Landkreis Harburg. Warum die KreisVHS bei Deutschkursen kürzer treten muss und was das für die Chancen der Flüchtlinge auf dem Arbeitsmarkt bedeutet.
Afghanistan, Iran, Kreis Harburg. Geflüchtet vor dem Bürgerkrieg in seiner Heimat am Hindukusch, schwer verunglückt bei der Arbeit auf einer Baustelle im Iran und auch in der Hoffnung nach Europa gekommen, dass man ihm hier helfen kann. Farid Mohammadi hat nicht aufgegeben, hat in weniger als einem Jahr zwei Sprachkurse bewältigt, kann sich fließend unterhalten, versteht jedes Wort. „Ein fleißiger Schüler“, sagt seine Lehrerin Barbara Djassemi, die ihn in der Kreisvolkshochschule (KVHS) des Landkreises Harburg 600 Stunden unterrichtet hat. Mohammadis Traum ist es, Erzieher zu werden. Doch für die Ausbildung muss er an einem B2-Kurs (siehe unten) teilnehmen. Eine Hürde, die im Kreis Harburg fast unüberwindlich geworden ist.
Hintergrund ist eine Wende in der Förderung der niedersächsischen Erwachsenenbildung. Stellte das Land als einziges bundesweit seit 2015 bis zu 50 Millionen Euro jährlich für den Spracherwerb von Geflüchteten bereit, so wird der Ansatz für 2020 auf 15 Millionen Euro sinken. „Davon sind aber zehn Millionen Euro größtenteils bereits in diesem Jahr geflossen, so dass für das kommende Jahr nur noch fünf Millionen Euro übrig sind“, sagt KVHS-Leiter Stefan Baumann. Umgerechnet auf den Kreis sinkt der Etat von 880.000 Euro auf 190.000 Euro. „Wir haben uns für mehr Kurse beworben, aber doch nur so viel Geld erhalten wie im Verteilerschlüssel vorgesehen war“, erklärt der KVHS-Chef.
Zahl der Flüchtlinge ist stark zurückgegangen
Das zuständige Wissenschaftsministerium bestätigte am Donnerstag, dass für 2020 noch 15 Millionen Euro im Haushalt eingestellt wurden. Gelder für 2018 seien überwiegend erst in diesem Jahr oder sogar noch bis Mitte 2020 geflossen. Klar ist für das Ministerium jedoch, dass die Zahl neuer Flüchtlinge inzwischen stark zurückgegangen sei und sich auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau eingependelt habe.
„Der Bedarf ist nicht mehr so hoch. Die einzelnen Träger müssen mit den Mitteln auskommen“, sagt Sprecherin Margit Kautenburger. Ob die derzeit eingeplanten Mitteln noch erhöht werden könnten, lässt sich derzeit nicht absehen. „Das liegt auch an der Entwicklung der Zuwanderung und dem Engagement des Bundes durch seine Integrations- und Erstorientierungskurse“, sagt Kautenburger.
Sprachliche Qualifizierung macht den Weg zur Ausbildung frei
„Die Zahl der Kurse sinkt nun von 36 in diesem Jahr auf acht“, sagt Manja Hähnel, die Projektkoordinatorin der KVHS, die mit der Ländlichen Erwachsenenbildung und dem Bildungswerk ver.di zusammenarbeitet. Damit können nur noch rund 100 Plätze besetzt werden. Gerade jetzt, nach drei, vier Jahren in Deutschland, ist die Mehrzahl der Flüchtlinge aber in der Lage, das B2-Sprachniveau anzupeilen. Nur mit dieser umfangreichen Qualifizierung wird der Weg zur Berufsschule für eine Fachausbildung frei.
Potenzielle Bewerber gibt es genug. Denn allein die KVHS hat seit 2015 in insgesamt 65 Anfängerkursen mit bis zu 20 Teilnehmern die ersten Voraussetzungen für den Erwerb der deutschen Sprache geschaffen. Jetzt bleibt die anschließende Förderung für die anschließende Qualifizierung weitgehend aus.
Die Fortsetzung des Landesprogramms ist für den Landkreis Harburg, der selbst 120.000 Euro jährlich für erste Grundkurse bereitstellt, jedoch eine wichtige Forderung. „Die Förderung des Landes muss im bedarfsgerechten Umfang umgesetzt werden“, mahnt Landrat Rainer Rempe (CDU) seinen Parteifreund, Wissenschaftsminister Björn Thümler. Farid Mohammadi ist da längst nicht der einzige, der Bedarf hätte.
Dieser Bedarf wird sich finanziell jedoch nicht befriedigen lassen. Die Konsequenzen sind klar: Die Kurse können nicht mehr durchgängig anschließen. Wissen geht in den Wartezeiten wieder verloren. Wandern Flüchtlinge in Helfer-Jobs ab, können sie schon aus Zeitgründen nicht mehr weiter lernen. Einmal abgehängt, werden sie kaum mehr den Weg in qualifizierte Berufe finden, während überall über den Fachkräftemangel geklagt wird.
Einmal ganz abgesehen davon, dass die Kurse an vier oder fünf Tagen pro Woche jeweils über vier bis fünf Schulstunden den Tag für die Teilnehmer strukturieren und sie damit auch psychisch stützen. „Der stets propagierten Generationenaufgabe Integration geht der Atem aus“, fürchtet Baumann.
Als erste Reaktion wird die KVHS nun ihre Kurse in Winsen, Buchholz und am eigenen Standort in Maschen zentralisieren. Kurse in Salzhausen, Tostedt, Neu Wulmstorf oder Jesteburg fallen künftig weg.
Einziger B2-Kurs in Neu Wulmstorf im Juli ohne Mohammadi begonnen
Damit ergibt sich im Landkreis Harburg das nächste Problem. Auf Grund der großen Entfernungen im ausgedehnten Kreis können Flüchtlinge die jeweiligen Schulungsorte oftmals nicht rechtzeitig erreichen. So hat auch der bislang einzige B2-Kurs in Neu Wulmstorf im Juli ohne Mohammadi begonnen, der im Camp in Ramelsloh wohnt. „Für ihn zu weit“, sagt Projektkoordinatorin Hähnel. Ähnliches dürfte für weitere potenzielle Teilnehmer gelten.
Für den 32-jährigen Afghanen ist die Situation doppelt bitter. Denn nach seinem Arbeitsunfall ist er zu 80 Prozent schwerbehindert, trägt an beiden Beinen Stützschienen (Orthesen). Damit hat er kaum eine Chance, körperliche Arbeit zu übernehmen oder sich als Helfer zu verdingen. Er braucht umso dringend eine Ausbildung und dafür als Voraussetzung den B2-Kurs.
Im Landkreis wäre er als Erzieher gern gesehen. Sie werden in vielen Gemeinden händeringend gesucht.
Deutsch lernen: Was die Stufe B2 bedeutet
Im europäischen Referenzrahmen für Sprachen sind sechs Stufen festgelegt, in denen die zu erlernenden Kompetenzen festgelegt sind. Sie reichen vom unteren Level A1 bis zur kompetenten Sprachverwendung unter C2.
Die Stufe B2 ist für den Einstieg in eine Ausbildung sowie den Berufsschulunterricht notwendig. Nach der Ausbildung für diesen Level sollen die ausländischen Schüler die meisten Sendungen im Fernsehen und Filme verstehen können. Sie sollen sich zudem relativ mühelos an Diskussionen beteiligen und ihre Ansichten vertreten können, Artikel verstehen und in der Lage sein, detaillierte Aufsätze und Berichte über komplexe Sachverhalte zu schreiben.