Harburg. Nur ein Straßensozialarbeiter kümmert sich im Kernbezirk um auffällige Heranwachsende. Experte: Acht wären nötig

Wenn es darum geht, Fördergelder für die soziale Stadtteilentwicklung zu beantragen, kann der Bezirk Harburg seine Problemecken meist sehr gut benennen. Mit den Fördergeldern wird dort dann stadtplanerisch aufgewertet: Die Spielplätze renoviert, die öffentlichen Räume freundlicher gestaltet und die Grünanlagen gepflegt.

Linke: Harburg kümmert sich zu wenig um Jugendliche

Wie aber kümmert sich der Bezirk Harburg um – beispielsweise – sozial benachteiligte oder auffällige Jugendliche? Zu wenig, sagt zumindest die Linken-Fraktion in der Harburger Bezirksversammlung.

Ihr Jugendexperte Simon Dhemija fordert, die Stellen für die Straßensozialarbeit in der Bezirksregion Harburg massiv aufzustocken. In der vergangenen Sitzung des Jugendhilfeausschusses hatte Jugendamtsleiter Thomas Thomsen dem Ausschuss Auskunft gegeben, wie viele Straßensozialarbeiter eigentlich im Auftrag des Bezirksamts tätig sind.

In der 110.000 Einwohner zählenden Bezirks-Teilregion Harburg – das ist die eigentliche Stadt Harburg samt grünem Rand – ist genau ein Straßensozialarbeiter tätig. In der Teilregion Süderelbe – das sind die westlichen Vororte von Hausbruch bis Fischbek sowie die Elbdörfer mit knapp 60.000 Menschen sind es fünf Straßensozialarbeiter, die diese wichtige Arbeit machen.

Vorkommnisse in den 90er-Jahren

Ist in Harburg also die Welt heil und ist Neugraben-Fischbek besonders problembelastet, oder hat Süderelbe einfach die besseren Fürsprecher im Bezirk? „Die Stellenverteilung fand vor allem vor dem Hintergrund politischer Entscheidungen statt“, sagt Bezirksamtssprecherin Sandra Kristina Stolle. „Hierbei spielten zum einen die Vorkommnisse in den 90er-Jahren im Bereich Süderelbe oder aktuell der Neugraben-Fischbeker Bürgervertrag eine Rolle.“

Simon Dhemija, Die Linke
Simon Dhemija, Die Linke © Linke | Andre Lenthe

In der Tat hatte es in den 1990er Jahren in Neuwiedenthal und in der Fischbeker Sandbek-Siedlung zwei Todesfälle mit jugendlichen Opfern gegeben, die überregional Aufsehen erregten. Ein Jugendlicher hatte sich umgebracht, weil er dem brutalen Mobbing einer Gleichaltrigen-Gang hilflos ausgesetzt war; ein anderer Jugendlicher war tödlich verunglückt, während er sich aus ungeklärter Ursache auf der Flucht vor einer Polizeistreife befand. Damals wurden die Straßensozialarbeiterstellen in den Süderelbe-Brennpunkten aufgestockt.

Eine weitere kam hinzu, weil sie im Vertrag der Bürgerinitiative „Nein zur Politik – Ja zur Hilfe“ mit dem Senat 2016 zugesichert wurde.

Straßensozialarbeiter sind für jene Jugendlichen zuständig, die nicht in Jugendzentren gehen, sei es, weil es ihnen dort nicht gefällt, weil es keines in bequemer Nähe gibt oder weil sie Hausverbot haben. Diese Jugendlichen haben ihre Treffpunkte und dort sollen auch Straßensozialarbeiter regelmäßig vorbeischauen, ansprechbar sein und bei Bedarf Hilfen vermitteln, bevor Jugendliche sich diese Hilfe bei den falschen Freunden holen und sozial abgleiten.

Ein einziger Sozialarbeiter für ganz Harburg

„Das kann ein einziger Sozialarbeiter nicht für ganz Harburg leisten“, sagt Simon Dhemija. „Derzeit werden der Hastedtplatz und das Phoenix-Viertel angemessen betreut, aber aus anderen Jugendlichen-Treffpunkten, beispielsweise an der Außenmühle, am Hanhoopsfeld oder in Heimfeld, werden langsam Brennpunkte. Hier muss der Bezirk massiv nachlegen!“

Dass die Straßensozialarbeit in Harburg unterbesetzt ist, zumal der Stelleninhaber ja auch Urlaub macht oder mal krank ist, sieht auch das Bezirksamt ein: Ab dem Jahr 2021 gibt es fast eine ganze weitere Position im Etat: „Eine Dreiviertelstelle in freier Trägerschaft kommt hinzu“, sagt Sprecherin Stolle.

Gemeinnütziger Verein im Auftrag des Bezirks aktiv

Freie Trägerschaft bedeutet, dass dieser Straßensozialarbeiter nicht beim Bezirk angestellt wird, sondern bei einem gemeinnützigen Verein, der im Auftrag des Bezirks tätig ist. Welcher das sein soll, wird nicht gesagt. In letzter Zeit arbeitet der Bezirk häufig mit dem katholischen Sozialwerk „In Via“ zusammen.

„Eine Dreiviertelstelle ist viel zu wenig!“, moniert Dhemija, „Wir schätzen, dass mindestens sechs weitere Stellen nötig wären, wenn nicht acht! Das Wichtigste an Straßensozialarbeit ist Kontinuität, damit man Vertrauen aufbauen kann. Ein einziger neuer Sozialarbeiter müsste sich da auch schon wieder aufreiben und zerteilen. Das ist angesichts der Unterbezahlung dieser Menschen nicht zu rechtfertigen!“