Hamburg. Der Siebenjährige wird zum zweiten Mal wegen einer Krebserkrankung behandelt. Seine Familie startete eine Spender-Registrierungsaktion.
Für Familie Wannagat war es ein schwieriger Frühling. Seit März machten die Werte ihres siebenjährigen Sohnes Jelle Sorgen, seit Juli steht fest: Der Blutkrebs ist zurück. Nun sucht die Familie aus Hamburg-Wilstorf nach einem Stammzellenspender.
Schon im Jahr 2016 bekam Jelle die erste Blutkrebs-Diagnose: akute lymphatische Leukämie (ALL). Leukämien gehören zu bösartigen Erkrankungen des blutbildenden Systems, umgangssprachlich als Blutkrebs bezeichnet. In Folge einer Leukämieerkrankung kann das Blut lebensnotwendige Aufgaben wie den Sauerstofftransport oder die Bekämpfung von Infektionen nicht mehr leisten.
Blutkrebs: Akute lymphatische Leukämie häufig bei Kindern
Die ALL ist dabei die häufigste Form, sie macht fast ein Drittel aller Krebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter aus. Bei Jelle wurde sie mit einem Jahr intensiver Chemotherapie im Krankenhaus und einem Jahr Erhaltungstherapie mit Medikamenten zu Hause behandelt. Damals war Familie Wannagat froh, dass die Chemotherapie ausreichte.
Die Heilungsraten für ALL sind mit über 85 Prozent sehr gut, sagt Jelles behandelnde Ärztin Gabriele Escherich. Sie arbeitet an der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie des UKE. „Aber leider gibt es noch Kinder, bei denen die Erkrankung wiederkommt oder die wie Jelle eine Zweiterkrankung bekommen“, so Escherich.
Jelles Familie ist auf der Suche nach einem Stammzellenspender
„Wir hatten anderthalb Jahre Ruhe“, erzählt Jelles Mutter Annett Wannagat. Nach der ersten Erleichterung im Juni – kein Rückfall bei der ALL – stellte sich heraus: Jelle leidet an einer anderen Erkrankung: dem Myelodysplastischen Syndrom, kurz MDS. Bei diesem Krankheitsbild funktioniert das Knochenmark nicht normal, was einen Mangel an gesunden Zellen des Blutes verursacht.
Für Jelle, der nach den Sommerferien eigentlich in die zweite Klasse kommen sollte, bedeutet das beispielsweise: „Wenn er einmal aufs Knie fällt, gibt es eine große Blutung, die kaum zu stillen ist“, erzählt seine Mutter - weil nicht mehr genug Blutplättchen produziert werden. Daher darf er jetzt kein Verletzungsrisiko mehr eingehen und zum Beispiel auch nicht mehr zum Tischtennistraining.
Bei jungen Menschen tritt MDS sehr selten auf: Nur etwa vier Prozent aller Blutkrebserkrankungen im Kindes- und Jugendalter sind MDS-Fälle. Nun ist für Jelle eine intensive Therapie nötig, sagt seine Ärztin. Weil man die gestörte Blutproduktion nicht mit Chemotherapie behandeln könne, sondern das Knochenmark ersetzen muss, ist Familie Wannagat jetzt auf der Suche nach einem Spender für eine Transplantation.
Warten auf eine Transplantation: Soziale Isolation ist ein Problem
Bis einer gefunden ist, dürfte Jelle unter normalen Umständen noch in die Schule gehen. Um in Corona-Zeiten kein Risiko einzugehen, ist er aktuell aber vor allem zu Hause, berichtet seine Mutter. Auch 2016 konnte er aufgrund seiner Leukämie ein Jahr nicht in den Kindergarten gehen. Zwar hat er zwei Geschwister, soziale Isolation ist aber ein großes Problem. Annett Wannagat freut sich, dass Jelles Lehrerin ihn per Tablet am gemeinsamen Morgenkreis teilnehmen lässt.
Trotzdem beobachtet die 44-Jährige im Hinblick auf Krankenhausbesuche, Untersuchungen und Operationen: „Das ist einfach ein starker Kontrollverlust für die Kinder. Und alles, was sie dann noch kontrollieren können, das würden sie auch gerne“, etwa, wenn es ums Essen geht. Das geht natürlich nicht immer. Eine mögliche Lösung? Mit schwarzem Stift die Wut auf ein Blatt Papier malen. „Dann wird das Blatt zerknüllt und aus dem Fenster geworfen. Irgendwo muss die Wut ja hin“, so Wannagat.
Besonders schwierig sei die Situation für Jugendliche, berichtet Ärztin Escherich – denn die haben bereits etwas Lebenserfahrung gesammelt und waren dabei, sich von den Eltern zu lösen, nur um durch die Krankheit wieder in die Abhängigkeit zurückzufallen. Jelle sei da gerade an der Grenze. Vorschulkinder hingegen nehmen die Zeit im Krankenhaus irgendwann als normales Leben wahr: „Spätestens nach einem halben Jahr ist der Kindergarten nicht mehr so präsent“, sagt Escherich. Die Kinder hätten in der Klinik auch Spielzimmer und Freunde, auf die sie sich freuen können. „Aber für die Eltern und für die Familie ist es egal, wie alt das Kind ist. Für die ist es immer schrecklich“, so die Ärztin.
DKMS: Spender werden über weltweit agierende Karteien gesucht
Für Familie Wannagat bedeuteten die ersten zwei Wochen nach der neuen Diagnose „Schockstarre“. Bei der Behandlung der Leukämie mit Chemotherapie gab es direkt etwas zu tun, das war dieses Mal anders: „Jetzt haben wir einfach nur eine elend lange Wartezeit, die man überbrücken muss“, sagt Annett Wannagat. Um die Suche nach einem passenden Spender für Jelle und andere Patienten zu unterstützen, hat die Familie gemeinsam mit der Deutschen Knochenmarkspenderdatei (DKMS) einen Registrierungsaufruf gestartet. „Man kann was tun, das ist ein schönes Gefühl“, sagt Jelles Mutter.
Die Spendersuche dauert normalerweise um die zwei bis drei Monate, berichtet Ärztin Escherich. Potenzielle Spender werden immer über weltweit agierende Karteien wie die DKMS gesucht. In Europa seien die Möglichkeiten, einen Stammzellenspender für Kinder zu finden, inzwischen grundsätzlich sehr gut, so Escherich. Laut der DKMS hat allerdings immer noch jeder zehnte Blutkrebspatient Probleme dabei, einen passenden Spender zu finden. Auch die Chance, durch personalisierte Aufrufe genau in Hamburg einen Spender zu finden, ist eher gering, sagt Escherich. Aber: Durch neue Registrierungen den Pool zu erhöhen, „birgt die Möglichkeit, für jeden möglichst rasch einen passenden Spender zu finden“.
Sollte für Jelle bald jemand gefunden werden, ist die Behandlung aber noch lange nicht abgeschlossen. Nach der Transplantation ist noch mindestens ein halbes Jahr intensive Betreuung nötig. Familie Wannagat hat noch immer große Ängste, verspürt aber auch Dankbarkeit. Für die Anteilnahme im Bekanntenkreis und für die Behandlungsmöglichkeiten. „Diesmal konnten wir quasi zugucken beim medizinischen Fortschritt“, sagt Annett Wannagat mit Blick auf die Situation vor vier Jahren. „Es hilft mir sehr beim Verarbeiten, dass es einen Namen hat. Man weiß: Aha, da ist was kaputt und darum ist das so.“
Weitere Informationen zu Krebserkrankungen bei Kindern finden Sie im Informationsportal des Kompetenznetzes Pädiatrische Onkologie und Hämatologie. Über Stammzellenspenden informiert die DKMS.
Wer zwischen 17 und 55 Jahren alt ist, kann sich unter www.dkms.de/jelle ein Registrierungsset für die Datenbank der Organisation bestellen. Laut DKMS gibt es in Hamburg aktuell rund 140.000 registrierte Spender, von denen bereits über 1.500 aktiv spenden konnten.