Todtglüsingen . Es könnte alles so schön sein beim Todtglüsinger SV. Doch mit dem ersten Spatenstich tauchten Probleme auf – im wahrsten Wortsinn.
„Und am Ende der Straße steht ein Haus am See, Orangenbaumblätter liegen auf dem Weg. Ich hab zwanzig Kinder, meine Frau ist schön. Alle kommen vorbei, ich brauch nie rauszugehen.“ Wem würde eine solche Szene, die Peter Fox im bekannten Song „Haus am See“ beschreibt, nicht gefallen?! Renate Preuß gehört ganz sicher dazu. Manchmal möchte die Erste Vorsitzende des Todtglüsinger SV einfach die Augen schließen, alle Sorgen um sich herum vergessen, auf der Terrasse des Vereinshauses sitzen und den Blick über das in der Sonne glitzernde Wasser des vor ihr liegenden Baggersees schweifen lassen. Doch dann wird sie von der Realität eingeholt, die lang nicht so sorgenfrei ist.
Das Positive: Das „Haus am See“ gibt es tatsächlich. Es ist das aktuellste Projekt des größten Sportvereins im Landkreis Harburg, dessen sportliches Herz in der 2003 erbauten und 2009 erweiterten Fitnesshalle schlägt. Zum Eigentum des breitensportlich orientierten Vereins gehört ebenfalls ein in mehreren Schritten erworbenes, mittlerweile 22 Hektar großes Areal an einem Baggersee unweit der Bundesstraße B 75. Dort sind unter anderem Sportanlagen für Gorodki, Bogenschießen und Hundesport, ein Beachplatz, Angelplätze und ein Sandstrand entstanden.
Schmuckstück des Vereins steht kurz vor der Fertigstellung
Am Ufer wird seit Herbst 2018 das „Haus am See“, so lautet tatsächlich der vom Verein gewählte Name, gebaut. Das neue Schmuckstück des Todtglüsinger SV steht kurz vor der Fertigstellung. Zum zweigeschossigen Bau mit einer Nutzfläche von 1500 Quadratmetern gehören drei Kursräume, ein Kraftraum, eine Hausmeister- und eine weitere Wohnung, Umkleide- und Duschräume, zwei Saunen, ein kleines Bistro für die Öffentlichkeit und die zum See gelegene Terrasse.
Kräftige Farben, jede Menge Tageslicht und herrliche Ausblicke auf den See bestimmen das Innere. Die Zuschüsse der öffentlichen Hand zu den Investitionskosten von 2,5 Millionen Euro sind vergleichsweise gering, jeweils 100.000 Euro flossen vom Landessportbund Niedersachsen und aus dem Leader-Förderprogramm der Europäischen Union.
Es könnte alles so schön sein. Doch mit dem ersten Spatenstich tauchten die Probleme auf – im wahrsten Wortsinn. „Ich kann mich erinnern, wie wir mit offenem Mund am Rand der Baugrube standen und auf Berge von Bauschutt starrten. Wir konnten es nicht fassen“, erzählt Renate Preuß. Ganze Wände, zum Teil bestückt mit Fliesen in Rosa und Hellgrün, kamen beim Ausheben der Baugrube zum Vorschein, dazu alte Heizkörper und Holzbalken.
Einlagerungen im Untergrund
Bis in die späten 1990er-Jahre hatten mehrere Unternehmen auf dem Gelände am Bötersheimer Weg Kies abgebaut. Vor Erteilung der Baugenehmigung gab der Verein auf Geheiß des Landkreises Harburg 2017 ein Gutachten in Auftrag. Da auf dem Gelände dauerhaftes Wohnen zugelassen werden sollte, waren Nachweise erforderlich, dass gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse herrschen.
Bei Probebohrungen stellte der Gutachter Einlagerungen im Untergrund fest, die er nicht als sonderlich belastet bewertete. Jetzt, da sie zu Tage getreten waren, konnten sie genauer untersucht werden. Die Kontamination war so hoch, dass die Schuttberge auf der dreistufigen Skala in der mittleren und zum Teil der am höchsten belasteten Stufe eingruppiert wurden. „Für diese Extra-Entsorgung sind uns Zusatzkosten in Höhe von etwa 280.000 Euro entstanden“, sagte die Vorsitzende.
Der Todtglüsinger SV sah und sieht nicht ein, die Summe allein schultern zu müssen. „Das Vorhandensein des Mülls war dem Landkreis Harburg bekannt“, lautet der Vorwurf von Renate Preuß. Eine These, die eine historische Kurzrecherche des Gutachters stützt – im übrigen auf Basis beim Landkreis vorliegender Unterlagen. „Hierbei fanden sich zahlreiche Hinweise auf ungenehmigte Ablagerung von Fremdstoffen in Teilbereichen der Flächen. Der älteste Beleg über eine widerrechtliche Abfallbeseitigung (Abraumboden und Bauschutt) stammt vom 6. Februar 1978“, heißt es im Gutachten.
15.000 bis 20.000 Kubikmeter Abfälle
Im weiteren Verlauf ist von der Einlagerung von Baumstubben, Betonklötzen, Dachpappe und Haushaltsgegenständen in größeren Mengen die Rede. Anfang der 1980er-Jahre wird darüber berichtet, dass 15.000 bis 20.000 Kubikmeter Abfälle für die Verfüllung der Fläche Verwendung fanden. 1983 wurde Bodenmaterial zur Rekultivierung der Fläche aufgebracht. 1992 wurden erneut wilde Ablagerungen von Bauschutt und Abfällen festgestellt, diese sollten vom Umbau der Esso-Tankstelle in Tostedt stammen.
Dem Landkreis Harburg ist zugute zu halten, dass er die mehrfach wechselnden Eigentümer und Pächter der Flächen am Baggersee immer wieder zur fachgerechten Entsorgung aufgefordert hat. Die Unterlagen, die der Gutachter in der Kreisverwaltung einsehen konnte, reichen bis in das Jahr 1998. Die letzte Aufforderung zur ordnungsgemäßen Entsorgung stammt aus dem Juni 1998. Mindestens bis zu diesem Zeitpunkt wusste der Landkreis also von den Problemen auf dem Gelände am Baggersee.
Um zu einer einvernehmlichen Lösung zu gelangen, führten Renate Preuß und weitere Vorstandsmitglieder im vergangenen Jahr Gespräche mit der Kreisverwaltung. Unterstützt wurde der Verein vom Tostedter Bürgermeister Gerhard Netzel. Weil die Gespräche auf Verwaltungsebene keinen Erfolg brachten, schrieb Preuß an die Kreistagsfraktionen, informierte sie vor Ort und bat darum, das Thema zum Tagesordnungspunkt auf der nächsten Kreistagssitzung zu machen. „Wir fühlen uns allein gelassen. Wenn uns der Landkreis nicht helfen kann oder will, lässt uns das an der Verantwortung, die auch die Politik gemeinnützigen Vereinen gegenüber haben sollte, zweifeln“, heißt es in dem Schreiben.
„Dass Abfälle vergraben wurden, war dem Landkreis nicht bekannt.“
Das war im Juli 2019. Seitdem hat sich wenig getan. Das einzige Ergebnis war eine kleine Anfrage der Gruppe Grüne/Linke, die im August 2019 im Bau- und Planungsausschuss behandelt wurde. In der Antwort weist der Landkreis Harburg in Person von Gunnar Peter, Leiter der Abteilung Boden/Luft/Wasser, die Verantwortung von sich. „Dass an dem in Rede stehenden Ort Abfälle vergraben wurden, war dem Landkreis nicht bekannt.
Eine Aufforderung des Landkreises an den Todtglüsinger Sportverein, die im Zusammenhang mit dem Bau des Sportlerheims vorgefundenen Materialien aufzunehmen und zu entsorgen, ist nicht ergangen. Nach Auffassung des Landkreises hätten die Materialien auch mit den entsprechenden Gründungsmaßnahmen durchaus dort verbleiben können. Da der Landkreis eine Beseitigungsanordnung nicht ausgesprochen hat, kann dem Wunsch des Sportvereins auf Beteiligung des Landkreises an den Entsorgungskosten nicht gefolgt werden“, beantwortete Gunnar Peter die kleine Anfrage schriftlich.
„Der Landkreis hat uns zwar nicht aufgefordert, den Bauschutt zu entsorgen. Andererseits haben sie uns vorgeschrieben, ein Gutachten erstellen zu lassen. Und wir haben nach den Empfehlungen des Gutachters gehandelt. Den Abfall können wir doch nicht einfach liegen lassen. Auch weil sich viele Familien mit Kindern auf dem Gelände aufhalten“, sagt Renate Preuß. „Ich finde es zynisch vom Kreis, in diesem Zusammenhang jede Verantwortung von sich zu weisen.“
Vorstand ist an einer gütlichen Einigung interessiert
Der Vorstand des mehr als 8000 Mitglieder großen Sportvereins ist an einer gütlichen Einigung interessiert. „Wir wollen nicht die gesamte Summe, die für die Beseitigung des belasteten Materials erforderlich war, erstattet bekommen. Aber da uns auf der anderen Seite auch kein Verschulden angelastet werden kann, wären wir für eine finanzielle Hilfe seitens des Landkreises sehr dankbar“, so die Vorsitzende. Vorstellen könne sie sich eine Drittelung der Kosten zwischen Landkreis, Samtgemeinde Tostedt und Todtglüsinger SV.
Und dann entschwindet Renate Preuß in Gedanken wieder in einen Traum, in dem alle Sorgen vergessen sind: sie sitzt eines nicht allzu fernen Tages unbeschwert auf der Terrasse des Hauses am See und denkt an das Happy End im Lied von Peter Fox: „Meine hundert Enkel spielen Cricket auf’m Rasen. Wenn ich so daran denke, kann ich’s eigentlich kaum erwarten.“