Harburg/Neugraben. Schuldnerberatung verzeichnet deutlich mehr Besucher – Helfer der Tafeln brauchen dringend Unterstützung
Steigende Energiepreise, dazu eine Inflationsrate von mehr als sieben Prozent durch die sich die Lebensmittelpreise in den vergangenen Wochen und Monaten teils massiv erhöht haben. Ein unbeschwerter Einkauf im Supermarkt, ein neues Kleidungsstück – für viele Menschen, auch mit einem geregelten Einkommen, wird es immer schwieriger, die allgemeinen Lebenshaltungskosten zu decken. Und dass, wo viele Familien noch von der Corona-Pandemie gebeutelt sind. Viele Arbeitnehmer kommen aus der Kurzarbeit und kleinere Selbstständige, wie Taxifahrer oder Kosmetikerinnen, verzeichneten über Monate überhaupt kein Einkommen. Für sie blieb oft nur die Flucht unter den Schutzschirm des Staates oder Hartz IV. Die Schuldenfalle schlägt in vielen Schichten der Gesellschaft zunehmend durch.
„In einigen Fällen fordert der Staat bereits jetzt gezahlte Corona-Soforthilfe zurück. Viele ehemalig finanziell gesunde Kleingewerbetreibende stellt das vor existenzielle Probleme“, sagt Daniela De Matteis, stellvertretende Vorsitzende des Vereins Schuldenhilfe Sofort. Rund 20 Prozent mehr Fälle als zur Vor-Coronazeit habe man aktuell zu bearbeiten. Viele Fälle blieben dennoch unentdeckt, weil sich die Betroffenen schämen und der Berg an Rechnungen übermächtig zu werden scheint.
„…und plötzlich überschuldet“
Ende vergangener Woche beteiligte sich der Verein daher an einer bundesweiten Aktionswoche der Schuldenberatungsstellen unter dem Motto: „…und plötzlich überschuldet“. Beratungsstellen boten unter anderem Late-Night-Beratungen an, an Infotischen in Neugraben, Winsen und Buchholz klärte der Verein über die wichtige Arbeit auf. „Während es in Harburg häufig um Mietschulden oder die Energiesicherung geht, sind es im Landkreis häufiger Fälle, bei der es um die Sicherung des Einfamilienhauses geht“, so Schuldenprofi De Matteis.
„Überschuldung kann jeden treffen, und das mitunter ganz plötzlich! Ändern sich die Lebensumstände – durch Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Kurzarbeit – ist die Gefahr der Überschuldung groß, auch für Personen, die bisher nicht damit gerechnet haben, in finanzielle Schieflage zu geraten“, erklärt De Matteis.
„Finanzierungen von Eigenheimen, Autos oder Smartphones können in Krisensituationen z.B. plötzlich nicht mehr bedient werden. So kann die wirtschaftlich gewollte und gesellschaftlich akzeptierte Verschuldung schnell in eine Überschuldung umschlagen“, ergänzt ihr Kollege Qzan Yildiz auf Nachfrage. Viele Menschen würden dann schnell verzweifeln und auch seelisch unter den Folgen leiden. Häufig werden Briefe nicht mehr geöffnet, Mahnungen liegen gelassen. Dabei sei es wichtig schnell zu reagieren, um gar nicht erst in die Überschuldung zu geraten. Am besten präventiv.
„Der Weg zur professionellen Hilfe soll so barrierefrei wie möglich sein“
„Wenn man absehen kann, dass einem die Schulden über den Kopf wachsen oder man Kredite nicht mehr regelhaft bedienen kann, ist Kommunikation das A&O“, rät De Matteis, „der Weg zur professionellen Hilfe soll so barrierefrei wie möglich sein. Diesen Menschen kann man nur raten, gehen sie zu einer Schuldenberatungsstelle, oft gibt es eine Lösung“, sagt die Schuldenberaterin.
Die Beratung ist in Hamburg in den meisten Fällen komplett kostenlos, in sehr seltenen Fällen und bei einem hohen Gehalt kann es eine Beteiligung von 180 Euro kosten oder auch zu einer Gutscheinlösung kommen. Und auch in Niedersachsen seien die Regelungen für eine kostenlose Betreuung gut, dort richten sich die Kosten nach dem zur Verfügung stehenden Einkommen, etwa in Höhe der Pfändungsfreibeträge.
In Hamburg gibt es eine Vielzahl von Beratungsstellen, einen guten Überblick bekommt man unter: www.hamburg.de/beratungsstellen/, eine von den elf in Hamburg zugelassenen Trägern ist der Verein www.schuldenhilfe-sofort.de. Er berät zurzeit noch ohne lange Wartezeiten und hat auch Beratungsbüros in Lüneburg, Winsen und Buchholz. Eine Übersicht bekommen Interessierte auf der Website des Landkreises Harburg unter www.landkreis-harburg.de.
Kundenzahl bei der Tafel fast verdoppelt
Das die Armut seit der Coronakrise zugenommen hat, erlebt man täglich bei der Harburger-Tafel. Doch aktuell seien die Probleme besonders groß. Die gestiegenen Preise für Dinge des täglichen Bedarfs steigern bei den Lebensmittelrettern die Kundenzahl und auch der Ukrainekrieg sorgt dafür, dass zahlreiche Geflüchtete sich dort mit Lebensmitteln zu versorgen versuchen. „Die Anzahl der Menschen, die durch uns versorgt werden, hat sich in den zurückliegenden beiden Monaten fast verdoppelt“, sagt Jens-Peter Polzin von der Harburger Tafel. „Hatten wir in der Zeit vor Corona rund 80 bis 100 Kunden, sind es aktuell mehr als 150 Kunden pro Tag und an den Spitzentagen knapp 200. Das bringt uns an die Grenze des Machbaren.“
Denn zur Raum- und Spendennot gibt es kaum freiwillige Menschen, die sich ehrenamtlich engagieren möchten. „Es fehlt an Lebensmittelspenden und an Personal für unser Team“, sagt er. „Dabei wären wir unbedingt auf dauerhafte zusätzliche Hilfe angewiesen.“
Diese kommenden Aufgaben könne man nur in einem starken und personell gut aufgestellten Team lösen. Einen Aufnahmestopp für Neukunden wie bei anderen Tafel-Ausgabestellen solle es dennoch zunächst nicht geben. „Wir verringern etwas die Ausgabemenge pro Kunde und verteilen das was da ist, einfach auf mehr Köpfe“, so Polzin. Was deutlich wird: Auch in den scheinbar wohlhabenden Landkreisstädten tritt immer häufiger eine strukturelle Armut zu Tage. „Es gibt keinen Unterschied mehr zwischen unserem Hauptsitz in Harburg und der Ausgabestelle in Neuwiedenthal, zu unseren Landkreisstädten Buchholz und Winsen. Auch in den scheinbar gut situierten Städten haben wir mehr Zulauf als vorher“, so der engagierte Ehrenamtler.