Harburg. Die Nachfrage im Bezirk und Landkreis Harburg ist stark gestiegen. Interessenten brauchen Geduld und müssen auch zum Verein passen.
„Wir haben so viele Anfragen wie noch nie“, sagt Thomas Schulz, der Vorsitzende des Gartenbauvereins Wilstorf in Harburg. Vor einigen Jahren noch war die Nachfrage nach Kleingärten gering; Schrebergärten galten als altmodisch, in die Jahre gekommen. Schon vor Corona begann sich dies zu ändern. Die Pandemie hat den Trend drastisch verstärkt. Mit allen Mitteln wird nun nach den letzten freien Kleingärten gesucht, die Wartelisten der Vereine sind längst übervoll.
Lockdown, Homeoffice, Distanzunterricht und Reisebeschränkungen haben dazu geführt, dass ein Großteil der Menschen gezwungen war und ist, viel mehr Zeit zu Hause zu verbringen. Entsprechend groß ist das Bedürfnis vieler Harburger nach einem Tapetenwechsel. Und das bekommen die Kleingartenvereine zu spüren. Während Kleingärten früher den Ruf hatten, vor allem bei Rentnern beliebt zu sein, findet man heute große Vielfalt. „Mittlerweile sehe ich immer mehr Familien mit Kindern, die auch ihren Urlaub bei uns verbringen“, erzählt Wolfram Schütt, Vorsitzender des Schrebergartenvereins „Brasilien“ in Winsen.
Geschichte: Kleingärten in Winsen statt Neuanfang in Brasilien
Der ungewöhnliche Name ist 1923 entstanden, als die damaligen Gründungsmitglieder nach Brasilien auswandern wollten. Die Pläne scheiterten jedoch, es kam nie zur Auswanderung. Stattdessen gründeten sie ihr eigenes Brasilien in Winsen in Form eines Kleingartenvereins. Knapp 100 Jahre später wecken Reisebeschränkungen ebenfalls Lust auf die eigene Scholle in naturnaher Umgebung. „Kleingärten sind in dieser Zeit ein Zufluchtsort“, sagt Thomas Schulz. Die meisten Interessenten leben in kleinen Wohnungen, oft ohne eigenen Garten oder Balkon. Für sie bietet ein Kleingarten Entspannung, sodass immer mehr Menschen ihre Feierabende und Wochenenden dort verbringen.
„Wir waren auch vor Corona ziemlich gut ausgelastet“, sagt Schütt, „aber seit Ausbruch der Pandemie ist das Interesse wesentlich gestiegen.“ Es liege nicht nur am Virus: Schon seit einiger Zeit ziehe es junge Familien ins Grüne. Das ökologische Bewusstsein habe sich angesichts der Klimadebatten verändert, Urban Gardening (Gärtnern in der Stadt) und Selbstversorgung hätten an Bedeutung gewonnen. Trotzdem hat erst die Pandemie dafür gesorgt, dass sich die Kleingartenvereine vor Anfragen kaum retten können. An Thomas Schulz wenden sich mittlerweile nicht nur Interessenten aus Harburg. Sogar von der anderen Elbseite, zum Beispiel aus Altona oder der Innenstadt, kommen Anfragen. Eine Stunde Fahrweg nehmen die Hamburger für den Traum vom eigenen Garten auf sich.
Die Wartelisten in Wilstorf und Winsen sind geschlossen
Auf Schulz’ Warteliste herrscht mittlerweile Aufnahmestopp. 28 Mitgliedschaftsanwärter stehen dort, und es rufen immer noch weitere an. Die Fläche der Kleingärten wächst jedoch nicht mit der Anzahl der Interessenten. Und kaum jemand, der einen Kleingarten besitzt, möchte ihn abgeben. Vor der Pandemie haben an der Harburger Außenmühle pro Jahr zehn bis 16 Pächter ihre Scholle geräumt – etwa 14 Prozent aller Parzellen, die Schulz verwaltet. 2020 waren es nur noch fünf Gartenbesitzer. Deshalb beträgt die Wartezeit in Wilstorf mehr als drei Jahre. Mit 111 Parzellen und einer Fläche von 50.000 Quadratmetern hat der Verein eine durchschnittliche Größe.
Im Kleingartenverein „Brasilien“ hat Wolfram Schütt gemeinsam mit dem Vereinsvorstand die Wartelisten komplett abgeschafft. Auch von seinen 65 Parzellen werden jährlich höchstens fünf frei. Schütt hält Listen mit Wartezeiten von bis zu zehn Jahren für wenig hilfreich. Stattdessen sollten sich Interessenten über die Vereins-Homepage schrebergartenverein-brasilien.de bei ihm melden. Dort würden auch immer mal wieder freie Plätze online gestellt.
Großzügige Spenden für die Gemeinde angeboten – ohne Erfolg
„Anfragen gehen immer“, sagt auch Thomas Schulz. Schließlich komme es vor, dass man mit einer Portion Glück an seinen Kleingarten kommt. Es seien schon „großzügige Spenden für die Gemeinde“ angeboten worden, um sich bessere Chancen zu sichern – „das geht natürlich nicht, das grenzt an Bestechung“. Schneller an eine Parzelle kommt man dadurch nicht.
Schrebergärten klingen zwar vor allem nach Entspannung, machen aber auch Arbeit. Schließlich muss laut Satzung ein Drittel der Fläche für den Anbau von Gemüse und Obst genutzt werden. „Wenn man daran Interesse hat, lohnt sich ein Kleingarten auf jeden Fall“, sagt Schütt. „Der Freizeitwert eines Gartens ist unbezahlbar.“
Ein Drittel der Fläche für den Anbau von Gemüse und Obst
Kleingartenvereine achten jedoch stark darauf, ob potenzielle Mitglieder zu ihnen passen. „Wir sind schließlich eine Gemeinschaft“, so Schütt. Vor den Einschränkungen der Corona-Pandemie gab es bei ihm acht Gemeinschaftsfeste im Jahr, die dieses Jahr ausfallen mussten. Doch besteht die Hoffnung, sobald wie möglich unter Corona-Auflagen wieder gemeinsam zu feiern.
Am Tag der offenen Tür lädt der Landesbund der Gartenfreunde Hamburg (LGH) Kleingärtner und Interessierte ein, mit Pflanzenmarkt, Info- und Gastroständen, Kinderprogramm: 5. September, Fuhlsbütteler Straße 790, U-/S-Bahnhof Ohlsdorf. Voraussetzung: Die dann gültigen Corona-Regeln lassen die Veranstaltung zu. Näheres unter gartenfreunde-hh.de
Info: Allein 27 Kleingartenvereine im Bezirk Harburg
33.000 Kleingärten gibt es in Hamburg, 3100 davon befinden sich im Bezirk Harburg. 27 Kleingartenvereine bewirtschaften hier eine Fläche von 1,45 Millionen Quadratmetern. Die Vereine liegen unter anderem in Neuland, im Harburger Stadtpark, an der Bremer Straße, im Phoenixviertel, Sinstorf und Neugraben. Im Landkreis Harburg sind dagegen nur fünf Kleingartenvereine im Verband organisiert: zwei in Buchholz und je einer in Winsen, Maschen und Tostedt.
Auch die Größe der Kleingärten unterscheidet sich: Während die Vereine im Bezirk Harburg durchschnittlich 114 Parzellen mit Größen zwischen 300 und 350 Quadratmetern verpachten, liegt die durchschnittliche Parzellenanzahl im Landkreis bei 69. Dafür haben sie eine Fläche von bis zu 450 Quadratmetern. Kleingärten wurden im Juni im Bundesnaturschutzgesetz als wichtige Freiräume für Insektenschutz gelistet. Sie gilt es zu erhalten und neu zu schaffen.