Harburg. Seit Wochen laufen die Vorbereitungen für den Online-Vorlesungsbetrieb. Auch die Labore sollen bald wieder öffnen.

Nach fünf Wochen intensiver technischer Vorarbeit starteten gestern die digitalen Vorlesungen des Sommersemesters 2020 an der Technischen Universität Hamburg (TUHH). „Das ist für uns ganz neu, ganz aufregend. Nicht nur die Studierenden, auch die Lehrenden werden viel daraus lernen“, sagt Prof. Kerstin Kuchta, als Vizepräsidentin der TUHH zuständig für die Lehre.

Studierende sitzen im virtuellen Hörsaal

Die rund 7900 Studierenden sitzen nun an ihren heimischen Bildschirmen und verfolgen Vorlesungen live mit dem amerikanischen Video-Konferenz-Programm Zoom und hauseigenen Systemen. Sie können Fragen stellen und Wortbeiträge leisten – dennoch können die digitalen Vorlesungen und kleineren Arbeitsgruppen-Formate den Uni-Alltag nicht ersetzen.

Kuchta: „Schon jetzt beim Vorlesungsstart lechzt die gesamte Kollegenschaft danach, wieder in den Hörsaal zu kommen. Wir brauchen die Interaktion mit den Studierenden. Die Diskussionskultur, die Wissenschaft ausmacht.“

Vorlesungen von der Länge einer Kaffeepause

Es habe sich bereits eine sehr kreative Mischung aus Lernangeboten entwickelt, sagt Kuchta. Studien werden verteilt und dann gemeinsam per Video-Konferenz besprochen. In „Coffee Break Lectures“ (Vorlesungen von der Länge einer Kaffeepause) werden wichtige Vorlesungsinhalte zusammengefasst oder spezielle Aspekte innerhalb der Fächer angesprochen.

Zusätzlich zum Vorlesungsstart müssen viele Studierende noch Stoff vom Wintersemester büffeln. Denn durch den Coronaausbruch konnten im Februar/März nicht alle Prüfungen durchgeführt werden. 56 Prüfungen stehen noch aus und sollen in der Woche nach Pfingsten (erste Juniwoche) nachgeholt werden.

Die Prüflinge werden in kleineren Gruppen mit viel Abstand platziert. Auch dies ist eine Mammutaufgabe für das TU-Management, denn hinter 56 Prüfungen verbergen sich rund 5400 Prüfungsanmeldungen von 3200 Studierenden. 600 von ihnen haben zwei oder mehr Prüfungen zu absolvieren.

Prof. Dr. Kerstin Kuchta an einem Extruder, in dem Altplastik eingeschmolzen und zu neuem, fadenförmigen Rohstoff wird.
Prof. Dr. Kerstin Kuchta an einem Extruder, in dem Altplastik eingeschmolzen und zu neuem, fadenförmigen Rohstoff wird. © HA /Angelika Hillmer | Angelika Hillmer

Auf dem Campus läuft nur Basisbetrieb

„Es ist erstaunlich: Seit drei Wochen läuft nur noch ein Basisbetrieb auf dem Campus, hier sind kaum noch Menschen zu sehen. Und dennoch ist die Verwaltung voll einsatzfähig und hat die Basis geschaffen, um den Lehr- und Forschungsbetrieb allmählich und mit großer Vorsicht wieder aufzunehmen“, sagt Ralf Grote, Leiter der Präsidialabteilung der TUHH. „Das funktioniert nur mit ganz, ganz großem Engagement im Homeoffice.“

Auch habe es geholfen, dass sich die TUHH schon vor der Coronakrise intensiv mit Telearbeit und digitalen Werkzeugen, etwa bei den Lehrformaten, beschäftigt habe.

Intensive Arbeit am Rechner im Homeoffice

Grote selbst arbeitet ab und an in seinem Büro im TUHH-Hauptgebäude, meist jedoch zu Hause. „Die Arbeit ist intensiver geworden“, sagt er. „Es folgt eine Videokonferenz auf die andere, und wenn es passt dazwischen noch Telefongespräche. An manchen Tagen setzt man sich morgens an den Rechner und realisiert nach siebeneinhalb Stunden, dass man sich überhaupt nicht bewegt hat.“

Die Labore haben eine Schlüsselfunktion im Lehrbetrieb

Zum Semesterstart hat TUHH-Präsident Ed Brinksma angekündigt, dass auch der Betrieb in den Instituten, Forschungswerkstätten und Laboren nach und nach wieder aufgenommen werden sollte. Als Leiterin der Arbeitsgruppe Abfallressourcenwirtschaft bedeutet dies für Kerstin Kuchta, die Zahl der Forschenden in den Laboren an der Harburger Schlossstraße allmählich zu erhöhen.

„Unsere Labore waren, wie auch andere biotechnologische Labore an der TUHH, nie ganz geschlossen worden. Denn wir arbeiten mit Algen und mit Mikroorganismen der Biogas-Kulturen, die es zu erhalten gilt. Bislang haben in unserem recht weitläufigen Labortrakt maximal zwei Leute in Schichten gearbeitet. In den kommenden zwei Wochen wollen wir die Zahl verdoppeln und bis zum Sommer wieder vollständig präsent sein“, so Kuchta.

Auch hinsichtlich der Büros ist Kuchta mit ihrem gut 20-köpfigen Team gut ausgestattet. Denn das Institut für Umwelttechnik und Energiewirtschaft, zu dem ihr Fachbereich gehört, ist gerade in den ersten Bauabschnitt des neuen Technologiezentrums Hamburg Innovation Port (HIP) an der Blohmstraße umgezogen. Noch seien dort nicht alle Büros bezogen, deshalb gebe es viel Platz, so Kuchta. An den neuen Laboren werde dort noch gearbeitet, der Umzug sei für den 12. Mai geplant.

Auch die Labore sollen bald wieder offen sein

Die Labore sind für die Forschungsprojekte wichtig und auch für Praktika innerhalb der Studiengänge. Kuchta: „Im Sommersemester sind insgesamt 34 Laborpraktika vorgesehen. Wir werden versuchen, sie schwerpunktmäßig in den Sommer zu verlegen.“

Vor allem aber müsse die Forschung weitergehen: „Staatlich finanzierte Projekte werden verlängert. Aber wenn ich statt drei Jahren dreieinhalb Jahre Zeit habe, heißt das nicht, dass ich mehr Geld bekomme. Noch kritischer ist die Forschung für die Industrie: Wenn man dort keine Ergebnisse liefern kann, fließt auch kein Geld.“

"Tragfähige Lösungen für den Universitätsbetrieb"

„Bei aller Freude über das Wiederanfahren der Aktivitäten in Lehre und Forschung bleibt eine Prämisse gültig: Wir müssen weiterhin Beiträge zur Verlangsamung der Epidemie leisten“, betont TUHH-Präsident Ed Brinksma zum Semesterstart.

Unter den allgemeinen Restriktionen gelte es „tragfähige Lösungen zu entwickeln, um den in der derzeitigen Situation bestmöglichen Universitätsbetrieb aufzubauen. Vieles müssen wir neu erarbeiten. Das wird Zeit und Mühen kosten, aber auch viel Raum bieten für kreative Lösungen.“