Harburg. Das Projekt „Precious Plastic“ recycelt Kunststoff mit einfachsten Mitteln und eröffnet Recyclingwerkstätten für jedermann.
Die Worte „Graswurzelbewegung“ und „Plastik“ wollen im Kopf nicht so richtig zusammenfinden. Und doch sind es die Worte, mit denen man die weltweite Initiative „Precious Plastic“ am Besten beschreiben kann. Ihr Ziel ist es, bei den Menschen ein Bewusstsein für die Wiederverwertung von Wegwerfmaterialien zu schaffen, indem sie einfache Recyclingwerkstätten für jedermann aufbaut und öffnet.
Die Hamburger „Precious Plastic“-Gruppe hat ihre Heimat in Harburg – und sie wurde gerade mit dem Nachhaltigkeitspreis des Bezirks bedacht. Was sie mit dem Preisgeld – immerhin 2500 Euro – anfangen wollen, können die Verwertungsenthusiasten noch nicht sagen. Nicht, weil sie keine Pläne hätten. Sie haben eher zu viele Pläne und müssen sich entscheiden.
Plastikkrümel neigen zum Verkanten
19.30 Uhr im Harburger Binnenhafen: Auf das Gelände von Michael Liebschers Bootslager fällt Schneeregen. Der Werkstattcontainer neben der Halle ist nicht beheizt. Trotzdem stehen die Türen weit offen. Die ersten Recycler sind schon da und arbeiten. Florian Sandvoß und Joschka Schulz füllen Granulat in einen dreieckigen Trichter.
Der sitzt auf einem beheizten Rohr in das das Granulat eigentlich hineinrieseln soll. Tut es aber nicht. Die Plastikkrümel neigen zum Verkanten. Zum besseren Rieseln müsste das Rohr dicker sein. Dann ließe es sich aber nicht mehr so gut beheizen. Das Dilemma wird mit einem Brotmesser gelöst. Damit lockert Joschka Schulz das Material am Trichterboden. Das Rohr füllt sich. Jetzt wird es einige Zeit dauern, bis die Polyäthylenkörner warm und weich genug sind, um weiterverarbeitet zu werden.
Erst im Frühjahr haben sich die ersten Hamburger und Harburger zu der „Precious Plastic“-Gruppe zusammengefunden. Gründungsmitglied John Cuypers hatte die Idee in den Niederlanden aufgeschnappt, woher der Heimfelder PR-Experte eigentlich stammt. Der Designer Dave Hakkens, ein Bekannter Cuypers’, hatte die Bewegung in Eindhoven gestartet.
Seine Idee: Recycling-Maschinen zu konstruieren, die sich mit wenig Aufwand und etwas handwerklichem Geschick überall auf der Welt nachbauen lassen, so dass sich schnell und rund um den Globus Interessierte zusammentun können, um Plastik wiederzuverwerten.
„Energetisches Recycling“ oder auch: Müllverbrennung
Selbstverständlich gibt es industrielles Kunststoffrecycling. Aber nur ein kleiner Teil des Plastikmülls wird tatsächlich wiederverwertet. Schon die Sortierung der verschiedenen Kunststoffsorten erscheint den Recyclingunternehmen nicht wirtschaftlich. Sind gar mehrere Kunststoffarten miteinander verklebt oder auch nur verpresst, wandern die weggeworfenen Teile ins „energetische Recycling“ – ein beschönigendes Wort für Müllverbrennung.
Hakkens’ Idee ist, dass Menschen, die miterleben, wie aus altem Plastik neue Produkte werden, Plastik nicht mehr einfach wegwerfen, sondern als wertvollen – das bedeutet das englische Wort „precious“ – Rohstoff betrachten.
„Das Trennen ist auch für uns ein großer Zeitaufwand“, sagt John Cuypers, „aber wir können uns die Zeit nehmen, denn wir arbeiten ja nicht kommerziell.“
Das Granulat in der Röhre stammt aus dem eigenen Schredder. Das Plastik dafür wird gespendet, manchmal im Vorbeigehen. So hat ein Gruppenmitglied im Schanzenviertel Behälter aufgestellt, in welche Passanten Flaschendeckel werfen können. Da kommen schnell viele zusammen.
„Einhornködel“ nennen die Recycler die bunten Plastikwürste
Langsam ist das Material so weit. Benjamin Sandvoß hängt sich an einen langen Hebel, an dem ein Kolben in das Rohr drückt. Das erste Stück wird einfach so herausgedrückt, um eventuelle Luftblasen herauszubekommen.
„Einhornködel“ nennen die Recycler die bunten Plastikwürste. Dann wird mit einem Wagenheber eine Gussform unter die Auslassdüse gepresst. Enrique Killinger hat sie gefertigt. Hauptberuflich ist er Goldschmied. Aus Plastik fertigen die Harburger Enthusiasten aber zunächst nichts Filigranes: Drei- und sechseckige Kacheln, einfache Seifenhalter. „Wir müssen noch viel experimentieren“, sagt Cuypers.
Trotzdem begeistert das Projekt schon überall, wo es sich präsentiert, ob an der TUHH, auf Mitmachmessen oder bei Schulprojekten. Ein Teil des Preisgeldes soll deshalb in Bildungsmaterialien investiert werden, damit die Recycling-Idee nachhaltig vermittelt werden kann.
Die Form ist jetzt fixiert und Benjamin Sandvoß ist nicht mehr allein am Hebel: Evelina Dineva drückt mit. Das heiße Material wird in die Form injiziert. Die muss nun erkalten. Dann wird sie geöffnet. Aus blauen und weißen Einmalverpackungen ist ein marmorierter Seifenhalter entstanden, aus entsorgtem Plastik ist etwas Wertvolles geworden.