Finkenwerder. Interessengemeinschaft ist gegen die Öffnung der Alten Süderelbe für die volle Tide. André Trepoll informierte sich.

Holger Maciolek hat ausgerechnet, wie hoch das Wasser steigen würde, wenn die Alte Süderelbe für die volle Tide geöffnet wird, wie es das „Forum Tideelbe“ empfiehlt, um den Tidenhub der gesamten Unterelbe zu verringern. Maciolek hat gelbe Bretter an Pfosten genagelt, auf der Höhe, die er errechnet hat. Wenn er neben dem Pfosten steht, steht er unter dem Brett, so hoch wäre der neue mittlere Wasserstand. „Die Wiesen hier vor dem Deich liegen noch höher als das Land hinter dem Deich“, sagt er. „Der Finkenwerder Süden, einschließlich des Neubaugebiets Finkenwerder 32, würden dauerhaft niedriger liegen als das Wasser vor dem Deich steht.“

Das Gebiet könnte sein Gesicht radikal verändern

André Trepoll hört ihm zu. Der CDU-Bürgerschaftsabgeordnete ist der Einladung der „Interessengemeinschaft Alte Süderelbe“, deren Sprecher Maciolek ist, gefolgt, um sich vor Ort ein Bild von dem Gebiet zu machen, das in Zukunft sein Gesicht radikal verändern könnte. Am Ende kommt er zu einem vernichtende Schluss: „Die angedachte Öffnung der Alten Süderelbe ist weder öko, noch logisch!“, sagt er.

Bereits 1790 wurde die Süderelbe bei Moorburg weitgehend vom Hauptstrom der Elbe abgetrennt und ihr Strom in den Köhlbrand umgeleitet. Hamburg wollte damit verhindern, dass Schiffe den Hamburger Hafen umfuhren, um in Harburg oder noch weiter stromaufwärts abzuladen. Die alte Mündung der Süderelbe beim Mühlenberger Loch blieb jedoch offen – mit fatalen Folgen bei der Sturmflut 1962, als die an der Süderelbe gelegenen Dörfer Finkenwerder, Francop und Neuenfelde nach Deichbrüchen überschwemmt wurden. Daraufhin wurde auch die Mündung abgedeicht. Die Süderelbe hat nur noch einen geringen Wasseraustausch über das „Storchennest-Siel“ in Finkenwerder.

An den Ufern des lahmgelegten Flusses geschahen über die Jahrzehnte die verschiedensten Dinge: Das Dorf Altenwerder verschwand und wurde Hafengebiet. Auf mehreren Flächen entlang des Flusses entsorgte der Hamburger Hafen Elbschlick. Der Obstbau in Finkenwerder und Neuenfelde musste ein neues Bewässerungssystem entwickeln und in Finkenwerder entstanden zwei einzigartige Lebensräume, die heute die Naturschutzgebiete Westerweiden und Finkenwerder Alte Süderelbe sind.

Gezeiten haben sich verändert

Warum sollte man diese so radikal verändern? Der gesamte Unterelberaum, aber speziell Hamburg, haben ein Problem mit der Entwicklung der Gezeiten. Die Fluten laufen immer schneller auf und immer träger ab. Die Sedimente, die im Flusswasser schweben, werden so nicht mehr in genügender Menge aus dem Strom gespült, sondern setzen sich ab – besonders im Hamburger Hafen, der mit seinen aufgefächerten Becken wie ein Schlickfilter wirkt.

Die Anrainerländer der Unterelbe – Hamburg, Niedersachsen und Schleswig Holstein – stellten gemeinsam Überlegungen an, wie sie das Problem in den Griff bekommen. Neue Räume sollten gefunden werden, in denen sich das Elbwasser bei Flut weiter verteilen kann. Eine von drei möglichen Flächen, die nach einem langen Abwägungsprozess übrig blieben, ist die Alte Süderelbe. Nach Angaben des „Forums Tideelbe“, das den Findungsprozess managte, seien dabei nicht nur hydrologische Effekte zu erzielen, sondern auch ökologische Vorteile gegenüber dem bestehenden stehenden Gewässer. Das würden auch die beteiligten Naturschutzverbände so sehen.

Naturschützer haben Argumente für den Status quo

Wenn man die fragt, halten sie sich aber noch bedeckt. „Wir begrüßen es, dass eben noch keine Entscheidung getroffen wurde, weder dafür, noch dagegen“, sagt beispielsweise Paul Schmid, Sprecher des Bundes für Umwelt- und Naturschutz Deutschland (BUND) in Hamburg, „denn hier müssen noch viele Abwägungen zwischen den Vorteilen einer Öffnung und dem Verlust an Bestehendem getroffen werden. Der weiter offene Prozess ermöglicht es uns, uns eine fundierte Meinung zu bilden.“

Auch Eike Schilling vom Naturschutzbund NABU will sich noch nicht festlegen. „Sicherlich würden bei einer Öffnung für die Tide Süßwasserfluträume entstehen, wie wir kaum noch welche in Mitteleuropa haben“, sagt er, „das wäre eine einmalige Gelegenheit! Andererseits ist das mit großen Eingriffen in einen bestehenden Raum verbunden und die Anwohner machen zurecht darauf Aufmerksam, dass auch der jetzige Zustand einen hohen Naturschutzwert hat.“

Einzigartige Landschaft steht auf dem Spiel

Auf dem solarstromgetriebenen Lehrboot der Interessengemeinschaft Alte Süderelbe zeigt Holger Maciolek, was auf dem Spiel steht: „Wir haben hier Reiher, Adler, Eisvögel und noch sieben geschützte Vogelarten mehr. Die würden sofort ihre Biotope verlieren. Dazu kommt eine einzigartige Landschaft in den Uferzonen!“

Mit an Bord ist auch Jörn Quast, Vorsitzender des Be- und Entwässerungsverbandes Finkenwerder Süd: „Wo die Nebenarme für die Tide auf sind, wie an der Este, gibt es mittlerweile Probleme mit dem steigenden Salzgehalt des Wassers“, sagt er. „Das schadet dem Obstbau und würde das Argument Süßwasserwatt ad absurdum führen.“

André Trepoll will politischen Druck aufbauen

André Trepoll empfiehlt der Interessengemeinschaft, politischen Druck aufzubauen und verspricht, sich daran auch zu beteiligen. „Da habe ich auch Unterstützer bei anderen Parteien“, sagt er. „Der Finkenwerder SPD-Abgeordnete Ralf Neubauer und der ehemalige FDP-Abgeordnete Kurt Duwe sind auch der Meinung, dass die Öffnung nicht kommen darf. Es gilt aber, die Leute nördlich der Elbe zu überzeugen, die sich hier nicht auskennen und Naturschutz am Schreibtisch planen!“