Harburg . Serie zum 8. Nachhaltigkeitspreis von Bezirk und „Harburg21“. Das Abendblatt stellt alle Bewerber vor. Heute: „PolyMehr“ und „EcoCi“

Unter dem Motto „Mit gutem Beispiel voran. Für Harburg. Für alle. Für heute und morgen“ ehrt die Bezirksversammlung Harburg seit 2013 jährlich Akteurinnen und Akteure, die sich für die Sicherung der natürlichen und sozialen Lebensgrundlagen für heute und morgen im Bezirk Harburg engagieren. Eine unabhängige Jury aus Vertreterinnen und Vertretern verschiedener Gesellschaftsbereiche prämiert vorbildliche und zukunftsweisende Projekte.

In einer Veranstaltung mit Rahmenprogramm und Plakatausstellung werden alle Bewerberprojekte der Öffentlichkeit vorgestellt und die Preise übergeben. Diesjähriger Sponsor ist die Sparda-Bank Hamburg. Das Abendblatt stellt alle 18 Bewerber vor. Die Projekte und Initiativen aus dem Stadtteil hatten sich in der Zeit vom 14. September bis 19. Oktober 2020 für den 8. Harburger Nachhaltigkeitspreis beworben. Der Grund für die Vorab-Präsentation: Das aktuelle Infektionsgeschehen, wodurch die für den 20. November geplante öffentliche Preisverleihung mit Nennung der Siegerprojekte und Beginn der Posterausstellung auf den 19. März 2021 verschoben werden musste.

Das Projekt PolyMehr mit der Tagesstätte Harburg-Carrée zeigt, wie Plastik mit ökologischem und sozialem Mehrwert genutzt werden kann. Leicht ist es, bunt, praktisch und seit den 1950ern nicht mehr aus unserem Leben wegzudenken: Plastik ist (fast) überall drin, dran, drauf oder drumherum. Allerdings zerfällt es erst nach mehreren hundert Jahren. Durch die achtlose Entsorgung zu Lande und zu Wasser essen, trinken und atmen wir mittlerweile mikroskopische Kunststoffe. Ein ungesunder Kreislauf. Eine bessere Idee steckt hinter dem Projekt „PolyMehr“, einer Anspielung auf den Kunststoff-Hauptbestandteil „Polymer“ und „Mehrwegsystem“.

Tischlerei übernahm das sortenreine Endprodukt

Die Beschäftigten der Tagesstätte Harburg Carrée, die von Leben mit Behinderung Hamburg (LmBH) betrieben wird, haben erste Schritte in Richtung lokaler Plastik-Kreislaufwirtschaft gemacht. Es begann im September mit einem Workshop in der Tagesstätte zu den Vorzügen des Werkstoffes Plastik sowie zu den ökologischen Nachteilen.

Nachdem sie viele Plastikdeckel und anderen Verpackungsmüll aus Kunststoff gesammelt hatten, gingen die Tagesstätten-Beschäftigten einmal wöchentlich für zwei bis drei Stunden an die Elbe im Harburger Binnenhafen. Dort, in einer arbeitssicheren und barriere-freien Werkstatt, begann der eigentliche Arbeitsprozess: erst nach Farben, dann nach Sorte trennen; hier half der Infrarot-Identifikator. Und schließlich – unter kritischer Aufsicht des PolyMehr-Teams – den Schredder füttern, damit Plastikgranulat (fachsprachlich: Rezyklat) entsteht. Der gewonnene Werkstoff wurde noch im November letzten Jahres mit Hilfe einer Art Schmelztiegel (Extruder) verflüssigt und zur Abkühlung und Verhärtung wieder ausgespuckt.

Das sortenreine Endprodukt übernahm im Dezember 2020 die benachbarte Tischlerei für den Möbelbau – als stabile Balken. Damit sich „PolyMehr“ künftig selbst tragen kann, braucht es Planungssicherheit. „Die größte Herausforderung ist es, eine verlässliche Plastik-Müll-Quelle in Harburg zu finden“; erklärt Projektleiter Roman Lorenz.

Das überrascht wenig, wenn man bedenkt, dass 2019 laut BUND-Plastik-Atlas die Recycling-Quote von Kunststoff in Deutschland bei 16 Prozent liegt (weltweit bei 9 Prozent), weil der große Rest entweder in Müllverbrennungsanlagen oder im Ausland landet. Das inklusive Umweltprojekt ist eine Form nachhaltiger Wirtschaftsweisen.

https://www.lmbhh.de.

Wie auch der Bewerber „Biond“ (Projektporträt Nr. 1) und „PolyMehr“ widmet sich auch das Projekt EcoCi von der Technischen Universität Hamburg der lokalen Kreislaufwirtschaft. Reif für die Insel? Sagt man ja so, wenn der persönliche Energielevel gegen Null geht. Auf der Elbinsel Wilhelmsburg, genauer Am Veringhof 7, gibt es keinen Mangel an Energie. In der Ansammlung von Ateliers, Büros, Werkstätten und Coworking-Bereichen plus riesigem Gartengelände sprüht es nur so vor kreativer Energie: sei es die gemeinschaftliche Rettung der einst vom Abbruch bedrohten ehemaligen Wilhelmsburger Zinnwerke durch den Zinnschmelze e.V. vor sieben Jahren oder das aktuelle Bio-Energie-Kreislaufprojekt „EcoCi“ der Technischen Universität Hamburg (TUHH).

Alternative zum Einbahndenken

Das Modell sieht sich als Alternative zum vorherrschenden Einbahndenken, (ungenießbare) Lebensmittel-Reste wären nutzloser Abfall. Bei „EcoCi“ ist den Küchenabfällen aus Wilhelmsburger Restaurants und Großküchen ein höheres Ziel bestimmt: Sie lösen sich größtenteils in Luft auf, verpuffen aber nicht, sondern kehren an den einen und anderen Herd in der Zinnschmelze zurück.

Das ist aber nicht die ganze Geschichte: In einer einfachen, selbstgebauten Biogas-Anlage zersetzen diverse Mikroorganismen die Lebensmittelreste. Es entsteht ein Biogasgemisch aus Methan (CH4) und Kohlendioxid (CO2), das direkt vor Ort genutzt werden kann. Bioreste, die nicht komplett abgebaut werden können, bleiben als Gärschlamm zurück und mit ihm jede Menge Mineralien. Sein neuer Wirkungskreis ist der Komposthaufen, wo nährstoffreiche Erde entsteht, die wiederum auf den Kräuter- und Gemüse-Hochbeeten der Zinnschmelze ihren Dienst tut.

 Mitglieder des EcoCi Teams: Klaus Willke (verdeckt), Steffen Walk (TUHH), Beate Kapfenberger (morgen.jetzt), Tim Simon-Meyer (HCU), Matthias Ballestrem (HCU)
Mitglieder des EcoCi Teams: Klaus Willke (verdeckt), Steffen Walk (TUHH), Beate Kapfenberger (morgen.jetzt), Tim Simon-Meyer (HCU), Matthias Ballestrem (HCU) © HA | Martha Starke/privat

„So können die Nährstoffe effizienter dort eingesetzt werden, wo sie auch aus dem Boden entnommen werden, wenn die Lebensmittel lokal angebaut werden“, erläutert der Initiator Steffen Walk, Promotionsstudent an der TUHH. So weit der Plan. Die Bioanlage muss noch gebaut werden. Über Flyer und Workshops etwa soll das Projekt bekannter gemacht werden. Vor allem soll gezeigt werden, wie und dass Bio-Reste-Recycling als effiziente lokalen Energie-Kreislaufwirtschaft funktioniert – und sich zum Beispiel der ausschließliche Anbau von Mais für die Energie-Industrie erübrigt. Auch bei diesem Projekt zeigen sich klare ökologische, soziale und wirtschaftliche Nachhaltigkeitsaspekte.