Hamburg. In Harburg gibt's Schleierkraut und Scharniere bei Obi zu kaufen. Alles wie früher. Dabei lautet die Corona-Verordnung doch anders.
An die ganz große Glocke hängen wollte der Obi-Markt in Harburg es nicht, dass er seit einigen Tagen komplett geöffnet hat und mehr als nur sein Gartensortiment verkauft. Der juristische Grat, auf dem der Baumarkt balanciert, ist schmal und die Behörden feilen ihn gerade noch schmaler und schärfer.
Es ist gut möglich, dass spätestens Montag Schrauben und Scharniere wieder hinter der Lockdown-Absperrung patinieren müssen, während Schönmalve und Schleierkraut dort noch verkauft werden dürfen.
Baumarkt Obi verkündet auf Schildern: „Wir haben alles auf!“
An die mittelgroße Glocke hängen die Baumarktleute ihre Öffnung allerdings schon: Auf dem Parkplatz und von der Straße aus gut sichtbar verkünden große Schilder: „Wir haben alles auf!“ und im weltweiten Internet kann man sogar in Neuseeland noch lesen, dass der Obi-Markt in Harburg geöffnet hat. Er ist damit der einzige geöffnete Baumarkt in ganz Hamburg.
Henry und Florian freuen sich, dass der Obi geöffnet hat. Florian ist gerade von Schleswig-Holstein nach Wilhelmsburg gezogen, Henry hilft seinem Kumpel, sich einzurichten. Weil nicht alles einen Umzug übersteht, brauchten sie noch eine Schrank-Rückwand und ein paar Schrauben. „Gut, dass das hier geklappt hat“, sagt Florian, „sonst hätten wir weit fahren müssen. Ich frage mich allerdings, warum es hier keine Kundenzählung und keine Höchstzahl an Kunden pro Markt gibt, wie in Schleswig-Holstein.“
Wegen Corona: Baumärkte in Hamburg müssen eigentlich schließen
Die hamburgische Corona-Eindämmungsverordnung sieht vor, dass Baumärkte geschlossen bleiben, Gartencenter hingegen geöffnet haben dürfen. Fast jeder Baumarkt ist auch ein Gartencenter. Am vergangenen Wochenende öffneten acht Baumärkte in einer abgestimmten Aktion außer ihrer Garten-Abteilung auch die restlichen Gänge in ihren Hallen. Die Polizei schritt in Absprache mit den jeweiligen Bezirksämtern ein und schloss sieben Märkte wieder. Den in Harburg nicht.
Laut Bezirksamtssprecher Dennis Imhäuser gab es dafür keine rechtliche Handhabe – noch nicht. „Der Betreiber hat gegenüber dem Bezirksamt dargelegt, dass in seinem Sortiment überwiegend Artikel für den Gartenbedarf angeboten werden, was sich beispielsweise in der Verkaufsfläche von 6000 Quadratmetern Innenfläche gegenüber 8000 Quadratmetern Gartenbereich äußert“, sagt Imhäuser. „Eine Anordnung zur Schließung des Marktes für Privatkunden konnte auf Basis der bislang geltenden Eindämmungsverordnung nicht eindeutig getroffen werden.“
Setzt jetzt ein Run auf Hamburgs letzten Baumarkt ein? Übermäßig viel war auf dem Parkplatz am Freitagnachmittag nicht los, eher der vor dem Lockdown übliche Wochenend-Andrang. Das kann daran liegen, dass die Baumärkte im Hamburger Umland schon länger wieder geöffnet haben, die Harburger Öffnung also keine Sogwirkung entfaltet.
Und es kann daran liegen, dass nicht viele Kunden wissen, dass auch ihr Heimwerkerbedarf gerade wieder hier erhältlich ist. Ein Blick in die Einkaufswagen scheint denen Recht zu geben, die den Gartencenter-Charakter des Marktes betonen: Nur in jedem fünften Wagen befindet sich gar kein Gartenbedarf, in den meisten eigentlich nur Pflanzen, Zaunteile und Gartenwerkzeuge.
Obi-Marktleitung will sich nicht öffentlich äußern
Thorsten ist einer von denen ohne Gartenzeug: 10 Kanthölzer, gefast und gehobelt, sowie einige dicke Ankerschrauben liegen auf seinem Wagen. „Ich baue für Bekannte einen Raumtrenner, damit ihre neue Katze und die alte Katze sich beschnuppern können, ohne sich erst einmal ins Gehege zu kommen“, sagt er. „Die Schrauben sind auf Vorrat, für ein anderes Projekt. Ich wollte die Gelegenheit nutzen.“
Der Marktleitung ist bewusst, dass sie den Markt eventuell zumindest teilweise wieder schließen muss. „Deshalb äußern wir uns jetzt auch nicht öffentlich“, sagt Filialleiter Raimo Walde, „es ist zu viel in der Schwebe, um verlässliche Aussagen treffen zu können.“
Bezirk Harburg prüft, ob Öffnung noch zulässig ist
Das hängt unter anderem an der Eindämmungsverordnung. Deren Neufassung gilt eigentlich bereits seit Freitag. Darin steht einerseits, wenn man Juristensprache frei ins Umgangsdeutsche übersetzt, dass ein Geschäft mit gemischtem Angebot, bei dem das erlaubte Sortiment – in diesem Fall Gartenbedarf – überwiegt, auch den Rest seines Sortiments verkaufen darf. Andererseits enthält die Verordnung jetzt einen Nachsatz: Sind die Sortimente im Markt räumlich klar getrennt, muss alles, was eigentlich nicht verkauft werden darf, für die normale Kundschaft gesperrt werden.
„Aufgrund der Änderung wird aktuell geprüft, ob die Öffnung des räumlich abgrenzbaren Gartencenterverkaufsfläche zulässig ist und der Innenbereich des Baumarktes für Privatkunden geschlossen werden muss“, sagt Bezirkssprecher Dennis Imhäuser.
Das hieße dann: Alles auf Anfang!