Harburg. Vor dem Harburger Amtsgericht muss sich ein 37-Jähriger verantworten, der aus Protest die Autobahn blockiert haben soll.
Verkehrskollaps für ein politisches Statement. Um auf einen bewaffneten Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien aufmerksam zu machen, hatten am 16. Oktober 2020 rund 200 Personen mit 50 Fahrzeugen die A 1 auf Höhe der Norderelbbrücken blockiert. Damit lösten die Beteiligten ein Verkehrschaos aus, dass über mehrere Stunden anhielt. Nun folgen die Gerichtsverfahren. Seit kurzer Zeit stehen die Beteiligten in Harburg vor dem Amtsgericht. Es geht um den Vorwurf der gemeinschaftlichen Nötigung. Doch die Suche nach den Rädelsführern und den Fahrerinnen und Fahrern der privaten Kraftfahrzeuge gestaltet sich ausgesprochen schwierig.
So auch am Freitagmorgen vor dem Saal A 2.01 im Amtsgericht Harburg. Die Strafkammer des Gerichtes verhandelt gegen einen 37-jährigen Armenier, der im Verdacht steht, sich mit einem schwarzen Mercedes an der Blockade der Autobahn in Richtung Süden beteiligt zu haben. Vor dem Gerichtssaal berät sich der Angeklagte mit seinem Verteidiger. Janek T. wehrt sich gegen einen Strafbefehl über eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Er sei unschuldig, sagt er.
Angeklagter: „War selbst genervt von der Blockade!“
Denn er sei gar nicht selbst zur Blockade gefahren, sondern hätte nur das Dienstfahrzeug seiner Firma wieder entfernt und deshalb sei der Vorwurf der Nötigung nicht haltbar, so der Angeklagte und sein Anwalt. Richtig sei, dass man sich an jenem Freitagmorgen mit etwa 200 Personen in etwa 50 Fahrzeugen um kurz nach halb fünf Uhr morgens auf einem Ikea-Parkplatz in Moorfleet getroffen habe – alles organisiert per WhatsApp-Gruppe. Dessen Ersteller kenne Janek T. allerdings nicht, sagt er. Die Gruppe sei inzwischen bereits gelöscht.
Ein Freund, dessen Namen er nicht nennen möchte, hätte ihn mit auf den Kundenparkplatz genommen, um dann gemeinsam zu einer Protestaktion vor dem türkischen Konsulat im Mittelweg zu fahren. Auf dem Weg zu dem Protest, hätten dann plötzlich die vorderen Fahrzeuge auf der Autobahn abgebremst und die Warnblinkanlage eingeschaltet, so der Beschuldigte. Der Protestzug blieb einfach stehen, davon sei T. selbst zu diesem Zeitpunkt noch überrascht gewesen, denn davon, so beteuert der Angeklagte weiter, hätte er vorher nichts gewusst.
Verkehrskollaps: Es bildete sich ein 12 Kilometer langer Stau
Er sei vielmehr davon ausgegangen, dass man wie einige Tage zuvor friedlich vor der türkischen Vertretung demonstrieren wolle. Dann habe der Prokurist einer Autovermietung ein Familienmitglied, dessen Namen er ebenfalls nicht nennen möchte, zufällig auf der Autobahn getroffen und habe bemerkt, dass dieser mit einem Mietfahrzeug seiner Firma die Autobahn blockiere.
Er selbst habe den Protest als sehr gefährlich empfunden und sei sehr ärgerlich gewesen, auch über den namenlosen Verwandten, der ihm dann auf der Autobahn die Schlüssel des Dienstwagens überlassen habe, um ihn später von der Autobahn zu fahren. Dabei hätten die Polizeibeamten vor Ort seine Personalien und die Fahrzeugpapiere kontrolliert.
Er habe die Protestaktion explizit beenden wollen – und sei deshalb zu Unrecht angeklagt, sagt der 37-Jährige. Man müsse ihm Glauben, er sei wirklich genau so sauer gewesen, wie die Menschen die auf ihrem Weg zur Arbeit, die in dem später mehr als zwölf Kilometer langen Stau im gesamten Stadtgebiet gestanden hatten.
Ob diese Ausführungen stimmen könnten, wollte die Richterin gerne mit einem Zeugen überprüfen, der nicht zu den Aktivisten des Protests gehörte, aber als einer der ersten Autofahrer mitten in der Blockade steckte. Doch dieser war trotz Ladung nicht zu seinem Befragungstermin erschienen.
Polizistin erinnert sich nicht an den Angeklagten
In der Folge wurde eine Polizeibeamtin in den Zeugenstand gerufen, die mit der Personalienfeststellung betraut gewesen war. An den Angeklagten konnte sie sich nicht erinnern, wie sie mehrfach betonte. Allerdings habe sie gemeinsam mit Kollegen die Personalien der Fahrer kontrolliert und da saß eben Herr T. am Steuer, so die Polizistin. Allerdings habe sie in ihrem Bericht vermerkt, dass Janek T. schon auf der Autobahn behauptete, nicht der Fahrer zu sein, der das Fahrzeug auf der Autobahn parkte, hielt ihr der Anwalt des Angeklagten entgegen.
Die Polizistin konnte sich dennoch nicht erinnern. Eine zweite befragte Polizeibeamtin sagte, sie habe den Angeklagten bereits auf dem Gerichtsflur erkannt, sein Gesicht sei ihr bekannt vorgekommen. Sie sei mit einer Kollegin und einer weiteren Streifenwagenbesatzung zuerst am Tatort eingetroffen. Der Angeklagte habe sich als Ansprechpartner zur Verfügung gestellt, dass er dabei dem Protest auf der Autobahn skeptisch gegenüberstand oder ihn gar ablehnte, habe sie zu keinem Zeitpunkt erkennen können, sagt die Beamtin.
Verkehrskollaps: Zeugin
Ganz im Gegenteil, der Angeklagte hätte ihr noch die Forderungen der Autobahnbesetzer überbracht und mitgeteilt, dass man die Presse vor Ort haben wolle, damit der Konflikt zwischen Aserbaidschan und Armenien zum Thema werde.
Doch auch die Medien waren nicht durch den Verkehr gekommen. Da der Einsatz kurz vor ihrem Schichtende begann, habe sie den Einsatz dann an den Dienstgruppenleiter der Folgeschicht übergeben. Auch in ihrer Aussage offenbarten sich Erinnerungslücken, vieles habe sie später über Funk gehört. Da der Einsatz schon mehr als anderthalb Jahre zurückliege, bat sie die Richterin um Verständnis, nicht mehr alle Details zu kennen. Um den Tatvorwurf abschließend klären zu können, werden weitere Zeugen geladen. Der Prozess wird am 13. Mai um 9 Uhr fortgesetzt.