Finkenwerder/Francop. Seit Jahrzehnten ist der Flussarm zwischen Moorburg und Mühlenberger Loch abgedeicht. Kommen die Gezeiten zurück, ändert sich hier alles.

Nach der verheerenden Sturmflut von 1962 wurde die alte Süderelbe an beiden Enden abgesperrt und ist seitdem kein Fließgewässer mehr. Über Jahrzehnte veränderte sich der Lebensraum hier und steht jetzt gleich doppelt unter Naturschutz: Direkt nebeneinander liegen Finkenwerders Naturschutzgebiete „Westerweiden“ und „Finkenwerder alte Süderelbe“. Nun könnte sich erneut alles ändern, denn es gibt Pläne, die alte Süderelbe wieder zum Tidegewässer zu machen. Dagegen regt sich in der Region Widerstand. Heute am Sonnabend ruft die „Initiative alte Süderelbe“ für 15 Uhr zum Protest auf die Uferwiesen am Süderdeich.

Initiative befürchtet massive Veränderungen

„Diese Maßnahme würde das Gesicht der alten Süderelbe radikal verändern und massive Auswirkungen auf Mensch und Natur an den Ufern haben“, sagt Holger Maciolek von der „Initiative alte Süderelbe“ (ias). „Um den Tidefluss herzustellen, und gleichzeitig den Flutschutz zu gewährleisten, wären massive Baumaßnahmen notwendig: Der Durchlass müsste stark verbreitert werden und um die Uferzonen herum würden meterhohe Spundwände gebaut! Alle Tier- und Pflanzenarten, die wir jetzt auf den Uferwiesen haben, würden verschwinden. Darunter sind bedrohte Arten, wie Eisvogel und Fischadler.“

Projekt des Forums „Tideelbe“

Wer plant so etwas eigentlich? Die Öffnung der Alten Süderelbe ist eines von vielen Projekten, die das „Forum Tideelbe“ prüft, das die Länder Hamburg, Schleswig-Holstein und Niedersachsen ins Leben gerufen haben. Es betrachtet den gesamten unteren Flusslauf der Elbe von dem Wehr bei Geesthacht bis zur Kugelbake vor Cuxhaven. Aufgabe des Forums ist es, Maßnahmen zu entwickeln, die den Schlick-Eintrag der Elbe absenken. Der hat sich in den vergangenen Jahrzehnten massiv erhöht. Viele Umweltschützer sehen die Fahrrinnenvertiefungen der Vergangenheit als Hauptgrund dafür, aber über diese Brücke will Manfred Meine, Geschäftsführer der Denkfabrik, nicht gehen. „Sicherlich ist die vertiefte Fahrrinne ein Faktor“, sagt er, „aber es gibt noch viele andere: Deichbegradigungen zum Beispiel oder das Absperren der Nebenflüsse beeinflussen das Strömungsverhalten der Elbe mindestens genauso.“

Dem Fluss wieder mehr Platz geben

Deshalb ist es eine Aufgabe des Forums, dem Fluss wieder mehr Platz zu geben. Mehr als 100 verschiedene Vorschläge waren in der Prüfung, darunter auch die Öffnung der alten Süderelbe. Die war dem Forum immerhin eine Machbarkeitsstudie wert. Im Abschlussbericht des Forums Ende des Monats sollen die Ergebnisse dieser und anderer Machbarkeitsstudien vorgestellt werden.

Die Studie hat mehrere Öffnungsvarianten geprüft und empfiehlt eine einseitige Öffnung der alten Süderelbe zur Aue hin, wo sie jetzt schon über das „Storchennest-Siel“ Wasseraustausch mit der Tideelbe hat. Holger Maciolek und seine Mitstreiter glauben zu wissen, dass bereits eine Entscheidung für diese Maßnahme gefallen sei. „Man wird das Gebiet nicht wiedererkennen“, sagt er. Man wird es ja auch gar nicht sehen, weil es von Spundwänden eingerahmt wird.“

Elektro-Boot schippert Gäste über das Gewässer

Derzeit ist das Naturschutzgebiet überaus erlebbar. Die ias hat ein solarelektrisch betriebenes Boot konstruiert, mit dem Besuchergruppen lautlos über das Gewässer geschippert werden und von dem aus sie die verschiedenen Lebensräume am Ufer erklärt bekommen.

Manfred Meine vom Forum Tideelbe bestreitet, dass schon eine Entscheidung gefallen sei. „Wir legen am 30. September unseren Abschlussbericht vor und erst dann beginnt der politische Entscheidungsprozess. Natürlich versuchen einige, sich dafür jetzt schon einmal gut zu positionieren.“

Vorschlag: Öffnung an anderer Stelle

Völlig gegen eine Öffnung sind Holger Maciolek und seine Mitstreiter nicht, zumal die Studie auch darauf hinweist, dass der geringe Wasseraustausch im jetzigen Zustand für Algen und Wasserpflanzen problematisch ist. „Aber eine Öffnung bei vollem Tidenhub würde hier alles zerstören, was über lange Zeit aufgebaut wurde“, sagt er. „Außerdem würde die Be- und Entwässerung der Obstplantagen in Francop und Neuenfelde erneut völlig neu gestaltet werden müssen. Dabei wurde sie gerade neu geordnet und sehr vorsichtig austariert. Vollen Tidenhub würde das System nicht verkraften. Aber einen leichten Unterschied von 30 Zentimetern hält es aus. So entstehen auch vielfältige Uferzonen.“

Maciolek und andere Anrainer könnten sich vorstellen, dass dafür die alte Süderelbe viel weiter östlich angebunden wird. Am Containerterminal Altenwerder verläuft die Drewe, Diesen kleiner Bach, der einst in die Süderelbe floss, könnte man bis zur Elbe durchstechen.

Die Finkenwerder Politik steht hinter der Initiative: „Ich setze mich dafür ein, dass die Entscheidung im Parlament getroffen wird und nicht in der Umweltbehörde“, sagt der Bürgerschaftsabgeordnete Ralf Neubauer (SPD).