Wilhelmsburg. Wilhelmsburger Wärmewende-Projekt verläuft anders als geplant. Warum neu gedacht werden muss.
Die Geothermie-Spezialisten von Hamburg Energie waren sich so sicher: In etwa 3000 Meter Tiefe unter Wilhelmsburg liegt heißes Wasser, mit dessen Energie man jeden Haushalt auf der Elbinsel heizen könnte. Eine Probebohrung in der Nähe des „Dockville“-Geländes sollte die Vermutung zur Gewissheit machen. Tatsächlich fand man das heiße Wasser in der vermuteten Tiefe. Allerdings lässt es sich nicht zur Energiegewinnung nutzen. Ganz lang wurden die Gesichter der Techniker und Wissenschaftler aber nicht.
Denn auf halbem Weg der Sondierung waren sie auf ein weiteres Warmwasservorkommen gestoßen. Dieses ist nutzbar. Auch hier gibt es jedoch einen Haken: Es ist mit 40 bis 60 Grad in 1300 Metern Tiefe nur etwa halb so heiß. Das, welches man eigentlich nutzen wollte, hätte 110 Grad mitgebracht. Um Wilhelmsburg mit Erdwärme zu heizen, muss sich Hamburg Energie etwas einfallen lassen. Man ist aber zuversichtlich, Lösungen zu finden.
Weiteres Warmwasservorkommen ist nur etwa halb so heiß
Die Geothermienutzung sollte ein zentraler Energielieferant des Projektes „Integrierte Wärmewende Wilhelmsburg“ (IW3) werden. In einer ersten Phase sollen mit IW3 10.000 Haushalte – alle in den geplanten IBA-Neubaugebieten sowie einige Tausend im zentralen Reiherstiegviertel – beheizt werden. Neben der Geothermie sollen dafür auch die Abwärme der Nordischen Ölwerke sowie Solarthermie aus dem Wilhelmsburger Energiebunker zum Einsatz kommen.
Dass die nutzbare Erdschicht nun weniger Wärme mitbringt, gefährdet IW3 wohl nicht existenziell. Allerdings wird einiges neu berechnet und noch näher erkundet werden. Im Turm drehen sich deshalb bereits wieder die Bohrstangen. Eine weitere Probebohrung soll detaillierte Erkenntnisse über den 1300-Meter-Horizont geben.
Thermalwässer haben Potenzial für geothermische Wärmegewinnung
„Wir konnten mit unserer Erkundungsbohrung erfolgreich nachweisen, dass im Hamburger Untergrund Thermalwässer fließen, die ein Potenzial für die geothermische Wärmegewinnung aufweisen“, sagt Kirsten Fust, Geschäftsführerin der Hamburger Energiewerke GmbH. „Damit sind wir unserem Ziel einen großen Schritt nähergekommen, grundlastfähige und lokale Ökowärme für Hamburger Haushalte zu gewinnen. Jetzt gilt es, auch die zweite Bohrung sicher in die Tiefe zu führen und die Ergebnisse der Fördertests abzuwarten.“
Die geologischen Profile, aus denen hervorgeht, dass es unter Wilhelmsburg heißes Wasser geben muss, stammen noch aus einer Zeit, als man mit seismischen Messungen unter Norddeutschland nach den klassischen fossilen Energieträgern Öl, Gas und sogar Kohle suchte. Da wasserführende Schichten für die Ölsucher uninteressant waren, nahm man sie zur Kenntnis, notierte sie, aber untersuchte sie nicht weiter. Das geschah erst jetzt.
Kaltes Wasser sollte an andere Stelle heißes herausdrücken
Die korrekte Vermutung, wie heiß dies Wasser sein würde, ließ sich aus der Tiefe ableiten. Das Tiefenwasser ist dort nicht als reines Wasserreservoir vorhanden, sondern in Sandstein- und Sedimentschichten wie in einem Schwamm gelagert. Das Prinzip der Wärmegewinnung sollte sein, an einer Stelle neues, kälteres Wasser in diesen Schwamm einzuleiten, um so an anderer Stelle heißes Wasser herauszudrücken. Dies würde oberirdisch in einem Wärmetauscher seine Energie abgeben und über die Injektionsbohrung wieder eingeleitet werden. Das zugeführte Wasser würde sich unter der Erde wieder erwärmen, bis es einen Kilometer von der Injektionsleitung entfernt wieder an der Förderleitung ankommt.
Fast alle Vermutungen der Probebohrer hatten sich bewahrheitet. Nur der Sandstein, in dem das 110 Grad heiße Wasser gelagert ist, spielt nicht mit: Er ist nicht durchlässig genug für das nachhaltige Injektionsverfahren und damit insgesamt auch zu trocken. Der Horizont in der mittleren Tiefe scheint eher geeignet. Nur, dass das Wasser nicht die gewünschte Temperatur hat. Auf diese könnte es beispielsweise mit einer Wärmepumpe gebracht werden. Die Techniker-Köpfe rauchen bereits. Grundsätzlich ist man jedoch optimistisch.
Eine von sehr wenigen Geothermieanlagen in Norddeutschland
„In Wilhelmsburg sind wir auf ein vielversprechendes Thermalwasservorkommen gestoßen, welches Anlass zu der Hoffnung gibt, dass wir hier und vielleicht auch an anderen Stellen die Geothermie für die Wärmewende einsetzen können“, sagt Hamburgs Umwelt-Staatsrat Michael Pollmann (Grüne). Auch Geschäftsführerin Kirsten Fust ist zuversichtlich und ein bisschen stolz: „Es gibt erst 42 Geothermieanlagen in Deutschland und davon nur sehr wenige in Norddeutschland“, sagt sie. „Wir leisten hier spannende Pionierarbeit.“