Hamburg. Deich soll langfristig ertüchtigt werden. Häuser und Bäume werden weichen müssen, sagt die Behörde. Wann die Maßnahmen beginnen.

Wird das Hamburger Dorf Cranz demnächst radikal sein Gesicht verändern, wo doch erst vor fünf Jahren eine Erhaltungsverordnung die Gemüter im Stadtteil erhitzte? Demnächst nicht, sagt die Umweltbehörde. Über die nächsten 80 Jahre aber sollen nach und nach Häuser weichen, die auf dem Estedeich stehen oder in den Deichkörper hineinreichen. Welche das sind, wollte man bei einer Informationsveranstaltung noch nicht sagen. Im Ort und in der Kommunalpolitik wird die Behörde deshalb kritisiert.

„Informationsveranstaltung: Konzept zum Umgang mit den Sekundärdeichen“ ist die Mitteilung überschrieben, die die Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) Mitte Juni über den allgemeinen Senatsverteiler hinausschickt. Ein Titel, der kaum reizt, weiterzulesen. Tut man es dann doch, stolpert man über einen Satz, der besagt, dass die Behörde „den Eingriff in die Kulturlandschaft und in die Privatrechte von Anwohner:innen in einem dem Hochwasserrisiko angemessenen Maße zu halten“ gedenkt. Auch die Betroffenen sind über die vergangene Woche online abgehaltene Informationsveranstaltung wenig informiert: „Ich habe durch Zufall in der Bürgerschaft davon erfahren“, sagt die Grünen-Bürgerschaftsabgeordnete Gudrun Schittek aus Cranz. „Und konnte so noch viele Menschen im Ort informieren. Ähnlich ging es auch den Menschen in den anderen betroffenen Stadtteilen.“

In Niedersachsen hatte es schon mehrfach große Aufregung gegeben

Sekundärdeiche sind die Deiche der Elbzuflüsse, die üblicherweise durch Sperrwerke, Schleusen oder Siele vom Hauptstrom der Elbe abgetrennt sind. Wenn bei einem Elbhochwasser die Sperrwerke versagen oder gar überspült werden, oder wenn die Sperrwerke bei Sturmflut lange geschlossen bleiben müssen und das Wasser aus den Nebenflüssen sich aufstaut, bilden die Sekundärdeiche die zweite Hochwasserschutzlinie.

Den Behörden, die für den Katastrophenschutz zuständig sind, ist es deshalb wichtig, dass auch die Sekundärdeiche – in Hamburg bislang lediglich die an Este, Billwerder Bucht und Dove-Elbe; bei Öffnung der Alten Süderelbe auch der Finkenwerder Süderdeich – in ihrer Schutzfunktion nicht beeinträchtigt sind.

In Niedersachsen hatte es in den vergangenen Jahren schon mehrfach große Aufregung gegeben, weil die Hochwasserschutzbehörden den Abriss gerade repräsentativer alter Häuser entlang der Lühe und der Schwinge forderten, weil sie auf dem Deich oder in den Deich gebaut waren. Jahrhundertelang war das üblich gewesen.

Orte wie Grünendeich oder Estebrügge verdanken den Deichhäusern ihre Attraktivität

Viele Orte sind so erst entstanden: Ein Ringdeich, auf dem die Häuser stehen, deren Bewohner die Felder im Inneren des Deichrings bestellen, war vor 700 Jahren die Weiterentwicklung der Warft und das Erfolgsrezept für die Kultivierung der europäischen Marschlandschaften zwischen Unterelbe und Scheldemündung. Die Häuser veränderten sich mit den Jahrhunderten, das Prinzip blieb – zumindest im Hinterland, während am Hauptstrom wieder und wieder die Deiche erhöht wurden. Orte, wie Grünendeich oder Estebrügge verdanken den Deichhäusern ihre Attraktivität. Entsprechend erbost war man dort über die nun offenbar gewordenen Pläne.

Diese Art von Ärger wollte sich die BUKEA eigentlich ersparen. Nach ihrem Konzept soll längst nicht jedes Haus vom Este-Deich verschwinden und es muss auch niemand demnächst ausziehen. Noch, so kann man den Präsentationsfolien der Veranstaltung entnehmen, sammelt man Informationen. Die BUKEA-Experten schätzen, dass von den 32 Cranzer Häusern im Estedeich nur zehn Häuser näher betrachtet werden müssen.

Nicht alles, das den Deichkörper berührt, gefährdet ihn

Zum Behördenkonzept gehört eine differenzierte Betrachtungsweise des Deichs: Nicht alles, das den Deichkörper berührt, gefährdet ihn demnach automatisch. Langfristig unberührt bleiben muss ein virtuell errechneter Kernbereich des Deichs. Dagegen könnten zehn Gebäude und 40 alte Bäume verstoßen.

Enteignungen soll es in diesen Fällen nicht geben. Die Stadt sichert sich dann die Vorkaufsrechte auf diese Häuser. Bis zum Jahr 2300 soll der Gesamtprozess abgeschlossen sein.

„Das klingt nach einem schonenden Konzept“, sagt Gudrun Schittek. „Aber wenn ein Drittel der Häuser im Deich fehlen, ändert das das Ortsbild erheblich. Und welche 10 Häuser untersucht werden, wurde auch nicht gesagt. Hier herrscht große Unsicherheit. Der Hochwasserschutz geht selbstverständlich vor, aber man muss die Menschen auch mitnehmen! Die völlig unzureichende Ankündigung der Informationsveranstaltung und die Tatsache, dass die Harburger Bezirkspolitik quasi ausgesperrt war, weil die Veranstaltung parallel zur Bezirksversammlungssitzung stattfand, war da schon mal ein ganz schlechter Auftakt. Das kann auch meiner Partei noch schwer auf die Füße fallen, weil die Behörde ja Grünen-geführt ist. In unser eigentlichen Hochburg Altes Land verlieren wir damit Vertrauen. Die Grünen in Niedersachsen mussten das schon feststellen.“