Harburg. “Schlag ins Gesicht“: Oliver Graetzer hat seine Ware geordert, weil ihm Behörden versicherten, individuelle Knallerei bleibe erlaubt.
Es ist nicht leicht, Oliver Graetzer zu verärgern, aber jetzt gerade ist er sauer. Die meiste Zeit des Jahres ist der 50 Jahre alte Marmstorfer ein Angestellter, wie viele andere. Gegen Jahresende jedoch ist er Einzelhändler und gefragter Experte. Dann handelt er mit Feuerwerk. Das macht er seit fast zehn Jahren. Begeisterte Kunden kommen aus ganz Norddeutschland in seine Verkaufsräume nahe des Harburger Stadtparks. In diesem Jahr allerdings nicht. Seit Sonntag weiß Graetzer, dass seine ganze Vorbereitung für die Katz war. Nicht nur, dass sein Feuerwerkseinzelhandel ohnehin unter den ab Mittwoch geltenden Lockdown fallen würde, der Verkauf von Pyrotechnik ist noch einmal explizit verboten worden.
Vor allem der Zeitpunkt des Verbots empört Graetzer
Es ist nicht das Verbot, das ihn aufregt, es ist der Zeitpunkt. Graetzer hat Ware bestellt und zum Teil auch schon eingelagert, die er jetzt nicht mehr an den – zumeist tatsächlich – Mann bringt. „Dabei habe ich in diesem Jahr lange gezögert, weil ich schon früh mit einem Verbot gerechnet habe. Aber nachdem es bis zuletzt hieß, dass die privaten Silvesterfeuerwerke erlaubt bleiben und nachdem man mir bei verschiedenen Behörden versicherte, dass es zu keinem Verbot kommt, habe ich mich entschieden, auch in diesem Jahr an den Start zu gehen. Das ist jetzt wie ein Schlag ins Gesicht!“
Ein 40-Fuß-Container voll Feuerwerk
50 Paletten Raketen, Effektbatterien, Standfeuerwerke und Knallkörper; einen ganzen 40-Fuß-Container voll hat Oliver Graetzer geordert. Teure Qualitätsware. Den Wert mag er noch gar nicht ausrechnen. Das verschiebt Graetzer lieber auf später, wenn er sich etwas beruhigt hat. Zur Ruhe kommt er jedoch kaum: Ständig klingelt das Telefon. Zumeist sind es Kunden, die wissen wollen, ob sie nicht doch noch und auf irgendeinem Wege Feuerwerk kaufen können. Ein flächendeckendes Feuerwerksverbot gibt es nämlich nur in Hamburg. In anderen Bundesländern ist das private Abbrennen von Feuerwerk am Silvesterabend noch erlaubt. Nur ist auch das eher Theorie, denn verkauft werden darf Feuerwerk in diesem Jahr bundesweit nicht. Oliver Graetzer muss deshalb die vielen Anrufer und treuen Kunden enttäuschen. „Das tut am meisten weh: den Leuten die schlechte Nachricht überbringen zu müssen“, sagt er.
Einige seiner Mitbewerber versuchen schon mit spitzfindiger Rechtsauslegung das Verbot zu umgehen. Graetzer hat sich dagegen entschieden. „Ich werde mir jetzt nicht noch Gewürzgurken ins Sortiment holen, um als Lebensmittelhändler öffnen zu dürfen“, sagt er. „Außerdem bleibt Feuerwerksverkauf auch dann verboten. Streng genommen dürfen nicht einmal Wunderkerzen oder Knallbonbons über den Ladentisch gehen. Einige nehmen noch Bestellungen bis Dienstagabend an und sind der Auffassung, dass sie dann auch später noch ausliefern dürfen. Über diese Brücke gehe ich nicht. Ich habe einen Großteil meiner Genehmigungen, weil ich als zuverlässig gelte. Das werde ich nicht aufs Spiel setzen.“
Flächendeckendes Verbot ist konsequent
Das flächendeckende Verbot in Hamburg hält Oliver Graetzer für konsequent. Und er hält es für ehrlicher, als das Feuerwerk theoretisch zu erlauben, es praktisch jedoch unmöglich zu machen, die Utensilien zu erwerben. „Ich habe da Verständnis für die Hamburger Behörden“, sagt er. „Ich habe selbst lange Berufserfahrung im Sicherheitsgewerbe gesammelt. Wenn ich ein Verbot für einen bestimmten Bereich ausspreche, muss ich diesen Bereich besonders kontrollieren, eventuell sogar absperren. Und das Problem, das ich vermeiden möchte, würde ich wahrscheinlich nur woandershin verlagern. Da ist ein großflächiges Verbot leichter durchzusetzen und letztlich gerechter. Ich hoffe nur, dass wir nächstes Jahr wieder loslegen können.“
Die Regeln für den Lockdown in Hamburg (ab 16.12.):
- Private Treffen: Von Mittwoch an dürfen sich in Hamburg weiterhin nur fünf Menschen aus zwei Haushalten privat treffen. Nur über die Weihnachtstage vom 24. bis zum 26. Dezember dürften größere Familien zusammen feiern. Ein Hausstand könne vier weitere Personen aus anderen Haushalten einladen. Kinder im Alter bis zu bis 14 Jahren werden dabei nicht mitgezählt.
- Einzelhandel: Ein Großteil der Läden muss schließen. Ausgenommen sind nur Geschäfte mit Waren des täglichen Bedarfs. Körpernahe Dienstleistungen, die nicht medizinisch notwendig sind, dürfen ebenfalls nicht stattfinden. Laut Beschluss der Ministerpräsidenten gehören dazu Friseursalons, Kosmetikstudios, Massagepraxen und Tattoo-Studios.
- Schulen: Ab Mittwoch wird die Anwesenheitspflicht ausgesetzt. Die Schulen und Kitas blieben aber bis zu den Weihnachtsferien geöffnet, sagte Tschentscher. So könnten Eltern entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schickten oder nicht. Die Ferien beginnen regulär am Freitag. Am Montag und Dienstag gibt es noch normalen Unterricht, wie Schulsenator Ties Rabe (SPD) betonte.
- Kindergärten: Es wird eine Betreuung sichergestellt. Viele Eltern würden als Berufstätige in systemrelevanten Bereichen wie dem Gesundheitswesen dringend gebraucht und seien auf die Betreuung ihrer Kinder angewiesen, erklärte der Bürgermeister.
- Spielplätze: Sie bleiben geöffnet. Die Schließung im Frühjahr habe auf einem wissenschaftlichen Irrtum beruht, sagte Tschentscher. Inzwischen sei klar, das gerade jüngere Kinder nicht infektionsgefährdet seien und nicht zum Infektionsgeschehen beitrügen.
- Silvester: Der Verkauf und das Abbrennen von Feuerwerk werde in Hamburg verboten, sagte Tschentscher. Der Konsum von alkoholischen Getränken im öffentlichen Raum sei ebenfalls nicht erlaubt. In Hamburg gilt bereits ein Ausschankverbot von Alkohol.
- Alten- und Pflegeheime: Mitarbeiter und Besucher sollen regelmäßig Schnelltests machen.
Rückabwicklung kostet viel Geld
Oliver Graetzer muss jetzt sein Jahresgeschäft rückabwickeln. Einen nicht geringen Teil der Ware behalten die Lieferanten jetzt gleich bei sich. Was schon da ist, ist fachgerecht in einem Gefahrgutlager untergebracht und verursacht dort Kosten für Oliver Graetzer. Ob er es zurückgeben kann, ist noch nicht klar. Die sechs Aushilfskräfte, die er jedes Jahr beschäftigt, gucken diesmal in die Röhre. Den Steuerberater, der die Aushilfen gerade ordnungsgemäß angemeldet hat, muss Graetzer allerdings noch bezahlen. Und auch Kleinigkeiten, auf die nie jemand kommen würde, wie beispielsweise die Rundfunkgebühren für die Verkaufsräume. Insgesamt läppert sich schon hier einiges, von der Rechnung für die Ware ganz zu schweigen.
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Hinzu kommen die vielen Arbeitsstunden, die Oliver Graetzer das ganze Jahr über schon nach Feierabend seines regulären Jobs investiert hat, um die drei Verkaufstage vorzubereiten: Befähigungen erwerben, Genehmigungen einholen, Termine bei Lieferanten wahrnehmen, die Verkaufsfläche coronagerecht zu planen oder erste Bestellungen annehmen. „Diese Arbeit lässt sich nicht in Geld ausrechnen“, sagt er, „denn ich betreibe dieses Geschäft ja nicht um Gewinn zu machen, sondern aus Leidenschaft. Aber es steckt viel Herzblut darin. Und deshalb bin ich gerade besonders frustriert.“