Harburg. FDP hatte vorgeschlagen, mit dem Slogan für Harburg zu werben. Idee stößt auf Skepsis, vor allem bei Geschäftsleuten mit Migrationshintergrund

Die Harburger Fußgängerzone als „Little Istanbul“? Der Vorschlag des FDP-Bezirksabgeordneten Hendrik Sander stößt auf ein geteiltes Echo. In den sozialen Medien hagelte es ablehnende Kommentare, aber es war auch einige Zustimmung darunter. Sanders‘ Idee war es eigentlich, die Eingewanderten als eine Stärkung Harburgs zu begreifen und sich diese Stärke gezielt zunutze zu machen, indem man beispielsweise große türkische Marken nach Harburg holt. Allerdings stößt das Konzept „Little Istanbul“ selbst bei türkischen Einwanderern auf Skepsis – und es wirft eine Frage auf: Wie geht die Stadt Harburg – Amt, wie Bürger – mit der Tatsache um, dass hier besonders viele Bürger aus Einwandererfamilien kommen oder selbst eingewandert sind?

Der Bezirk hat sich das Leitbild „Zusammenleben in Vielfalt“ gegeben. Wird es mit Leben gefüllt, oder beäugen sich Bevölkerungsgruppen weiter misstrauisch? Die Meinungen gehen auseinander.

„Ich hätte mit mehr Ablehnung gerechnet“, sagt FDP-Vorsitzender Kurt Duwe

„Ich hätte eigentlich mit mehr Ablehnung gerechnet“, sagt Harburgs FDP-Vorsitzender Kurt Duwe. „Aber bei den Anrufern hielten sich Gegner und Befürworter der Idee die Waage.“

Eine Stunde lang diskutierten Duwe und Sander im Harburger Museum über die Little Istanbul-Idee. Gekommen waren ein gutes Dutzend Gäste. Einig waren sie in einem Punkt: Die Lüneburger Straße bedarf dringend einer Belebung, um wieder Aufenthaltsqualität zu gewinnen. Hendrik Sander sah in der Zunahme des Gastronomieangebots einen guten Ansatz dazu. „Diese Restaurants sind zwar größtenteils orientalisch, aber sie werden auch von deutschstämmigen Harburgern besucht“, sagt er. „Man könnte auch versuchen türkische Qualitätsprodukte hier zu etablieren. Die Brautmodengeschäfte beispielsweise sind ein guter Frequenzbringer für die Harburger Innenstadt.“

„Die Nationalität der Geschäftsinhaber sollte dabei zweitrangig sein!“

Celal Cengiz vom Geschäftsleuteverband „Unternehmer ohne Grenzen“ war nicht zu der Diskussion gekommen. Er hält nicht viel von der Idee: „Was die Lüneburger Straße braucht, ist ein vernünftiger Branchenmix“, sagt er. „Die Nationalität der Geschäftsinhaber sollte dabei zweitrangig sein. Es gibt allerdings einige wirtschaftliche Erfolgsgeschichten in Harburg, die mit Migration zu tun haben, und auf die man stolz sein kann: Die Festsäle sind beispielsweise auf Monate ausgebucht und machen Harburg bekannt.“

Die Vorsitzende des SPD-Distrikts Harburg-Mitte, in dem die Lüneburger Straße liegt, hat selbst türkische Wurzeln. „Diese Idee birgt die Gefahr einer Stigmatisierung“, sagt Oksan Karakus. „Viertel, wie Little Italy oder Chinatown in New York werden kulturell oft mit Mafia und anderen undurchsichtigen Machenschaften assoziiert. Außerdem ist „Little Istanbul“ völlig unzutreffend: Die meisten Menschen, die man in der Lüneburger Straße sieht, sind gar keine Türken. Der Großteil dieser Menschen kommt aus Syrien, Afghanistan, Bulgarien und Albanien.“

„Was wir brauchen, ist eine bessere Durchmischung“

Integration sei keine Einbahnstraße, bei der man immer nur auf die Einwanderer zugehen müsse, sagt die Juristin Karakus: „Auch in Harburg ist die größte Bevölkerungsgruppe immer noch deutschstämmig und ein Großteil der Einwanderer orientiert sich an europäischen Werten. Diese Menschen muss man berücksichtigen und mitnehmen! Was wir brauchen, ist eine bessere Durchmischung und nicht das Schaffen von Migrantenquartieren.“

Der Bezirk Harburg hat sich das Leitbild „Zusammenleben in Vielfalt“ gegeben. Bürger und Beamte sollen die Vielzahl der Kulturen, die hier zusammenkommen, als Chance begreifen, und nicht als Makel. Positive Beispiele gibt es genug: Bei der Flüchtlingswelle 2015/16 waren es Harburgerinnen und Harburger, die selbst Migrationsgeschichte haben, die am schnellsten und effektivsten handelten. Das ehrenamtliche „Teemobil“ an der Erstaufnahme Poststraße war eine spontane, niedrigschwellige Gelegenheit für Neuankömmlinge, Kontakt zu Helfern zu bekommen und fand weit über Harburg hinaus Aufmerksamkeit. In diesen Tagen sind es hier lebende Ukrainer – und auch nicht wenige Russen – die dafür sorgen, dass ukrainische Flüchtlinge hier gut ankommen. Der Harburger Integrationsrat ist eine Erfolgsgeschichte, die tatsächlich auf das Leitbild zurückgeht.

Immer noch lange Schlangen in der Ausländerabteilung des Bezirksamtes

Es gibt aber auch genügend Beispiele, dass das Leitbild Theorie bleibt: „Die Ausländerabteilung im Bezirksamt ist die einzige Institution, an der Menschen immer noch lange Schlange stehen müssen“, merkt beispielsweise Unternehmer Cengiz an. „Bei allen Rathausmitarbeitern scheint das Leitbild nicht angekommen zu sein.“ Dabei bietet das Bezirksamt Fortbildungen an und veranstaltet einmal im Jahr einen „Diversity Day“ für die Belegschaft. Die Teilnahme ist jedoch freiwillig. Und das selbstgesteckte Ziel, mehr Mitarbeiter mit Migrationshintergrund im Bezirksamt einzustellen, hat arbeitsrechtliche Grenzen: Der familiäre Hintergrund von Arbeitnehmern geht Arbeitgeber nichts an und darf erst recht kein Einstellungskriterium sein.

Auch außerhalb des Rathauskomplexes muss die Liebe zur Vielfalt einigen noch vermittelt werden: „Wir haben viele Veranstaltungen, wie das Vielfaltsfest oder unsere Beteiligung am Binnenhafenfest und Sommer im Park“, sagt Xenija Melnik, Vorsitzende des Harburger Integrationsrats, „aber es gelingt uns kaum, die Brücke zur deutschen Bevölkerung zu schlagen. Da muss man sich noch etwas einfallen lassen.“

Nun war das Bezirksamt bislang auch nicht gerade geschickt darin, die Vielfaltsziele so zu kommunizieren, dass es jeden mitnimmt. Die Bürgerbeteiligung zur zweiten Auflage des Konzeptes fand coronabedingt online statt, ohne, dass viele Menschen davon etwas mitbekamen: 20 Stellschilder in der Harburger Innenstadt wiesen zwei Wochen lang darauf hin – zur Zeit des ersten Lockdowns, in der die Bevölkerung aufgerufen war, zu Hause zu bleiben. Textlastig verfasst und nur auf Deutsch, sprachen sie keinen Passanten an. Eine Pressemitteilung kurz vor Ende der Onlinebeteiligung kam zu spät – erst recht die zur Finalrunde, die freitagabends vor Pfingsten verschickt wurde. So diskutierten in der Bürgerbeteiligung hauptsächlich die, die schon Projekte im alten Leitbild hatten und diese fortschreiben ließen. Das muss nichts Schlechtes heißen, aber eine Brücke zu Menschen, die man bislang nicht erreicht hat, schlägt man so kaum.