Buchholz. Traceless-Gründerinnen wurden mehrfach ausgezeichnet. Ihr Versprechen: Sollte es in die Natur gelangen, verschwindet ihr Material spurlos

Die sandig-orangene Substanz, die in einem kleinen Gefäß noch etwas streng nach Getreide riecht, soll nicht weniger als eine kleine Revolution bei der Entwicklung einer natürlichen Alternative für Plastik auslösen. Anne Lamp und Johanna Baare haben schon einige Förderpreise eingeheimst, zudem stehen die Investoren bei ihnen Schlange. „Wir haben drei bis fünf Anfragen pro Woche“, erzählt die 31 Jahre alte Anne Lamp: „Mir fällt kein Unternehmen ein, dessen Kunden den Einsatz von Plastik gut fänden.“

Das multikulturelle Team von Traceless Materials in Buchholz tüftelt Tag und Nacht an innovativen Materialien - die Verfahrenstechniker und Chemiker kommen neben Deutschland aus der Türkei, Frankreich, Italien, Indien und China. In einem einer großen Garage ähnlichen Labor entwickeln sie den Stoff, der nicht nur völlig abbaubar ist, sondern sich auch kostengünstig herstellen lässt.

Vergleichbare Lösungen woanders nicht zu finden

„Von unseren Kunden bekommen wir die Rückmeldung, dass vergleichbare Lösungen woanders nicht zu finden sind“, erzählt die ein Jahr ältere Johanna Baare, die das Wirtschaftliche im Blick hat. Sie wollen nicht nur einen grünen Anstrich, sondern ein kompromisslos nachhaltiges Produkt. Herkömmliche Bio-Kunststoffe mit ökologischen Schwachstellen gebe es genug. So sind der Laborraum der Pilotanlage und die Büros auch nur mit gebrauchten Möbeln eingerichtet, statt Papierrollen zum Wegwischen wird hier in den Sack alter T-Shirt-Fetzen gegriffen.

 Johanna Baare von Traceless Materials. Ihr Start-up in Buchholz entwickelt kompostierbare Alternativen zu Kunststoffen und arbeitet an Lösungen für das globale Plastikproblem.
Johanna Baare von Traceless Materials. Ihr Start-up in Buchholz entwickelt kompostierbare Alternativen zu Kunststoffen und arbeitet an Lösungen für das globale Plastikproblem. © dpa | Philipp Schulze

Sie wollen die globale Plastikverschmutzung an Land sowie im Wasser beenden. Ihre zum Patent angemeldete Technologie soll es ermöglichen, pflanzliche Nebenprodukte der Agrarindustrie zur Herstellung eines Basismaterials für Folien, feste Materialien und hauchdünne Beschichtungen zu verwenden, die die guten Eigenschaften von Kunststoffen bieten und in der Natur vollständig abbaubar sind.

Viele Forschungsprojekte an Universitäten

Experten beobachten, dass es viele Forschungsprojekte an Universitäten gibt, das Problem ist allerdings oft die Entsorgung. Es existieren unzählige laufende Projekte und Ankündigungen hinsichtlich der Herstellung von biobasierten/bioabbaubaren Kunststoffen aus (agrarischen) Reststoffen, heißt es auch aus dem Umweltbundesamt. „Es ist uns zum jetzigen Zeitpunkt jedoch keine Produktion solcher Materialien im industriellen Maßstab bekannt“, sagt Kunststoff-Experte Yannick Heni vom Bundesamt.

„Wir wollen ja nicht, dass alles in der Natur landet.“

Es stelle sich auch die Frage, bei welchen Produkten es Sinn mache, sie im Biomüll zu entsorgen: „Wir wollen ja nicht, dass alles in der Natur landet.“ Dennoch sei zu begrüßen, dass Projekte wie Traceless Reststoffe noch einmal stofflich nutzen.

„Wir versuchen aus pflanzlichen Abfällen etwas zu machen und haben die wissenschaftliche Sicht darauf“, erklärt Lamp, die an der Technischen Universität Hamburg in Verfahrenstechnik promovierte. Ganz wichtig ist dabei: „Der Preis muss stimmen, nur dann können wir auf den Markt gehen. Das ist der Clou, konkurrenzfähig im Industriemaßstab zu sein

“ Als eines der ersten Produkte soll in diesem Jahr eine plastikfreie Versandtasche über den Otto Versandhandel vertrieben werden. Das Hamburger Unternehmen war der erste Kontakt von Lamp mit der Firmenwelt: „Otto sucht dringend nach plastikfreien Lösungen, das gab den Kick, aus den Ideen überhaupt etwas zu machen.“

Im Vorjahr bekamen sie die Zusage für 2,4 Millionen Euro

Dann kam die Lufthansa, die sich für ihr Catering nach Alternativprodukten umsieht. „Es ist ein ganz toller Moment auf den Markt zu gehen, das Problembewusstsein ist da, es bewegt sich viel“, sagt Baare. „Wir haben die Chance, den Unterschied zu machen.“

Im Vorjahr bekamen sie die Zusage für 2,4 Millionen Euro aus einem EU-Innovationsförderprogramm. 21 Festangestellte helfen mit, das kleine Start-up bis 2024 profitabel zu machen. Und weil das Problem der Umweltverschmutzung mit Plastik so groß ist, arbeiten sie bereits mit einer Vielzahl von Partnern und können sich auch eine Zusammenarbeit mit Konkurrenten vorstellen. „Es gibt ganz viel Potenzial, etwas zusammenzumachen“, bestätigt Baare.

Das Unangenehme: Es gibt nicht wenige, die auch gern abkupfern und seien es nur die Formulierungen auf der Homepage. Deshalb sind Baare und Lamp auch vorsichtig geworden, wem sie ihre Produktionsstätten zeigen. Nur fünf Jahre dürfen die jungen Unternehmerinnen im Innovationszentrum bleiben, doch dann werden ihnen die Räumlichkeiten sowieso zu klein geworden sein. Derzeit sind sie auf der Suche nach einem Standort in einem Industriegebiet im Landkreis Harburg.

WLH sucht langfristigen Standort für das Unternehmen

Kerstin Helm von der Wirtschaftsförderung würde Start-ups wie Traceless gern im Kreis behalten. Mit flexiblen Mietkonditionen und kurzen Kündigungsfristen können junge Kleinfirmen im Innovationszentrum in Buchholz starten. „Uns geht es darum, den jungen Unternehmen das Mietrisiko ein bisschen zu nehmen“, sagt sie. Für Traceless sucht sie einen langfristigen Standort.