Ehestorf. Trotz Sperrungen am Ehestorfer Heuweg kamen 2019 mehr Besucher als je zuvor – großes Interesse an Nachkriegsstraßenprojekt.

Das Freilichtmuseum am Kiekeberg verzeichnet im ablaufenden Jahr erstmals mehr als 220.000 Gäste. Der Besucherrekord ist bereits wenige Tage vor dem Jahresende sicher. Gleichzeitig wird die Gesamtbesucherzahl einschließlich der Nebenstellen in Wennerstorf, Marxen, Moisburg und Langenrehm in diesem Jahr wieder auf dem Niveau von 2018 liegen, als mit knapp 245.000 Gästen ein Rekord erzielt wurde. „Das geht aus einer Hochrechnung hervor“, sagte Direktor Stefan Zimmermann, der das Museum seit dem 1. November 2017 führt.

Das Ergebnis wurde trotz der Sperrungen am Ehestorfer Heuweg erzielt, die noch bis ins Jahr 2021 andauern werden. „Die Menschen planen für ihre Besuche offensichtlich Alternativrouten ein. Sogar die Zahl der Projekte mit Klassen ist leicht auf 582 gestiegen“, sagte Zimmermann. Der Hamburger Verkehrsverbund (HVV) half mit Direktverbindungen zum Museum.

Straße mit Häusern aus der Nachkriegszeit

Groß ist schon jetzt das Interesse an dem bundesweit einmaligen Projekt Königsberger Straße, bei dem bis 2023 eine Straße mit Häusern aus der Nachkriegszeit aufgebaut wird. Die aus Stade nach Ehestorf transportierte Tankstelle kann inzwischen samt Ausstattung und Zapfsäulen besichtigt werden. Im nachgebauten Siedlungsdoppelhaus soll am 8. Mai, 75 Jahre nach dem Kriegsende, eine Ausstellung zur Geschichte des Landkreises eröffnet werden.

Das aus Winsen stammende Fertighaus wird derzeit im Inneren restauriert. „Wir bauen die damaligen Kinderzimmer originalgetreu wieder auf“, freut sich Zimmermann. Eröffnung soll 2021 sein. Für die halbrunde Ladenzeile vor dem Fertighaus haben jetzt die Erdarbeiten begonnen.

Kiekeberg-Direktor Stefan Zimmermann und kaufmännische Geschäftsführerin Carina Meyer auf der Baustelle für die Königsberger Straße im Museum
Kiekeberg-Direktor Stefan Zimmermann und kaufmännische Geschäftsführerin Carina Meyer auf der Baustelle für die Königsberger Straße im Museum © Rolf Zamponi | Rolf Zamponi

Als nächstes soll im Juni ein kleineres Siedlungshaus in Tostedt abgebaut und nach Ehestorf gebracht werden. „Wir übernehmen das Haus im Januar von der Eigentümerfamilie“, sagt die kaufmännische Geschäftsführerin des Kiekebergs, Carina Meyer. Der Ziegelbau hat zwei Außenwände und wird voraussichtlich mit einer untergelegten Betonplatte angehoben werden müssen. Für die Arbeiten hat der Kiekeberg die Spezialfirma Bennert mit Sitz im Thüringischen Klettbach zwischen Weimar und Erfurt gewonnen.

Alltag im ersten Nachkriegssommer

Den Alltag im ersten Nachkriegssommer sollen zwei Wochen nach der Ausstellungseröffnung, am Sonnabend und Sonntag 23. und 24. Mai, 60 Darsteller im Museum lebendig werden lassen. Besucher werden sich mitten in der Szene wiederfinden. Sie stehen etwa neben einem Arzt, hören eine Bäuerin über die Soldaten schimpfen oder den Fischer, der seine Tochter ermahnt: „Geh nicht raus, man weiß ja nie, bei den vielen Fremden.“ Das Leben der einfachen Menschen soll so deutlich werden. „Wir zeigen, was nicht in den Geschichtsbüchern steht“, sagt Zimmermann.

Die lebendige Geschichte soll jedoch nicht nur die Nachkriegsjahre aufarbeiten und das Projekt Königsberger Straße bekannter machen, sondern dient auch dazu, das gesamte Museum für Besucher und Heide-Touristen attraktiv zu halten. „Wir konkurrieren heute mit Wildparks, Erlebnis- oder neu gestalteten Sportparks sowie mit Touren auf neu angelegten Wanderstrecken“ weiß Zimmermann. „Wir müssen am Ball bleiben.“

Dafür tut sich am Kiekeberg einiges. So sind für die Ausstattung in diesem Jahr allein 50.000 Euro an Fördergeldern über das Amt für Regionale Landesentwicklung in Lüneburg geflossen, noch einmal aufgestockt um weitere 20.000 Euro an Eigenmitteln. Davon entstanden allein neun hölzerne Picknickkombinationen für Familien, elf Eichenbänke sowie Schilder an den Häusern, die die einzelnen Gebäudeensemble beschreiben.

Tastmodell für das gesamte Museumsgelände

Prunkstück ist ein Tastmodell für das gesamte Museumsgelände. Das Modell aus Acrylglas soll vor allem für Menschen mit Sehbehinderungen die Lage der Häuser und Freiflächen begreifbar machen und ihnen helfen, sich zu orientieren.

Die Prismenschrift ist erhaben, zudem ist Blindenschrift mit Punkten angebracht. Alle Häuser sind nummeriert, erklärt und in unterschiedlichen Farben gekennzeichnet. Noch steht das Modell, das das Berliner Tactile Studio gefertigt hat, im Eingangsgebäude. Doch im Frühjahr soll es nach draußen gebracht und nahe dem Gebäude neben einer das Gelände erklärenden Tafel aufgestellt werden.

Trotz solcher Fortschritte: Auch für 2020 hat Geschäftsführerin Meyer einen Folgeantrag gestellt. Dieses Mal geht es um gut 100.000 Euro, die das Amt für Landesentwicklung mit bis zu 70 Prozent fördern könnte. Eine Entscheidung soll im Frühjahr fallen. Geplant sind Tafeln zu den einzelnen Gebäuden, sowohl zu ihrer Baugeschichte als auch zu deren ehemaligen Bewohnern.

Für den Spielplatz sollen neue Geräte her, die Homepage soll ins Englische übersetzt und vor allem barrierefrei werden. Das bedeutet, dass die Navigation vereinfacht, die Schrift vergrößert und so formuliert wird, dass jeder Besucher alles versteht. So sollen alle künftig etwas von Geschichte, Gestalt und Selbstverständnis der Region mitnehmen können.

Zimmermann und Meyer machen nicht halt.

Klar ist: Zimmermann und Meyer machen nicht halt. Die noch bis Ende 2023 mit dem Landkreis Harburg vereinbarten Zuschüsse von knapp 1,98 Millionen Euro jährlich geben ihnen die nötige Sicherheit, das Programm auszuweiten. Dazu gehören Kooperationen mit Landfrauen und Handwerksfirmen, die bei dem Programm „Sonntags im Museum“ Aktionen außerhalb der Ausstellungen anbieten. Für 2020 sind bereits 28 Termine an Sonntagen geplant.

Der im November kurzfristig eingeleitete Schwenk der Kreisverwaltung und der Politik im Kreistag für einen Ausbau der Kunststätte Bossard wird am Kiekeberg dabei mit Wohlwollen betrachtet. Nicht nur, weil das Konzept, für das mehr als zehn Millionen Euro fließen sollen, vom ehemaligen Kiekeberg-Chef Rolf Wiese stammt.

Vielmehr verweist sein Nachfolger Zimmermann darauf, dass mit dem Projekt die „Kulturlandschaft im Landkreis aufgewertet“ wird. Er erwartet dadurch zusätzliche Touristen für die Region. „Alles was den Aufenthalt hier interessanter macht und die kulturelle Arbeit voranbringt“, sagt der Museumschef, „sehen wir positiv.“