gehören drei Schiffssimulatoren. Auf den virtuellen Schiffsbrücken lassen sich zum Beispiel Entwicklungen für autonome Schiffe testen. Jahn: „Die autonome Schifffahrt ist inzwischen auch ein Thema beim Nautischen Verein geworden“ – als er vor zehn Jahren in dem altehrwürdigen Verein darüber sprach, habe er nur Kopfschütteln geerntet. Westhagemann stimmt ihm zu: „Gerade angesichts des Fachkräftemangels sind autonome Systeme die richtige Antwort.“
Die Fraunhofer-Gesellschaft ist die größte Forschungsgesellschaft in Deutschland. Gegründet wurde sie 1949 und ist damit so alt wie die Bundesrepublik. Sie betreibt anwendungsorientierte Forschung und konzentriert sich auf zukunftsrelevante Schlüsseltechnologien, die für die Wirtschaft und Industrie wichtige Rollen spielen.
Mehr als 30 000 Mitarbeiter, überwiegend mit natur- oder ingenieurwissenschaftlicher Ausbildung, sind deutschlandweit an 76 Fraunhofer-Instituten und -Centern aktiv.
Die Finanzierung der Fraunhofer-Gesellschaft basiert auf drei Säulen: Grundfinanzierung, Finanzierung aus Aufträgen der Wirtschaft sowie öffentliche Projektfinanzierung. Sie ist gemeinnützig; Überschüsse werden nach der Satzung zur Förderung der Wissenschaft eingesetzt.
Das Fraunhofer CML wurde 2010 als Teil des Fraunhofer-Instituts für Materialfluss und Logistik gegründet und wird seitdem von Prof. Carlos Jahn geleitet. Ebenso das Institut für Maritime Logistik der Technischen Universität Hamburg.