Harburg. Die Anlaufstelle für Obdachlose hat in Coronazeiten strenge Regeln entwickelt. Vor allem für das Übernachten.
Abstand halten und zu Hause bleiben: Die wichtigsten Gebote dieser Wochen einzuhalten, fällt selbst dann nicht leicht, wenn man Haus und Garten hat. Es fällt schon schwerer, wenn man mit vier Personen auf 50 Quadratmetern wohnt. Was aber, wenn man gar kein zu Hause hat? Für Obdachlose gibt es nach Meinung von Betroffenen und professionellen Experten ohnehin zu wenig Hilfsangebote. In Corona-Zeiten noch weniger. Da ist es umso wichtiger, dass das Harburg-Huus, die Obdachloseneinrichtung des Roten Kreuzes am Außenmühlenweg, seinen Betrieb aufrecht erhält. Es ist die einzige feste Anlaufstelle für Obdachlose südlich der Elbe. So ganz, wie gewohnt läuft der Betrieb aber auch im Harburg-Huus derzeit nicht.
Für viele ist die Einrichtung ein Glücksfall
Vor dem 100 Jahre alten ehemaligen Fabrikgebäude genießt Robert die Sonnenstrahlen. Er sitzt in der Klön-Ecke neben der Treppe. Nur zum Klönen ist keiner da. Es dürfte sich auch niemand hinzu setzen. Abstand. „Es ist auf der einen Seite leerer geworden und damit etwas einsamer“, sagt der 55-jährige. „Andererseits werden wir Verbleibenden immer mehr zu einer Gemeinschaft.“ Robert gehört zu den Übernachtenden im Harburg-Huus. Als er sich vor etwas über einem Jahr von seiner Freundin trennte und auszog, fand er keine eigene Bleibe. „Für mich war das Harburg-Huus ein Glücksfall“, sagt er.
Die Hälfte der 15 Schlafplätze ist derzeit belegt
15 Schlafplätze hat die Einrichtung eigentlich. Davon sind derzeit noch etwa die Hälfte belegt. „Neue Übernachtungsgäste nehmen wir in dieser Situation nicht auf“, sagt Harburg-Huus-Leiter Thorben Goebel-Hansen. „Wir laufen langsam leer. Obwohl ich nicht glaube, dass wir jemals ganz ohne Gäste sein werden. Aber es ist so, dass jeder, der auch nur eine Nacht nicht zurück kommt, den Platz verloren hat.“
Das klingt hart. Viele Wohnungslose haben noch Freunde und Bekannte, die sie zwar nicht dauerhaft, aber gelegentlich bei sich übernachten lassen und nutzen das normalerweise gerne. Gast Robert findet die strikte Linie des Hauses dennoch gut: „Wer in diesen Zeiten woanders schläft und dann wieder herkommt, erhöht doch das Risiko für alle anderen“, sagt er. „Es gab dazu eine klare Ansage, die jeder verstanden hat. Wenn jemand trotzdem wegbleiben und dann wiederkommen will, fehlt mir das Verständnis!“
Als Tagesaufenthalt intensiv genutzt
Die Übernachtungsplätze sind zwar ein wichtiger Bestandteil der Arbeit des Hauses – umso wichtiger, weil das Winternotprogramm der Stadt Ende März ausgelaufen ist – aber bei weitem nicht der einzige. Von 10 bis 17 Uhr steht das Haus Obdachlosen als Tagesaufenthaltsstätte zur Verfügung. Auch hier hat sich einiges geändert. Wo sonst meistens ein Dutzend und manchmal mehr Gäste an den Tischen sitzen, sich unterhalten, eine Mahlzeit erhalten und die Möglichkeit haben, sich mit einem Sozialarbeiter auszutauschen, ist der Aufenthalt derzeit auf fünf Personen zur Zeit begrenzt: An jedem Tisch höchstens ein Gast, wegen des Abstands. „Das führt dazu, dass wir auch die Sozialberatung nicht mehr im direkten Gespräch anbieten können, sondern über das Smartphone laufen muss“, sagt Thorben Goebel-Hansen. „Das hat zwar auch fast jeder Obdachlose, aber niederschwellige Angebote sind das dann nicht mehr.“
Von 33 Helfern sind derzeit nur zehn im Einsatz
Das überwiegend gute Wetter dieser Tage sorgt dafür, dass der Andrang auf die Tagesstätte derzeit etwas niedriger ist, als sonst. „Wir haben allerdings mehr Anfragen nach Duschmöglichkeiten“, sagt Goebel-Hansen. Dass aber allgemein etwas weniger nachgefragt wird, spielt Goebel-Hansen und seinem Team in die Karten, denn auch beim Personal muss er Corona-Vorsichtsmaßnahmen anwenden. Von 33 Kräften sind derzeit nur zehn im Einsatz: „Wir haben alle Freiwilligenjahr-Leistenden, alle Praktikanten und alle Ehrenamtlichen gebeten, nicht mehr zu kommen“, sagt der Einrichtungsleiter, „Mit dem Rumpfteam sind wir zwar stark gefordert, aber wir schaffen das noch.“
Spenden sind wichtig für die Arbeit
Was sich für das Harburg-Huus nicht geändert hat, ist der Bedarf an Spenden. „Die Bereitschaft für Sachspenden ist immer noch groß“, sagt Thorben Goebel-Hansen, „aber die Möglichkeiten, diese entgegenzunehmen sind derzeit sehr eingeschränkt. Das ist ein Problem. Deshalb sind Geldspenden gerade wichtiger, denn je.“
Bei den verbleibenden Übernachtungsgästen hat die geänderte Situation einen besonderen Nebeneffekt. „Weil die Ehrenamtlichen nicht mehr kommen, dürfen wir jetzt selbst in der Küche helfen“ sagt Robert. „Das schweißt uns als Gemeinschaft zusammen.“