Harburg. Beide Einrichtungen brauchen dringend neue Räume. Den geplanten gemeinsamen Neubau sehen sie aber mit skeptischen Gefühlen.
Bezirksamt und die rot-grüne Koalition in der Bezirksversammlung begrüßen den geplanten Neubau für die Tafel Harburg und die Drogenhilfseinrichtung Abrigado in einem Gebäude als lang ersehnte Patentlösung für zwei Probleme, die Politik und Verwaltung seit Jahren beschäftigen, nämlich, dass beide Einrichtungen dringend neue und größere Räumlichkeiten benötigen.
Dass dazu auch noch Wohnungen für dringend Bedürftige in dem Komplex entstehen sollen, wird ebenfalls begrüßt. Erstens werden solche Wohnungen benötigt und zweitens entlasten sie Bezirk und Sozialbehörde um einen Teil der Baukosten. Sowohl die Tafel als auch das Abrigado reagieren derweil nicht allzu begeistert und auch aus der Harburger Politik – selbst aus der SPD, deren Bezirksfraktion das Vorhaben stützt – kommen kritische Stimmen.
Auf dem Grundstück soll sowohl die Tafel als auch die Drogenhilfe unterkommen
Das ist geplant: Auf dem Grundstück Buxtehuder Straße 31, wo die Tafel seit vielen Jahren in einem Dauerprovisorium, nämlich einem ehemaligen Betriebshof des Grünamts, ihr Quartier hat, sowie auf dem westlich angrenzenden Grundstück soll ein Neubau für Abrigado, Tafel sowie 40 kleine Eineinhalb-Zimmer-Wohnungen à 34 Quadratmeter entstehen. Hier sollen Menschen einziehen, die von akuter Wohnungslosigkeit bedroht sind.
Erste Entwürfe gibt es bereits in mehreren Varianten: Bedingt durch die Hanglage des Grundstücks können Tafel und Abrigado übereinander angeordnet werden und zwei verschiedene Zugänge auf voneinander abgewandten Gebäudeseiten erhalten, das unten geplante Abrigado von der Buxtehuder Straße aus, und die ein Stockwerk höher gedachte Tafel vom Helmsweg aus, was auch derzeit bereits die Haupt-Zuwegung ist. Je nach Entwurf sind die 40 Wohnungen darüber oder darüber und daneben geplant.
Niemand will die Drogenambulanzals Nachbarn haben will
Urs Köthner, Geschäftsführer des „Abrigado“-Trägervereins „Freiraum e.V.“, ist skeptisch. Die Suche nach einem neuen Standort für die Einrichtung hat unter anderem deshalb so lange gedauert, weil niemand die Drogenhilfsstelle in der Nachbarschaft haben wollte. Das Abrigado betreibt akzeptierende Drogenarbeit. Das bedeutet, dass Drogenabhängige hier Drogen in einer sicheren, sauberen Umgebung konsumieren können.
Im Abrigado erhalten sie außerdem eine gesundheitliche Grundversorgung und Beratung sowie Angebote durch Sozialarbeiter. Die Kundschaft des Abrigado sind in der Regel aktive Drogennutzer. Dass dies Vorbehalte auslöst, weiß man beim Abrigado und ist deshalb am alten Standort in den Abläufen bereits so eingespielt, dass die Einrichtung in der Regel kaum auffällt. „Dennoch kann ich akzeptieren, dass es Bedenken gegen unsere Nähe gibt“, sagt Köthner. „Uns der Tafel einfach so aufzudrängen, ist kein guter Stil!“
Die Tafel bestreitet, über die Pläne von den Behörden informiert worden zu sein
Laut Auskünften der Sozialbehörde war die Tafel bereits 2019 über die Zusammenlegungspläne informiert. Carmen Wildeisen, stellvertretende Vorsitzende des Vereins, bestreitet das: „Wir haben erst im Frühjahr aus der Presse davon erfahren und sind aus allen Wolken gefallen“, sagt sie. „Bei vielen unser Besucher und auch bei einigen unser Helfer löst das Abrigado Befürchtungen aus. Einige sagten bereits, dass sie dann nicht mehr kommen würden. Das schmerzt bei den Kunden, aber es schmerzt besonders bei den Helfern. Wir suchen schon jetzt ständig händeringend Ehrenamtliche für die Tafel.“
Die größte Sorge, die sie umtreibt, ist allerdings diese: Der Neubau soll, mit ungefähr zweijähriger Bauzeit, dort entstehen, wo die Tafel jetzt ist. „Wo bleiben wir in der Zwischenzeit?“, fragt Wildeisen, „wir brauchen ja auch in der Phase ein Quartier mit Kühllager, Lieferzone sowie Kommissionier- und Ausgaberäume!“ Diese Fragen sind alle noch ungeklärt. Auch Urs Köthner würde gerne noch mitreden. „Wir haben noch keine Entwürfe gesehen und wir würden den Planern gerne unsere Raumbedürfnisse erläutern, damit wir so gut, wie bisher und am besten noch besser weiterarbeiten können“, sagt er.
Die Sozialbehörde ist mit allen Beteiligten noch im Gespräch, heißt es
Aus der Sozialbehörde heißt es, die Planungen sein insgesamt noch in einem frühen Stadium und man sei mit allen Beteiligten im Gespräch. „Wenn das alles so unausgegoren ist, frage ich mich, was die Koalition so bejubelt“, stichelt Bezirksversammlungs-Oppositionsführer Ralf-Dieter Fischer.
Und auch innerhalb der SPD gibt es Kritik. Der SPD-Distrikt Harburg-Mitte, in dessen Gebiet die Einrichtungen liegen, hat Probleme mit den Plänen: „Die Randgruppen eines Stadtteils an einem etwas abgelegenen Ort zu konzentrieren, entspricht nicht unser Auffassung von sozialdemokratischer Sozialpolitik“, sagt die stellvertretende Distriktsvorsitzende Oksan Karakus. „Eine solidarische Gesellschaft nimmt auch ihre Problemgruppen in die Mitte. Wir werden das im Kreisvorstand thematisieren!“