Wilhelmsburg. Die neue Geothermie-Anlage am Reiherstieg nimmt langsam Formen an. Im Frühjahr kommt der Bohrturm, der bis Herbst bleiben soll.
Am Ende bleiben nur zwei „Christbäume“ vor einem unscheinbaren Häuschen. Oberirdisch jedenfalls. Unterirdisch geht es heiß her, wenn das Geothermiekraftwerk in Wilhelmsburg erst einmal in Betrieb ist. Bis dahin erwartet die Wilhelmsburger aber noch ein wenig Spektakel: Auf ihrer Elbinsel wird ein echter Bohrturm errichtet, tatsächlich so einer, wie man ihn aus Film und Fernsehen kennt, um zwei Löcher in den Planeten zu bohren: Eines, durch das später relativ kaltes Wasser kilometertief in die Erde gepumpt wird. und an anders, aus dem heißes Wasser wieder herauskommen soll.
40 Meter wird der Bohrturm aufragen, so hoch wie der Energiebunker
40 Meter hoch wird der Bohrturm aufragen – ungefähr so hoch, wie die derzeit prominentesten Hochbauten im Wilhelmsburger Westen, als da wären der Wasserturm und Energiebunker. Mit beiden Bauwerken hat die Bohrung auch etwas zu tun: Noch ist Hamburg Energie, der Projektträger der Wärmebohrung, bei den Hamburger Wasserwerken angesiedelt, wie einst der Wasserturm; und der Bunker gehört ebenfalls zu Hamburg Energie. Er soll später einmal eine Rolle bei der Verteilung der Erdwärme spielen. Die beiden Bohrungen werden ungefähr vom Frühjahr bis zum Herbst dauern. Danach wird der Turm wieder abgebaut.
Daran, dass es klappt, hat Carsten Hansen, „Projektmanager Forschung“ bei Hamburg Energie, keinen Zweifel. Wie und wie gut es klappt, kann man aber nicht prognostizieren. „Vor der Hacke isset duster“, zitiert der promovierte Geologe eine Bergmanns-Weisheit. Bedeutet frei übersetzt: Man kann schlecht in die Erde hineingucken. Auch seismische Messungen, also das Schütteln des Bodens, um zu hören, was wo wie klappert, ergeben nur ein unscharfes Bild.
Bohrung befindet sich in der Nähe der Veringkanal-Schleuse
Immerhin eines, das besagt, dass sich dreieinhalb Kilometer unter Wilhelmsburg eine Schicht mit heißer Salzlösung befindet, deren Energie man ziemlich problemlos anzapfen kann, ohne auf dem Weg dahin auf geschlossene Gesteinsschichten zu stoßen. Darum ist die Bohrung in der Nähe der Veringkanal-Schleuse zwar zunächst eine Probebohrung, wird aber schon als Förderbohrung geplant.
Einen dreieinhalb Kilometer langen Bohrer gibt es nicht. Die Bohrstange ist aus vielen einzelnen Segmenten zusammengeschraubt, jedes Segment ist neun Meter lang Jedes Mal, wenn eine Stange nahezu im Boden verschwunden ist, wird die nächste über das Loch gehoben und angeschraubt. Das ist der größte Teil der Arbeit im Bohrturm. Dabei ist es auch nicht so, dass man die Stangen nur einmal zusammenschrauben muss: Jedes Mal, wenn der Bohrmeißel sich abgestumpft hat und ausgetauscht werden muss, muss das Gestänge herausgezogen und demontiert werden.
Fundamentplatte ist 700 Tonnen schwer und 2000 Quadratmeter groß
Beim Ziehen können je zwei Stangen auf einmal abgenommen und an der so genannten „Affenbühne“, dem „Monkey Board“ lehnend gelagert werden. Das heißt so, weil im englischen Bohrsprech der Kollege, der dort oben an der Außenseite des Turms arbeitet, der „Monkey“ genannt wird – King Kong lässt grüßen.
Im Turm gibt es Motoren für die Winde und um den Bohrer anzutreiben. Es gibt Pumpen, mit denen die Bohrung gespült wird, einen Tank für die Spülung und Rüttelsiebe, um das Bohrgut aus der Spülung zu filtern. All das zusammen macht den Turm schon ziemlich schwer. Dazu kommen Ablageflächen für Bohrstangen und Bohrgutbehälter sowie Werkstatt- und Arbeitscontainer.
Vor dem Bohren kommt das Bauen und das ist das, was die Geothermieexperten derzeit tun. Gerade ist die Fundamentplatte für die Anlage fertig geworden: 2000 Quadratmeter groß, 700 Tonnen schwer und auf fast 100 Betonpfählen gegründet.
Kampfmittelsondierung ist in Wilhelmsburg immer ein Thema
Wer Wilhelmsburg kennt, weiß, dass sich gerade hier in den obersten Erdschichten gern unangenehme Überraschungen verbergen. Die Kampfmittelsondierung nahm einige Zeit in Anspruch und auch beim Gründen der Pfähle musste noch einige Male innegehalten werden, um zu begutachten, worauf man nun gerade gestoßen war. In diesen Fällen Glück: Nur alter Schrott.
In die Platte hineinmontiert sind bereits zwei „Bohrkeller“. Dort haben die Geologen schon etwas vorgearbeitet und ein 27 Meter langes Führungsrohr in den Boden gebohrt. Dieses Führungsrohr wird sich bis in die endgültige Bohrtiefe teleskopartig verjüngen. Oben hat es noch gut 80 Zentimeter Durchmesser, unten werden es lediglich noch sechs Zentimeter ein. Um das Führungsrohr herum wird das Bohrloch kontinuierlich mit Zement ausgekleidet, der knapp über dem Bohrmeißel aus dem Rohraustritt sowie an dessen Außenseite nach oben gedrückt wird.
Für die zweite Bohrung muss der Bohrturm verschoben werden
Das ausgesiebte Bohrgut kommt nicht einfach beiseite. Spezialisten, so genannte „Mud Profilers“, sehen sich das Material genau an, um aus dem unscharfen Bild der Seismik ein kristallklares zu machen. Ist die erste Bohrung, sie geht 3400 Meter kerzengerade abwärts, fertig, wird der Turm einige Meter versetzt.
„Dafür werden wir Schienen auf die Platte montieren, den Turm darauf heben und herüberziehen“, sagt Moritz Scharnke, der stellvertretende Bauleiter. Die zweite Bohrung geht 200 Meter tiefer, weil die entsprechende Erdschicht ebenfalls ein Gefälle hat. Die Bohrung wird ihren Kurs auf halber Höhe noch einmal zur Seite wechseln, so dass die untere Öffnung der Auslassleitung etwa einen Kilometer von der Einlassöffnung entfernt ist. Damit kann sich das eingepumpte Wasser unterwegs erwärmen.
Später bleiben nur „Christbäume“ und das Pumpenhaus sichtbar
Sind beide Löcher fertig, werden sie mit einem Kopfrohr mit vielen Verzweigungen und Ventilen verschlossen, dem sogenannten „Christbaum“. Auf der Fundamentplatte steht dann nur noch das Pumpenhaus des Kraftwerks mit dem Wärmetauscher.