Harburg/Finkenwerder. Zwei engagierte Frauen bringen einzigartiges Schachbuch für Mädchen herausgebracht. In Schachvereinen sind diese selten zu finden
Nina und Sontje glucksen und kichern. Sie biegen sich die Schachregeln gerade so zurecht, dass sie aufs Geratewohl schummeln können und lachen sich dabei schief. Dabei wechseln die beiden Sechstklässlerinnen des Gymnasiums Finkenwerder ständig die Sprachen: mal reden sie Deutsch, mal Englisch miteinander. „Das hat jetzt mit dem Schach nichts zu tun“, sagt Sontje. „Das machen wir beide ständig. Aber eben auch hier!“
Kurz darauf ist die Quatsch-Phase vorbei. Die beiden Mädchen lösen Schachaufgaben in einem Heft. Silke Schwartau hilft ihnen dabei. Sie leitet die Schach-AG am Finkenwerder Gymnasium und sie hat das Heft zusammen mit einer Schachfreundin aus Wilhelmsburg konzipiert. „Jetzt sind wir Mädels am Zug“ ist das erste Schach-Lehrwerk in Deutschland, das sich explizit an Mädchen wendet.
Braucht es ein auf Mädchen zugeschnittenes Schachtraining?
Brauchen Mädchen ein eigens für sie konzipiertes Schachheft oder überhaupt ein speziell auf Mädchen zugeschnittenes Schachtraining? „Ja“, sagt Silke Schwartau, „alle Kinder haben ja erst einmal denselben Zugang zum Schach, aber in den Vereinen und Schulschachgruppen stellen Mädchen weniger als zehn Prozent. Um das zu ändern, müssen Mädchen mehr Selbstbewusstsein am Schachbrett entwickeln. Und dafür ist es gut, auch einmal nur untereinander zu spielen.“
Nina hat Schach von ihren Brüdern gelernt. „Aber das hat schnell keinen Spaß mehr gemacht, weil die immer so verbissen waren“, sagt sie. Svenja Gieringer ist Schachlehrerin an der Grundschule in der Alten Forst. „Jungs spielen anders als Mädchen“, sagt sie. „Die Jungs sind sehr auf das Gewinnen konzentriert und sehr ernst bei der Sache. Die Mädchen spielen kooperativer, geben sich gerne gegenseitig Tipps und freuen sich auch über einen schönen und gelungenen Spielzug der Gegnerin.“
Silke Schwartau hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Sie ist erst spät zum Schach gekommen, als sie ihren späteren Mann kennenlernte. Der ist unter anderem Schachlehrer. Und natürlich macht es Freude, abends mit dem Partner eine Partie zu spielen. „Aber wirklich weiter entwickelt habe ich mich erst, als ich anfing, mit anderen Frauen zu spielen“, sagt sie. „Denn da ist die Atmosphäre ganz anders.“
Gemeinschaftswerk der „Schachtulpen“
Mit anderen Schachdamen zusammen gründete sie die „Schachbretttulpen“ einen losen Bund von Schachspielerinnen, die sich einmal im Monat zu gemeinsamen Partien und kniffligen Schachaufgaben treffen – in gemütlichen Lokalen und mit einem guten Snack, statt, wie die meisten Männer, an kargen Tischen mit Neonlicht und – maximal – Flaschenbier. Bei diesen Treffen entstand auch die Idee zum Mädchen-Schachheft. Die ersten Konzeptentwürfe kamen von der Wilhelmsburger Illustratorin – und Schachbretttulpe – Sarah Fricke. Sie schuf die vier Protagonistinnen Nala, Anh, Mia und Emilia, sowie die „Marienis“. Diese Marienkäfer mit Schachbrettmuster auf dem Panzer -solche gibt es tatsächlich - werden oft zum Illustrieren der Aufgaben eingesetzt. Die Aufgaben und die Texte stammen von Silke Schwartau. Rein weibliche Protagonistinnen wählten die beiden, weil in vielen anderen Schachheften Mädchen als passiv und weniger intelligent dargestellt werden.
Nina und Sontje sind über ihre Hefte und das Schachbrett gebeugt. Figurenwerte lautet das Thema der aktuellen Aufgaben. Dabei lernen sie: Die Dame ist am meisten wert, der König hingegen zählt nicht einen einzigen Punkt. Das hat nicht einmal etwas mit einem feministischen Spielansatz zu tun, sondern gilt auch im Männerschach.
An der Schule In der alten Forst spielen alle Mädchen Schach
„Jetzt sind wir Mädels am Zug“ vermittelt Grundlagen. Punktewerte, Regeln, einfache Taktiken und Zugkombinationen. Dazwischen auch Spaßspiele, wie Räuberschach, Bauernkloppe oder „Eine Dame gegen acht Bauern“. Schachbezogene Übungen für Bewegungspausen sind im Heft ebenso enthalten, wie Anregungen für kurze Schach-Theaterstücke. „Durch das spaßbetonte Lernen bekommen Mädchen einen ganz anderen Zugang zum Schach“, sagt Silke Schwartau.
An der Schule In der alten Forst spielen alle Mädchen Schach, genau wie alle Jungs, denn Schach ist hier Pflichtfach von Jahrgang 1 bis 4. Eine Mädchenquote muss hier nicht erhöht werden. Dennoch glaubt auch Schachlehrerin Svenja Gieringer, dass ein zumindest zeitweise separater Schachunterricht für Mädchen Sinn macht. „Eben dadurch, dass sie anders spielen“, sagt sie. „Die Fähigkeiten, die sie dabei zeigen, können ausgebaut werden, andererseits müssen wir natürlich auch darauf achten, dass dies ein Spiel ist, bei dem am Ende jemand gewinnen muss, und dass es nicht fies ist, einen König matt zu setzen.“ Die Schülerinnen der Alten Forst hätten deshalb eigentlich im Dezember ihr erstes reines Mädchenduell gegen Spielerinnen einer anderen Schule gehabt, die Grundschule Windmühlenweg in Flottbek, doch nur wenige Tage vorher wurde das Turnier abgesagt. „Wir haben es dann online gespielt“, sagt Svenja Gieringer „und wir haben ein schulinternes Mädchenturnier veranstaltet.“
Die Mädchen am Windmühlenweg lernen übrigens mit einem ganz besonderen Heft: Dem von Sarah Fricke und Silke Schwartau.