Landkreis Harburg. Landkreis Harburg will eine Modernisierung des Jahrbuchs. Doch ohne Konzept kann das ehrenamtliche Redaktionsteam nicht weitermachen.

Wussten Sie, dass das „Herz des Dampfes“ in Winsen liegt? Oder genauer gesagt, dass die Stadt an der Luhe einst das Zentrum der Papierproduktion im Landkreis Harburg gewesen ist? Dass Papiere aller Art – von Briefpapier bis Verpackungsmaterial – bis nach England und von dort aus in die ganze Welt geliefert wurden? Oder haben Sie schon mal davon gehört, dass in Winsen bereits im 14. Jahrhundert Bier gebraut wurde? Und dass dieses Gebräu beim Winsener Stadtbrand von 1585 ausnahmsweise nicht zum Durstlöschen der Männer, sondern zum Löschen des Feuers nahe des Lüneburger Tores genutzt wurde? Nein? – Dann schauen Sie mal in den neuen Kreiskalender 2022!

200 Seiten im DIN-A5-Format in einer Auflage von 3500 Stück

Dieser ist jetzt in einer Auflage von 3500 Stück erschienen, im Buchhandel erhältlich und lässt den Leser auf 200 Seiten in die Geschichte und Geschichten der Region und ihrer Bewohner eintauchen. Den Sammelband in DIN-A5-Größe gibt es seit 87 Jahren – mit Ausnahme einiger Kriegsjahre. Herausgegeben wird er vom Landkreis Harburg, redaktionell und ehrenamtlich betreut von Giesela und Rolf Wiese, die sich seit Jahrzehnten für die Bewahrung der Heimatgeschichte im Landkreis Harburg einsetzen. Den Kreiskalender betreuen sie redaktionell seit 37 Jahren.

Doch damit könnte nun Schluss sein. Der Landkreis Harburg hat beschlossen, dass der Kreiskalender in der bisherigen Erscheinungsform nicht mehr gedruckt werden soll. „Zwar soll es weiterhin einen Kreiskalender geben, aber wie dieser aussehen soll und was drinstehen wird, ist derzeit völlig unklar“, sagt Giesela Wiese, die auch Geschäftsführerin im Vorstand des Heimat- und Museumvereins Winsen (Luhe) ist und normalerweise zwölf Monate rechnet von der ersten Idee, über die Suche nach Themen und Autoren bis hin zur Fertigstellung des Kalenders. Bereits im Januar habe man erfahren, dass der Kreiskalender inhaltlich und konzeptionell neu ausgerichtet werden solle. Im April habe dann der Kulturausschuss dazu getagt. Doch eine Entscheidung stehe bis heute aus.

Mitwirkende stellen Recherchen und Texte unentgeltlich zur Verfügung

Selbst wenn die verantwortlichen Ausschussmitglieder das Thema auf die Tagesordnung der nächsten Sitzung setzen sollten, müssten zügig Entscheidungen her. „Die Herstellung eines solchen Buches braucht Zeit“, sagt Giesela Wiese. „Auch die Heimatforscher schütteln ihre Texte nicht mal eben so aus dem Ärmel. Oft müssen sie zu einem Thema aus dem Landkreis gezielt forschen – und das in ihrer Freizeit.“ Denn nicht nur die redaktionelle Arbeit wird ehrenamtlich ausgeübt. Auch ihre Recherchen und Texte stellen die Mitwirkenden unentgeltlich zur Verfügung.

Holz für die Zellstoffproduktion wird in der Papierfabrik Eppen in Winsen angeliefert.
Holz für die Zellstoffproduktion wird in der Papierfabrik Eppen in Winsen angeliefert. © HA | Museum im Marstall

„Der Kreiskalender ist die beste regionalgeschichtliche Quelle, die wir haben“, sagt Rolf Wiese, ehemaliger Direktor des Freilichtmuseums am Kiekeberg. „Wir dürfen sie nicht versiegen lassen.“ Bislang gebe es diese Quelle allerdings nur in gedruckter Form. „Die Aufgabe der Zukunft wird sein, die Inhalte auch digital zur Verfügung zu stellen, damit jeder sie problemlos abrufen kann“, so Wiese. Derzeit laufe es so, dass sich an einem Thema Interessierte direkt an den Heimat- und Museumverein in Winsen wenden, in deren Bestand sich alle verfügbaren Kreiskalender befinden. Dieser schaue dann im Register nach, in welchem Band das Thema publiziert worden sei.

Zukunft des Kreiskalenders soll im Kulturausschuss thematisiert werden

Wo die Geschichten und Erinnerungen aus dem Landkreis Harburg künftig festgehalten werden sollen, wissen auch die Wieses nicht. Und ob sie persönlich künftig dabei sein werden, steht genauso in den Sternen. „Wir warten auf eine Entscheidung“, sagt Giesela Wiese und zuckt mit den Schultern. „Was wir tun konnten, haben wir getan.“ So hat das Museum im Marstall in Winsen den Druck und Vertrieb des Jahrbuches übernommen.

Malte Krafft, der für die Grünen nicht nur im Kreistag, sondern auch im neuen Kulturausschuss sitzt, will die Zukunft des Kreiskalenders nun erneut thematisieren und drängt auf eine schnelle Lösung. „Wir dürfen den Kreiskalender nicht sterben lassen“, sagt er. „Und auch das Ehepaar Wiese und ihre Expertise wird künftig gebraucht.“

Das Titelblatt der Ausgabe 2022 ziert die Papierfabrik Eppen in Winsen

Diese haben als verantwortliches Redaktionsteam für das Titelblatt der Ausgabe 2022 bewusst ein Foto von der Papierfabrik Eppen in Winsen gewählt. „Das Foto steht nicht nur stellvertretend für den Bericht derselben, sondern auch symbolisch für die Bewegung und den Umbruch, in dem sich der Kreiskalender aktuell befindet“, sagt Giesela Wiese.

Im Winsener Ratskeller durfte schon 1454 Bier ausgeschenkt werden.
Im Winsener Ratskeller durfte schon 1454 Bier ausgeschenkt werden. © HA | Heimat- und Museumverein Winsen (Luhe)

Die Papierfabrik, einst einer der größten Arbeitgeber in Winsen, gibt es nicht mehr. Sie wurde in den 1970er-Jahren abgerissen. „Heute befindet sich der Europaring auf dem ehemaligen Fabrikgelände“, schreibt Heimatforscher Christopher Steinbiß. Und weiter: „Hier endet die Geschichte der Winsener Papierfabrik.“

Aus dem Inhalt des Kreiskalenders 2022:

Der Autor Arndt-Hinrich Ernst befasst sich in seinem Artikel mit der „preußischen Gemeindereform des Altkreises Harburg von 1928“. Hartmut Blecken schreibt über das „Stromspaltungsgebiet der Elbe und des Süderelberaums“ und widmet sich dem Thema „Bier aus Winsen und Fachenfelde“.

Christopher Steinbiß erzählt die industrielle Entwicklung der Papierfabrik Eppen in Winsen. Kai Rump erläutert die Geschichte des Turnvereins Winsen. Über die „Banken in Winsen“ berichtet Heinrich Tödter, Kurt Schwerdtfeger über das „Stättlein Winsen an der Luhe“.

Um Modernisierungen im Westen des Landkreises geht es in Klaus-R. Roses Text „Tostedt und die Anfänge des Eisenbahnbaus“. Wilhelm Westermann schreibt über Modernisierungen eines Hittfelder Hofes. Erzählt wird außerdem die Geschichte des Hittfelder Flurnamen „Bei der Vogelstange“ (Sören Sahling) sowie die der Garlstorfer Mühle (Joerg Stallbaum). Jochen Brandt schreibt über prähistorische Häuser im Landkreis und Victoria Preuß resümiert den Kultursommer 2021.

Aktuelle Infos und Rückblicke aus dem Landkreis schließen das Buch ab. Esist für 13 Euro über den Buchhandel oder im Museum im Marstall (Schloßplatz 11, Winsen) erhältlich.