Neu Wulmstorf. In Fischbek, Neugraben und Neu Wulmstorf wachsen die Neubaugebiete, doch die Ansiedlung von Ärzten hält damit nicht Schritt.

Ob Neu Wulmstorf, Fischbek oder Neugraben: In der Süderelbe-Region boomt der Wohnungsbau. Doch offensichtlich hält die Ärzteversorgung mit dieser Entwicklung nicht mehr Schritt, wie Kommunalpolitiker vor Ort immer wieder beklagen. „Wer hierher zieht, muss seinen Hausarzt schon mitbringen“, sagt Neu Wulmstorfs Bürgermeister Wolf Rosenzweig (SPD), der auch vor Kritik an eigenen Genossen im Rat nicht zurückschreckt, weil die trotz solcher „Infrastrukturprobleme“ immer neue Wohngebiete ausweisen wollten.

Medizinische Versorgungszentren könnten helfen

Aber auch der Allgemeinmediziner Norbert Eckhardt sieht das Problem, das offensichtlich länderübergreifend ist: Eckhardt engagiert sich für die Sozialdemokraten in seinem Wohnort Neu Wulmstorf und plädiert für hausärztliche medizinische Versorgungszentren, die Kommunen wie der Kreis oder auch eine Gemeinde selbst aufbauen könnten, um die Situation zu entspannen. Gleichzeitig hat er auch eine Hausarzt-Praxis in Fischbek, direkt gegenüber vom Neubaugebiet Heidbrook. „Wenn dort ein Kollege eine Praxis aufmachen würde, knallen bei mir die Sektkorken“, sagt Eckhardt. Denn auf der Suche nach einem Hausarzt erlebten vor allem neu zugezogene Bürger eine „Odyssee“, so Eckhardt. „Woche für Woche müssen mein Praxisteam und ich Menschen mit Behandlungswunsch enttäuschen, das tut in der Seele weh.“ Aber mehr als Arbeiten könnten auch Mediziner nicht.

Was die Hintergründe dieser Situation sind und wie man teilweise Abhilfe schaffen könnte – darüber berichtete der Mediziner jetzt bei einer Info-Veranstaltung der Neu Wulmstorfer SPD. Deutlich wurde dabei, dass es bei der Versorgung mit Fach- und Hausärzten klare Unterschiede gibt.

Staatliche Bedarfsplanung an der Realität vorbei

Grundlage bei beiden Gruppen ist eine staatliche Bedarfsplanung, die genau festlegt, wie viele Einwohner in einem Gebiet je nach Altersstruktur auf einen Arzt kommen dürfen. Im Landkreis Harburg liege diese Zahl beispielsweise bei 1634 bis 1667 Einwohnern pro Hausarzt, was „gar nicht schlecht ist“, so Eckhardt. Bei Fachärzten sei es schon anders, für die Niederlassung eines Kinderarztes betrage die vorgegebene Zahl beispielsweise rund 43.000 Einwohner. „Eckhardt: „Diese Planung wurde in den 90er Jahren eingeführt, und zwar als Kostendämpfung und Zulassungsbeschränkung, das muss man so klar sehen.“ Der tatsächlichen Versorgungsnotwendigkeit entspreche eine solche Planung wohl nicht.

Im Landkreis quasi Zulassungssperre für Fachärzte

Denn damit gebe es im Landkreis für alle Fachärzte quasi eine Zulassungssperre – obwohl die Menschen tatsächlich sehr lange auf Termine warten müssten. Hier müsse die Politik auf Änderungen drängen. Anders die Situation bei Hausärzten: Hier würden im Landkreis 26 Praxen derzeit nicht besetzt sein, zusätzlich würden kreisweit gut 50 ältere Allgemeinmediziner ihre Praxen verkaufen wollen, würden aber kaum Nachfolger finden.

Die Kommunen müssen sich engagieren

Grund aus Sicht des Arztes, dessen beide Söhne ebenfalls Mediziner sind oder werden: Die heutige Mediziner-Generation würde eine andere Lebensplanung haben, nicht mehr 30 Jahre lang mehr als 60 Stunden in der eigenen Praxis arbeiten wollen. Weil aber „Anreizsysteme“ wie günstige Grundstücke nicht funktionieren würden, müssten Kommunen selbst hausärztliche Versorgungszentren betreiben, in denen Ärzte angestellt und auch in Teilzeit arbeiten könnten. Ein entsprechender Vorstoß der SPD werde derzeit im Kreistag diskutiert. Eckhardt: „Möglich ist aber auch, dass eine Gemeinde wie Neu Wulmstorf selbst ein solches Zentrum betreibt“. Beispielsweise indem die Gemeinde eine Praxis eines älteren Kollegen übernimmt, wenn der aufhören will.

Zusätzliche Zulassungen für Fischbek

Auch auf der anderen Seite der Landesgrenze ist der Ärztemangel Thema. Besonders in Fischbek, wo tausende neue Wohnungen entstehen, fürchtet man noch mehr Druck auf die bestehenden Praxen. In der Bezirksversammlung Harburg ist das Problem ein Dauerthema, zuletzt am Dienstag. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) betrachtet ganz Hamburg als ein Zulassungsgebiet, in dem es theoretisch genug Arztpraxen gibt. Dass diese sich regional unterschiedlich verteilen und Randlagen-Stadtteile unterversorgt sind, sieht jedoch auch die KV und stellt für Fischbek Sonderzulassungen in Aussicht. Bauentwickler planen auch Praxen. „Wir müssen aber auch Ärzte finden, die hier praktizieren wollen“, sagt die Harburger Sozialpolitikerin Claudia Loss (SPD).