Harburg. Deutscher Astronaut Matthias Maurer trägt smartes Shirt, das seinen Herzschlag misst. Professor der TU Hamburg hat es mitentwickelt.
Ins Weltall fliegen. Eingezwängt in eine Raumkapsel, während unter einem mächtige Triebwerke gezündet werden, die als die stärksten Motoren der Welt gelten. Trotzdem braucht es noch Hilfsraketen. Wenn diese Booster ihren Job getan haben, werden sie abgeworfen, während sich die Kapsel in einem enormen Tempo den Himmelskörpern nähern und die Erde kleiner wird. Schon die Vorstellung davon lässt bei vielen das Herz schneller schlagen.
Wie es um das Herz von Matthias Maurer steht, der in der Nacht zu Donnerstag als 600. Mensch und als erster Deutscher an Bord einer Raumkapsel des privaten Unternehmens SpaceX zu seiner Weltraummission aufbrach, das wird Ulf Kulau in den kommenden Monaten genauer studieren.
Junior Professor der Technischen Universität Hamburg beteiligt
Denn der Junior Professor an der Technischen Universität Hamburg in Harburg hat ein smartes Shirt mitentwickelt, das der deutsche Astronaut Maurer während seines Ausflugs im All tragen wird. Die in dem Shirt integrierten Sensoren sollen minimale, durch den Herzschlag bedingte, Brustkorbbewegungen messen und Rückschlüsse auf die gesundheitlichen Belastungen geben.
„Die Daten werden noch während des Aufenthaltes auf der ISS zum Boden geschickt. Dadurch haben wir auch die Möglichkeit, frühzeitig mit Auswertungen und Analysen zu beginnen“, erklärt Kulau. An der TU Hamburg werden diese dann von Kulau und dem gesamten Team, das aus Vertretern der DSI Aerospace Technologie GmbH, der DLR Bremen und der Uni Bielefeld besteht, ausgewertet und analysiert. Der TU-Professort vermutet, dass sie voraussichtlich im Januar die ersten Datenpakete erhalten werden.
Das smarte Shirt ist mit zwei daumengroßen Sensoren ausgestattet, die am Herzen und an der Halsschlagader von Maurer kleinste Bewegungen wahrnehmen sollen. Aus diesen sollen wichtige Herzparameter wie der relative Blutdruck, ebenso wie die Öffnungs- und Schließzeiten der Herzklappen berechnet werden. „Mit dieser Methode könnten wir zukünftig mit kleinster Technologie tiefere Einblicke in die Physiologie eines Astronauten bekommen, und so zum Beispiel die Folgen des Muskelabbaus in der Schwerelosigkeit beobachten“, erklärt Kulau.
Experiment der Europäischen Weltraumorganisation vorgeschlagen
Die Idee zu all dem entstand vor drei Jahren. Über die nationale Raumfahrtagentur wurde das Experiment dann der Europäischen Weltraumorganisation ESA vorgeschlagen und letztlich tatsächlich ausgewählt. Bewerber gibt es viele. Forscher müssen die Relevanz ihrer Arbeit darlegen und sich einer Begutachtung unterziehen. Während seiner sechsmonatigen Mission wird Maurer mit der restlichen Crew mehr als 100 Experimente durchführen, davon 36 mit deutscher Beteiligung.
In Vorbereitung darauf lernten sich Maurer und Kulau auch kennen. Für nötige „Pre-Flight Messungen“ traf das Forschungsteam den deutschen Astronauten in der medizinischen Forschungsanlage des Instituts für Luft- und Raumfahrtmedizin am 7. Juli dieses Jahres in Köln. „Es war schon ein besonderer Augenblick und ich war durchaus beeindruckt, wie präsent Matthias Maurer war. Obwohl sein Terminkalender offensichtlich extrem voll ist, hat er sich nach einem kurzen Briefing sehr schnell in das Thema eingefunden und seine Meinung beigesteuert“, erinnert sich der TU-Professor, der beim Abflug Maurers in der Nacht zu Donnerstag am Bildschirm mitfieberte.
Grundlagenforschung könnte auch Herzpatienten zugute kommen
Die Ergebnisse des Experiments sind vor allem mit Blick auf zukünftige Gesundheitsüberwachungssysteme im Weltraum interessant. Zudem handelt es sich um Grundlagenforschung, die auch in anderen Bereichen zukünftig genutzt werden könnte. Zum Beispiel um das Herz kranker Patientinnen und Patienten dauerhaft zu beobachten. „Die Umgebung im Weltall ist nahezu ideal für Messungen, weil wir hier durch die Schwerelosigkeit keine störenden Einflüsse durch die Erdbeschleunigung haben“, erklärt der studierte Informatiker der auch an der DSI Aerospace Technologie GmbH in Bremen lehrt.
Um Erfahrungen mit der Methode auch am Körper einer Frau zu erlangen, soll das Experiment mit der italienischen Astronautin Samantha Cristoforetti, die die nächste Mission auf der ISS leitet, im Frühjahr 2022 fortgesetzt werden.
TU-Professor träumt von Einsatz des Shirt bei Mars-Expedition
Wenn es die Ergebnisse erlauben, träumt Kulau bereits von weiteren Einsätzen und Weltallflügen mit der entwickelten Technik. Er könnte sich sogar vorstellen, dass künftig alle Astronautinnen und Astronauten mit diesen Sensoren und damit einer Art Frühwarnsystem ausgestattet werden. „Bei Außeneinsätzen stehen Astronauten unter enormem Stress und erkennen im Notfall ihre eigenen körperlichen Grenzen nicht“, sagt Kulau. Die Sensoren könnten Veränderungen im Herzschlag frühzeitig feststellen und dem Astronauten signalisieren „Mach mal eine Pause.“
Und dann ist da noch der Menschheitstraum von einer Reise zum Mars. Gerade bei solchen Langzeitmissionen stellt sich die Frage, wie sich die Gesundheit der Astronauten gewährleisten lässt. Neben der langen Zeit in der Schwerelosigkeit wird eine Betreuung durch die Bodencrew auch aufgrund einer zeitlich verzögerten Kommunikation erschwert. Die Lösung könnten die smarten Sensoren bieten. Dann könnte Technik aus Harburg bis zum Mars fliegen.