Harburg. Helge Adolphsen ist emeritierter Hauptpastor des Michel. Er lebt in Hausbruch. Seine Kolumne erscheint im Zweiwochenrhythmus.

In Deutschland gibt es ca. 2400 Moscheen, 1250 hauptamtliche Imame und gut 1000 ehrenamtliche. Die meisten kommen aus dem Ausland. Viele beherrschen nicht die deutsche Sprache.

Immer wieder liest und hört man, dass sich junge Menschen in den Moscheen radikalisieren. Schlagzeilen machte auch die Behauptung, dass Imame von dem türkischen Präsidenten Erdogan und von Organisationen in Saudi-Arabien ferngesteuert werden.

Wie stehen Moscheegemeinden zu Demokratie und Gewalt?

Daraus ergeben sich berechtigte Fragen: Wie stehen die Moscheegemeinden zur Demokratie und Gewalt? Ist es angemessen, dass so viele Imame in bewundernswerter Weise den Koran vorbeten, aber kein Wort Deutsch sprechen? Wird damit die Integration der Muslime bewusst erschwert?Am Tag der deutschen Einheit 2010 sagte der ehemalige Bundespräsident Christian Wulff: „Der Islam gehört zu Deutschland.“ Das führte und führt bis heute zu Kontroversen und heftigen Debatten.

Aber Einiges hat sich getan. Inzwischen gibt es sieben Ausbildungsstätten für Imame in Deutschland. Den Anfang machte die „Deutsche Islam-Konferenz“ im Jahr 2009. Sie empfahl, das Studienfach „Islamische Theologie“ an deutschen Universitäten einzurichten. Drei Jahre später wurde das „Institut für islamische Theologie“ in Tübingen gegründet. Es bildet auch Lehrer für den islamischen Religionsunterricht an Schulen aus.

Aufmerksamkeit erregte genau vor einem Jahr der Start des progressiven „Islamkolleg Deutschland e.V.“ in Osnabrück. Dem ging ein jahrelanges Ringen und Kämpfen mit vielen Widerständen voraus. Das auch hier bewusst gewählte Wort „Deutschland“ weist darauf hin, dass die erwähnten kritischen Fragen zu Moscheen und zur Integration der Muslime ernstgenommen werden. Das Besondere ist genau wie beim „Zentrum für Islamische Theologie“ in Münster, dass das Kolleg in die Universität integriert ist. In Osnabrück folgt nach dem Studium die Ausbildung zum Imam. Sie lernen zu predigen, den Koran zu rezitieren, Gemeindegruppen zu leiten und Seelsorgegespräche fachgerecht zu führen. Letzteres ist die Voraussetzung für den Dienst in Krankenhäusern, Gefängnissen und Hospizen.

Diese Ausbildung ist mit der zweijährigen praktischen Vorbereitungszeit in der evangelischen und katholischen Kirche vergleichbar, die nach dem Studium an der Universität geschieht. Interessant ist, dass sich unter den 30 Kollegiaten gut 20 Prozent Frauen befinden. Man nennt die Auszubildenden geschlechtsneutral „Betreuungspersonal“ – ganz auf der Höhe der Zeit.

Moscheen werden von Vereinsvorständen geleitet, nicht vom Imam

Dass Imame nicht die Leiter von Moscheen sind, ist weithin unbekannt. Geleitet im rechtlichen Sinn werden Moscheen von den Vereinsvorständen. Imame sind Angestellte, sind Vorbeter, Korangelehrte und auch Ratgeber in den islamischen Ritualen. Aber eines ist nicht erreicht: Es gibt noch keine weiblichen Imame. Darüber entscheidet nicht das Kolleg in Osnabrück, sondern die Moscheegemeinden.

Ich denke zurück an die 90er Jahre. Da hat man beim Bau von Moscheen Räume für Frauen noch völlig vergessen! Aber bereits damals haben die Frauen gekämpft und sich dann später den Weg in die praktische Ausbildung zu Imaminnen erstritten. Heute unterrichten sie als Lehrerinnen, richten kleinere oder größere Feiern aus und leiten das Gebet mit Frauen. Sie werden sich weiter dafür einsetzen, dass es irgendwann auch offiziell Imaminnen mit allen Rechten und Pflichten in unserem Land gibt. Aber dass dieser Weg viele Hindernisse haben wird und mit dem Beharren auf alten Traditionen und Vorurteilen gepflastert ist, habe ich schon bei der Frauenfrage in den evangelischen und heute zunehmend auch in der katholischen Kirche erlebt. In den 70er Jahren stritten evangelische Theologinnen um die gleichberechtigte Ordination und um die Leitung der Gemeinden. Heute studieren über 50 Prozent Frauen evangelische Theologie, die Zahl der Pastorinnen in den Gemeinden steigt.

Die Debatte über die Gleichstellung von Frauen und Männern in den Religionen ist allerdings auf Deutschland und z.T. auf Europa beschränkt. Man darf nicht vergessen, dass der Islam und die katholische Kirche Weltkirchen sind. In Afrika und Asien spielt die Frage, ob Frauen in geistliche Ämter kommen können, eine unbedeutende Rolle. Das ist für die Frauenfrage im Islam und in der Katholischen Kirche immer auch mit zu bedenken. Es ist erfreulich, dass jedenfalls in unserem Land auch für muslimische Frauen der Satz „Der Islam gehört zu Deutschland“ ein Hoffnungs- und Mutmachsatz ist.