Harburg . Rainer-Maria Weiss meldet trotz geschlossener Museumstüren ausgeglichene Bilanz. Stadthistoriker Brauer sammelt weiter Objekte für Corona-Archiv

„Wir sind mit einem leicht angebläuten Auge davon gekommen“. So lautet die Bilanz des Corona-Jahres von Rainer-Maria Weiss, Direktor des Archäologischen Museums Hamburg und des Stadtmuseums Harburg an der Knoopstraße. Leider mussten in vielen Monaten alle Publikumsaktivitäten ruhen, bedauert Weiss. Aber die Arbeit hinter den Kulissen, die Ausgrabungen, die Sammlungstätigkeit, die Digitalisierung von Beständen, Archivarbeit, Bibliothek und Restaurierungen seien normal weitergelaufen.

Dennoch möchte Weiss so bald wie möglich wieder Besucher in seinem Doppelmuseum haben: „Wir hatten so tolle Ausstellungen am Start. Im Mai wollten wir die Sonderausstellung Gladiatoren – Helden des Kolosseums eröffnen. Doch nach dem harten Lockdown haben wir die Hot-Stuff-Ausstellung erst einmal verlängert. Mitte September kamen dann die Gladiatoren, und die sind gleich richtig gut gelaufen. Der Oktober war wunderbar. Dann folgte die zweite Schließung am 2. November.“

Anders als zunächst geplant sollen die Gladiatoren bis Ende Februar in Harburg bleiben. Doch ist derzeit nicht absehbar, ob die Hamburger Museen bis zu dem Zeitpunkt überhaupt wieder öffnen dürfen. Deshalb verhandelt Weiss bereits mit den italienischen Leihgebern über eine weitere Verlängerung – „wir sind ganz optimistisch, dass die Ausstellung vielleicht über den gesamten Sommer bleiben kann“.

Burgen des Mittelalters

Die Folgeausstellung über Burgen des Mittelalters in Hamburg, die eigentlich am vergangenen Donnerstag der Öffentlichkeit vorgestellt werden sollte, wird wohl noch ein wenig warten müssen. Generell könnten zukünftige Ausstellungen anders funktionieren als noch vor einem Jahr. „Viele Leute mögen nicht mehr auf Touchscreens herumtippen, wollen keine Gegenstände in die Hände nehmen“, sagt Weiss. „Ich fürchte, dass das nachhaltig sein wird. Es wird also weniger zum Anfassen und Mitmachen geben.“

Auch die Museumspädagogik liege derzeit auf Eis, bedauert der Direktor. Die betroffenen Mitarbeiter, ebenso das Kassenteam haben entweder andere Arbeiten übernommen, Überstunden abgebaut oder seien zum Teil sogar bezahlt nach Hause geschickt worden, wenn sich keine Ersatzarbeit fand. Weiss: „Bislang haben wir Kurzarbeit vermeiden können. Das ist gerade bei den niedrigeren Einkommensgruppen, die keine wissenschaftliche Arbeit machen, wichtig.“ Finanziell sei es gelungen, in diesem Jahr keine rote Zahlen zu schreiben, so der Museumschef.

Auch für 2021 stehe ein ausgeglichenes Ergebnis im Plan. Die Eintrittsgelder machten generell keinen hohen Anteil an den Erträgen aus. Sonderprojekte, die von Eintrittsgeldern bezahlt worden wären, seien heruntergefahren worden. Und im Vergleich zu anderen Museen mit großen Räumlichkeiten und verschiedenen Eingangsbereichen seien die Betriebskosten relativ niedrig. Mit Blick auf die privaten Mitbewerber sagt Weiss: „Wir sind ein Museum mit festen staatlichen Zuwendungen und haben gar nichts zu meckern.“

Corona-Archiv ist noch sehr übersichtlich

Natürlich fließt das Thema Corona auch in die wissenschaftliche Museumsarbeit ein. Stadthistoriker Jens Brauer hat die Harburger im Mai aufgerufen, Zeitzeugnisse, Fotos und Erinnerungen bei ihm abzugeben, damit sich kommende Generationen einen lebendigen Eindruck vom Alltag in Corona-Zeiten machen können. „Von vorangegangenen Pandemien, etwa von der Spanischen Grippe vor 100 Jahren, gibt es keine Dokumentationen darüber, wie die Menschen in dieser Zeit ihren Alltag bewältigt haben. Das ist sehr schade. Jetzt haben wir die Chance, es bei dieser Pandemie anders zu machen.“ Dokumente, Aufzeichnungen und sonstige Texte, aber auch Fotos nimmt er gern per E-Mail an brauer@amh.de entgegen.

Noch ist das im Aufbau befindliche Corona-Archiv sehr übersichtlich, zumindest was gegenständliche Einsendungen angeht. Hier überwiegen die Mund-Nase-Masken. Eine von ihnen ist aus türkisblauem Kunststoff gefertigt und sieht schon beim bloßen Ansehen sehr unbequem aus.

Sie habe eine Physiotherapeutin bei ihm abgegeben, die in einem Hallenbad im Landkreis Harburg gearbeitet hatte. Ihr Schicksal sei ihm nahe gegangen, sagt Brauer: „Sie hatte die Maske vom Hersteller Playmobil gekauft, weil sie gehofft hatte, in der feuchten Schwimmbad-Atmosphäre mit der Plastik-Maske weiterarbeiten zu können. Aber die Maske drückt auf die Wangen und ist kaum auszuhalten. Und das Schwimmbad schloss, sie wurde arbeitslos. Als sie kam, um die Maske abzugeben, war sie Hartz-IV-Empfängerin.“

Fotos und andere Zeugnisse aus dem Frühjahr dokumentierten die vorherrschende große Unsicherheit, so Brauer: „Bei der ersten Welle war man sich nicht klar, was da alles noch kommt.“ Inzwischen ist eine gewisse Routine eingekehrt. Und angesichts der demnächst startenden Impfungen auch eine Spur Optimismus. „Wir sehen dem Jahr 2021 entgegen wie all den anderen Jahren auch“, sagt Rainer-Maria Weiss. „Schlechtestenfalls werden wir bis Mai für den Publikumsverkehr geschlossen bleiben. Aber wir gehen davon aus, dass 2020 das schlimme Jahr war und 2021 wieder schöner und sonniger wird.“