Hamburg/Landkreis Harburg. Seit 10. März ist ein kompletter Wirtschaftszweig nahezu lahmgelegt – und wird es wohl bis mindestens Oktober auch noch bleiben.
Am Eichenring in Scheeßel wären am heutigen Montag die letzten Besucher vom „Hurricane“-Festival abgereist. Doch wegen der weiter bestehenden Corona-Beschränkungen musste es wie alle großen Veranstaltungen im Land abgesagt werden. Auch die Schützen-, Stadt- und Dorffeste in Harburg Stadt und Land fallen daher aus und damit viele beliebte Treffpunkte des gesellschaftlichen Lebens im Sommer. Existenziell betroffen aber ist von diesem Totalausfall die Veranstaltungsbranche, die diese Feste und Festivals organisiert, mit Technik ausstattet und für die Gastronomie sorgt.
Seit 10. März ist damit ein kompletter Wirtschaftszweig nahezu lahmgelegt – und wird es wohl bis mindestens Oktober auch noch bleiben, weil große Veranstaltungen wegen der erhöhten Infektionsgefahr weiter verboten bleiben sollen. Keine andere Branche muss eine solche lange Zwangspause verkraften. In der Nacht zum morgigen Dienstag wollen die vielen unterschiedlichen Veranstalter daher mit rot beleuchteten Gebäuden, Bauwerken und auch Denkmälern auf ihre Lage aufmerksam machen. „Night of Light“ – so heißt die Aktion. Rot stehe dabei für „Alarmstufe Rot“ oder auch „Rote Liste“ – weil massenhaft Insolvenzen drohten und viele Unternehmen verschwinden könnten.
Keine einheitliche Lobby
Auch in der südlichen Hamburger Metropolregion wird man die roten Lichter sehen können, hier haben auch einige namhafte Unternehmer der Branche ihren Sitz. Da ist zum Beispiel Bernd Fritzges, der mit seiner Hollenstedter Agentur „Meetingdeals“ vor allem Kongresse und Tagungen organisiert.
Fritzges ist auch Vorstandsvorsitzender des Verbands der Veranstaltungsorganisatoren und in dieser Funktion derzeit vor allem unterwegs, um in der Politik auf die Lage seiner Branche hinzuweisen. „Das Problem ist, dass wir keine einheitliche Lobby haben, um deutlich zu machen, dass Millionen von Arbeitsplätzen betroffen sind“, sagt er.
Allein in seinem Bereich bei der Organisation von Tagungen und Kongressen würden jährlich 81 Milliarden Euro umgesetzt – ungefähr soviel wie in der „viel mehr beachteten“ Gastronomie. „Und wir sind nur ein kleiner Teil der Veranstaltungsbranche“, sagt Fritzges, der seine Mitarbeiter nun doch aus der Kurzarbeitet holen musste, um die vielen Stornierungen zu bearbeiten. Auf der Einnahmenseite aber sei das Geschäft so gut wie zum Erliegen gekommen, sagt er. „Wir sind sozusagen doppelt betroffen.“
Denkmal für Boxidol Max Schmeling leuchtet rot
Der Hollenstedter beteiligt sich an der „Night of Light“ mit einer besonderen Aktion. Er wird das Denkmal für Boxidol Max Schmeling (1905 – 2005) in Hollenstedt rot beleuchten, das in der Gemeinde an ihren berühmten Mitbürger erinnert. Begleitet wird die Leuchtaktion mit einem Videofilm, den Veranstaltungsprofi Fritzges über seine sozialen Netzwerke (www.meetingdeals.de/news) verbreiten will. Berühmte Boxer sollen dort zu Wort kommen, weil eben auch etliche Box-Veranstaltungen derzeit ausfallen. Und auch Hollenstedts Samtgemeindebürgermeister Heiner Albers ist dort zu sehen, wie er über die Schützen- und Dorffeste redet, die aus seiner Sicht ein fester und wichtiger Bestandteil des kulturellen Lebens in der Region seien.
„Es wäre eine Katastrophe, wenn solche Feste auch nächstes Jahr noch wegfallen“, sagt Albers dort.
Eine Katastrophe ist die derzeitige Lage jetzt schon für die Seevetaler Agentur „Team 412“, die der Hittfelder Matthias Graf vor gut 20 Jahren gegründet hatte und die mit spezieller und moderner Gastronomie etliche große Festivals im Lande oder auch viele kleinere Feste der Region betreut. „Hurricane“, „Deichbrand“, „Elb-Jazz“ – das wären unter anderem große Festival-Termine in diesem Jahr gewesen.
Nahezu 100 Prozent Umsatzrückgang
Aber auch Konzerte in Berlin oder Leipzig. Und Graf gilt als einer der Geburtshelfer für das beliebte Kunst- und Konzert-Festival „A Summer’s Tale“ in Luhmühlen, das in diesem Jahr aber sowieso aus organisatorischen Gründen pausiert.
„Nahezu 100 Prozent“, so lautet seine knappe Antwort auf die Frage des Umsatzrückganges. Seine 52 Festangestellten musste Graf in Kurzarbeit schicken, die bis zu 6000 Aushilfen, meist Studenten, warten vergeblich auf einen Job. „Die Zeit ist schon echt krass“, sagt der 51-Jährige, der sich nun jeden Freitag, immer um 16 Uhr 12, in Anlehnung an den Agentur-Namen mit seinen Leuten zu einem Online-Stammtisch trifft, um die Lage zu besprechen. „Mit Corona-Bier“, wie er sagt.
Ob es zusätzliche Hilfen der Politik gibt, sei aber noch nicht absehbar, sagt Graf, der in dieser Lage besonders über die Sorgen seiner acht Auszubildenden erschüttert ist. „Ich bin sonst immer umsäumt von Leuten, die begeistert und voller Fröhlichkeit ihren Job machen – jetzt sehe ich plötzlich teilweise Angst – und das tut weh“, sagt Graf. Am schlimmsten daran sei, „dass man abwarten muss und zur Passivität verdammt ist“, wie er sagt. Die Sorgen seiner Branche werden bei der „Night of Light“ daher am Bürositz des Team 412 in Maschen sichtbar sein. Das Gebäude wird schon seit ein paar Tagen gut sichtbar von der Autobahn rot angestrahlt. „Wir brauchen einfach Übergangshilfen, um überleben zu können“, sagt Veranstaltungsprofi Graf.
Azzouz beleuchtet die ganze Reeperbahn
Ein paar Kilometer weiter nördlich von Maschen kämpft unterdessen der Harburger Kaufmann und Gildekönig Borhen Azzouz ums betriebswirtschaftliche Überleben. Mit seiner im Binnenhafen ansässigen Firma SUB-events sorgt er für die technische Ausstattung von Festivals, Konzerten und vielen anderen Veranstaltungen. Bühnen gehören dazu, aber auch Lautsprecher. „Von der Hör-Unterstützung bis zur Stadion-Beschallung“, wirbt er auf seiner Homepage.
Seine fünf Mitarbeiter musste er in die Kurzarbeit schicken, Aushilfen entlassen. Quasi seit Februar und bis Ende des Jahres seien die Aufträge jetzt weggefallen, sagt Azzouz, der ebenfalls eigentlich das „Hurricane“-Festival betreut hätte. Auch an der Beleuchtungsaktion beteiligt sich der Harburger. Zwar nicht am Firmensitz, dafür aber ganz groß.
Azzouz ist Projektleiter einer Aktion von 20 Hamburger Unternehmen der Veranstaltungstechnik, die gemeinsam dann komplett die 800 Meter lange Reeperbahn mit 1500 LED-Strahlern rot beleuchten wollen. Allerdings belässt es der Harburger Unternehmer dabei nicht bei solch spektakulären Hilferufen. „Man muss trotzdem positiv denken und nach vorne gucken“, sagt er und hat sein Lager im Binnenhafen mittlerweile in ein TV-Studio umgebaut.
Der traditionelle Hamburger Motorradgottesdienst Mogo wurde hier beispielsweise als Sendung produziert, um ihn wenigstens virtuell übers Internet aussenden zu können. Auch eine Live-Facebook-Talkshow des Wilhelmsburger SPD-Bundestagabgeordneten Metin Hakverdi wurde von dort schon gesendet. „Wenn man zu lange auf das Rettungsboot warten muss, ist die Gefahr groß, dass man untergeht“, sagt Azzouz.