Hoopte. Spargel- und Obstbauern fürchten um ihre Ernte. Es gibt trotz Corona freiwillige Helfer, doch das reicht nicht aus. Beispiel: Spargelhof Löscher.

Es geht jetzt um alles. Um 800 Tonnen Beeren und Spargel, die den Bedarf von 100.000 Menschen für eine Saison decken können. Um die Jobs von 20 Festangestellten auf dem Fruchthof Löscher und das Schicksal von 200 Erntehelfern, die mit ihren Einnahmen ihre Familien in Rumänien und Polen unter die Arme greifen. Kurz: Die Versorgung mit Obst aus der Region steht grundsätzlich auf dem Spiel, wenn die Ernte ausfällt, weil die nötigen Helfer auf Beschluss der Bundesregierung nicht mehr ins Land kommen. Das Coronavirus stellt alles in Frage. „Wir können nichts verschieben und nichts nachholen. Die Ernte muss in den nächsten drei Monaten eingeholt werden, sonst geht es an die Existenz der gesamten Branche“, sagt Felix Löscher, einer der beiden Chefs des gleichnamigen Fruchthofs im Winsener Ortsteil Hoopte.

Die rumänischen Erntehelfer, die im Moment schon da sind, dürfen länger bleiben. Sie arbeiten derzeit auf Spargelfeldern.
Die rumänischen Erntehelfer, die im Moment schon da sind, dürfen länger bleiben. Sie arbeiten derzeit auf Spargelfeldern. © Rolf Zamponi

Hof in Familienbesitz seit dem 18. Jahrhundert

Seit dem 18. Jahrhundert ist der Hof, dem ein Café angeschlossen ist, in Familienbesitz. Über Generationen haben die Menschen auf den Feldern in Seevetal, Winsen und Stelle angepackt, Probleme gelöst und Krisen überstanden. So haben das Löscher und sein Bruder Florian, der ebenfalls Geschäftsführer ist, jetzt auch gemacht. Sie haben am Eingang zum Hof Warnschilder aufgestellt und darauf „Hände waschen“ auf rumänisch und polnisch übersetzt. Sie haben, gemeinsam mit anderen Betrieben Linienflugtickets gekauft und die Arbeiter, die oftmals noch nie in ihrem Leben geflogen waren, in Dortmund abgeholt. „Da standen wir und hofften und bangten, ob die Einreise klappen würde“, sagt Felix Löscher, der mit in der Ankunftshalle stand. Als zunächst alles glatt ging, kam Hoffnung auf, sogar ein wenig Euphorie.

30 Erntehelfer sind hier, 150 fehlen noch

Mehr Flüge wurden gebucht bis zum 30. März. Dann die Entscheidung der Bundesregierung: Seit vergangenem Mittwoch um 17 Uhr dürfen planmäßige Flüge keine Erntehelfer mehr nach Deutschland bringen. Ein Beschluss, der die Familie – auch Löschers Ehefrau Katrin und die Eltern Ute und Herbert arbeiten mit – schlicht fassungslos machte. „Ich war den Tränen nahe“, gibt Löscher unumwunden zu. Der 37-Jährige ist ein schlanker hochgewachsener Mann, dem man solche Verzweiflung nicht zutrauen würde. Aber seine Rechnung ist einfach: 30 Erntehelfer sind hier, 150 müssen innerhalb des Aprils noch her. Sonst gerät alles, alles in Gefahr.

40.000 Euro für ein Flugzeug mit 100 Passagieren

Die Löschers geben nicht auf. „Wir sind breit, Flüge zu chartern und dann gemeinsam mit anderen Betrieben Arbeiter nach Deutschland zu holen.“ Ist das nicht zu teuer? „Der Preis ist uns egal. Wir tun alles, um die Ernte zu retten,“ sagt der gelernte Industriemechaniker. 40.000 Euro würde eine Maschine für gut 100 Insassen kosten, hat er sich schon erkundigt.

Die Erntehelfer leben während der Saison in Container-Unterkünften, jeweils zu zweit in einem Container. Dazu gibt es noch separate Wohnungen, Spuckschutz am Verkaufsstand.
Die Erntehelfer leben während der Saison in Container-Unterkünften, jeweils zu zweit in einem Container. Dazu gibt es noch separate Wohnungen, Spuckschutz am Verkaufsstand. © Rolf Zamponi

Die Löschers würden soweit nötig auf dem Hof auch Quarantänezelte aufbauen. In einem Kühlhaus entsteht gerade ein Kiosk für Grundlebensmittel, damit die Mannschaft Ausflüge zum Einkaufen vermeiden kann. Vor die 40 Verkaufsstände, die überall in der Region die Kunden anlocken sollen, werden jetzt durchsichtige Plastikscheiben als Spuckschutz gesetzt. „Wir handeln so flexibel wie es nur geht.“

70-Tage-Regelung wurde ausgeweitet

Zumindest ein wenige flexibel hat sich auch Bundes-Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner gezeigt. Noch bevor sie den Stopp für die Einreisen anordnete, ließ sie die 70-Tage-Regelung ausweiten. Das bedeutet, dass die Saisonarbeitskräfte nun bis zu 115 Tage beschäftigt werden und das verdiente Geld ohne Sozialabgaben netto bekommen können. Bei Löscher konnten einige Rumänen nun länger bleiben. Sie sind derzeit dabei, auf einem drei Hektar großen Feld nahe der Autobahnauffahrt Winsen West Metallbögen für die Spargelernte in die Erde zu stecken. An ihnen werden die schützenden Folien für das Gemüse befestigt. „Die Leute hätten ohne die Änderung in den nächsten Tagen abreisen müssen“, sagt Löscher.

Der Chef fühlt sich für seine Leute verantwortlich. Aus einem Dorf nahe dem rumänischen Sibiu (ex Hermannstadt) kommen seit Jahren etliche seiner Mannschaft. Sie verdienen auf dem Hof selbst beim Mindestlohn von 9,35 Euro pro Stunde in einer Woche so viel wie in einem Monat zu Hause. „Ich denke gerade“, wirft Löscher ein, „an Sabin, den Vater eines fünfjährigen Sohns, der herzkrank ist. Für ihn ist das bei uns verdiente Geld wichtig, um Krankenhausaufenthalte und Medikamente für seinen Sohn zu bezahlen.“ In der Löscher-Zentrale in Hoopte, kaum zwei Steinwürfe von der Elbe entfernt, setzt man so weiter darauf, doch noch auf eine bewährte Mannschaft zurückgreifen zu können.

Vermittlungsplattform kommt nur langsam in Schwung

Denn hinter einem Ersatz deutscher Kräfte stehen gleich mehrere Fragezeichen. Zwar haben das Bundesministerium und die Maschinenringe, die sonst Gerätschaften und Personal für die Landwirtschaft vermitteln, inzwischen unter „www.daslandhilft“ eine Vermittlungsplattform gestartet, um damit Betriebe mit Personalbedarf und Bewerber zusammen zu bringen.

Die Aktion lief jedoch im Landkreis Harburg verhalten an, kommt erst jetzt besser in Schwung. „Wir haben 500 Angebote von Interessierten aus der Region von 40 Kilometer um unseren Standort Buchholz“, sagt Maschinenring-Geschäftsführer Andreas Hastedt. Dazu kommen bislang sieben, auch größere Betriebe, die Arbeiter suchen. Bei Löscher haben sich 70 Interessierte gemeldet, darunter auch das Studentenwerk in Hannover. „Wir sind überwältigt von der Hilfsbereitschaft“, sagt der Fruchthof-Chef.

Angespornt dürfte diese Entwicklung von der großzügigen Regelung von Ministerin Klöckner werden, nach der bis zur Höhe des zuvor erzielten Nettolohns der Verdienst auf den Feldern nicht auf das Kurzarbeitergeld angerechnet wird. Damit wäre es also für die Arbeitswilligen möglich, ihre Einkünfte konstant zu halten. Dafür wäre aber schon wegen der deutlich geringeren Stundenlöhne in der Landwirtschaft ein hoher Einsatz nötig.

Sicherheitshinweise gibt es auf dem Hof auch auf Rumänisch und Polnisch.
Sicherheitshinweise gibt es auf dem Hof auch auf Rumänisch und Polnisch. © Rolf Zamponi

Löscher braucht Leute, die während der Saison sechs Tage arbeiten

Für Löscher ergeben sich bei diesem Modell jedoch mehrere Unsicherheiten. „Erntehelfer arbeiten bei uns während der Saison sechs Tage die Woche jeweils bis zu zehn Stunden. Die Frage ist, ob auch die Bewerber dazu bereit sind?“ Es muss zudem geklärt werden, wie viele Wochen neue Leute bereit stehen und wie sie zu den 35 Feldern der Löschers kommen, wenn sie nicht zentral in den Unterkünften auf dem Hof leben. Außerdem muss sichergestellt werden, dass Mitarbeiter nicht von außen das Coronavirus auf den Hof einschleppen.

Die Bundesregierung hat die Landwirtschaft zwar als systemrelevant anerkannt und damit gesichert, dass weiter gearbeitet werden kann. Das aber wird wenig nützen, wenn sich die Infektionen ausbreiten. Gleichzeitig dürfte es kaum möglich sein, alle Mitarbeiter künftig nur noch in Einzelzimmern einzuquartieren, wie es sich das niedersächsische Sozialministerium wünscht. „Wir haben die Unterkünfte über zehn Jahre aufgebaut. Es gibt drei mit Containern, in denen jeweils zwei Menschen leben und dazu einige separate Wohnungen“, sagt Löscher. Aber es sei schlicht unmöglich, diese Kapazität auf einen Schlag zu verdoppeln.

Bis zur großen Ernte sind noch vier Wochen Zeit

Noch sind drei bis vier Wochen Zeit, bis die Ernte in die entscheidende Phase geht. Stehen bis dahin nicht ausreichend Mitarbeiter bereit, die Folgen wären nicht auszudenken. Erdbeeren, würden unter ihren Tunneln verschimmeln, Spargel auswachsen. Tausende Tonnen eingesäte Pflanzen würden verkommen und die heimischen Betriebe wären ruiniert, weil sie ihre bereits entstandenen Kosten nicht durch Einkünfte decken könnten. „Dann würde wohl für die Kunden Obst und Gemüse importiert und damit den Menschen Nahrungsmittel weggekauft, denen es deutlich schlechter geht als uns“, fürchtet Löscher.