Für das Projekt Königsberger Straße im Freilichtmuseum am Kiekeberg wurde ein komplettes Fertighaus per Lkw zum Museum gebracht.
Das zweite historische Haus des Projektes Königsberger Straße hat im Freilichtmuseum am Kiekeberg seinen neuen Platz gefunden. Nach einer 6,5 stündigen Sonderfahrt mit drei Tiefladern, einem Pulk von Begleitfahrzeugen und der Polizei traf der Transport am Mittwoch um 4.35 Uhr auf dem Museumsgelände in Ehestorf ein. „Das Haus hängt schon wieder am Kran“, sagte Kiekeberg-Sprecherin Marion Junker am Vormittag. Der Kran hebt das 40 Tonen schwere Haus auf den vom Museum vorbereiteten Keller. Den mussten auch die Kunden von Quelle in den 1960er und 1970er Jahren selbst erstellen. Bis zum Abend soll das Fertighaus wieder fertig sein – mit Dach, Außen- und Kellertreppe, die auf zwei der drei Lkw verladen waren.
Königsberger Straße zeigt die Welt im Nachkriegsdeutschland
Das Haus vom Versandhaus Quelle gehört zu den sechs Gebäuden, mit denen das Museum in dem bundesweit einmaligen Projekt Königsberger Straße die Nachkriegszeit bis in die 1970er-Jahre hinein nachstellen will. Das Projekt wird von zwölf Förderern mit 6,14 Millionen Euro unterstützt. Allein der Bund gibt 3,84 Millionen Euro, das Land 600.000 Euro. Alle Anlagen nebst Straßenlaternen, Litfaßsäulen und Telefonzellen sollen im Frühjahr 2023 fertig sein.
40 Tonnen hängen am Haken des Krans
Rückblende. Es ist Dienstagmittag. Die Sonne brennt auf das Grundstück in der Winsener Mozartstraße. Genau um 12.51 Uhr geht ein erster Ruck durch das Fertighaus, das jetzt von seinem Keller getrennt ist. Kranführer Johannes Hilz zieht die orangeummantelten Kunstfaser-Hebebänder an, mit denen er das Fertighaus nach oben heben will. Eine Last von 40 Tonnen. Aber die sechsköpfige Mannschaft von Bauleiter Gregor Paesch, der das Team vom Translozierer Jako aus Baden-Württemberg leitet, ist noch nicht ganz fertig. Es wird nachgemessen, Ketten werden festgezogen und es wird immer wieder nachgesehen, ob alles sitzt. Es dauert noch bis 13.20 Uhr bis der Kran das Haus die ersten Zentimeter nach oben zieht.
Unter die 17 Querträger, auf den das haus steht, haben die Experten der Jako Baudenkmalpflege zwei 17,50 Meter lange Streben montiert, die mit Ösen versehen sind. Daran kann das Team von Hilz Arbeitgeber Hüttemann Krandienst mit Stammsitz in Wildeshausen die Hebebänder befestigen. Hilz zieht die Last sicher nach oben und setzt sie um 13.46 Uhr sanft auf den Tieflader.
Originalbauten haben „einen hohen ideellen Wert“
Jako mit Sitz in Rot an der Rot hat schon die gerade erst vom Museum präsentierte Tankstelle in Stade ab- und wieder aufgebaut, der Krandienst sie ins Museum gebracht. Jako mit 100 Mitarbeitern und einem Umsatz von zuletzt zwölf Millionen Euro gilt als bundesweiter Marktführer für Projekte, bei denen alte Gebäude gesichert und an einen neuen Standort transportiert werden.
Solche Originalbauten haben für das Kiekeberg Museum einen „hohen ideellen Wert“, wie Architektin Theda Pahl sagt, die Leiterin der Abteilung Handwerk des Museums. „Mit diesen Häusern erzählen wir nicht nur ihre Geschichten, sondern auch die der Bewohner.“
Ehemalige Besitzer übertragen das Haus dem Kiekeberg
Zu diesen Geschichten gehört beim Quelle-Haus die Freundschaft des 2008 verstorbenen Käufers Walter Gröll mit dem ehemaligen Kiekeberg-Museumsdirektor Rolf Wiese. Den beiden gelang der erste Abschluss zur Übernahme eines Hauses für die Königsberger Straße. Es wird im Museum zeitgeschichtlich den Abschluss der Nachkriegsepoche bilden. Die drei Söhne des Ehepaars Gröll übertragen das Haus an das Museum, ohne dass Geld fließt. Sie stellten zudem die Inneneinrichtung und alte Unterlagen bereit. „Es handelt sich um Schriftstücke wie Mappen, die mein Vater über Feiern, Urlaube, Ausflüge und das Arbeitsleben in den 70er-Jahren angelegt hat. Zudem hat mein Vater viel über die Heide und Heimatthemen geschrieben“, sagte am Dienstag Ronald Gröll, der sich den Abtransport des ehemaligen Familiensitzes in der Winsener Innenstadt mit ansah. „So können wir die Wohn- und Arbeitskultur der Zeit gut vermitteln“, sagte Alexander Eggert, der Leiter der Abteilung Volkskunde des Museums.
In das 1966 als Musterhaus entstandene Gebäude zogen Gisela und Walter Gröll 1968 mit ihren Söhnen Ronald (damals neun Jahre), Christian (sieben Jahre) und Matthias (sechs Jahre) ein. Es war 1966 als Musterhaus von Quelle gebaut worden. „Da haben sich meine Eltern was getraut“, hatte Matthias Gröll, heute 56, zuletzt bilanziert.
Fertighäusern lasteten früher Vorurteile an
Denn Fertighäuser erlebten in der Nachkriegszeit, insbesondere von 1969 bis 1973, zwar eine Boom-Phase. In der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg lasteten ihnen jedoch Makel und Vorurteile an: Diverse Baumängel und eine negative Berichte hätten die Ablehnung geschürt, hat das Museum recherchiert. Eine grundsätzliche Skepsis gegenüber neuen Bauformen gilt zudem als Grund für die Zurückhaltung von Bauherren.
„In Ländern wie den USA oder Skandinavien gab es eine lange Tradition von Fertighäusern. Sie hatten einen guten Ruf und einen hohen Komfort. In West-Deutschland jedoch gab es nach dem Zweiten Weltkrieg jedoch einen ‚Barackenkomplex’“, hatte Museumsdirektor Stefan Zimmermann weitere Hintergründe erläutert. Viele Behelfsunterkünfte waren aus Fertigteilen in schlechter Qualität gebaut und nur spärlich ausgestattet, hielten der Witterung nur notdürftig stand und bedeuteten für die Bewohner einen zusätzlichen Makel.“ Die Quelle-Fertighäuser waren jedoch günstig, schnell zu errichten und auf die Bedürfnisse von Familien zugeschnitten.
„Es war hellhörig, hat uns aber gefallen“
„Das neue Material, die unkonventionelle Architektur und die außergewöhnliche Lage – damals in der Umgebung von halbverwilderte Schrebergärten – alles lag im Dornröschenschlaf, als wir hier einzogen,“ erinnerte sich Matthias Gröll. Das Haus stand stadtnah und doch ruhig, Schule und Bahnhof lagen nah, so dass Vater und Söhne einen kurzen Weg zur Arbeit in Hamburg und zur Schule hatten.
„Es war für uns in Ordnung nach der Zeit in der Wohnung in einem Fachwerkhaus in Stöckte nun in einer Kleinstadt zu leben. Es war zwar hellhörig, aber es hat uns gefallen“, sagte Ronald Gröll am Dienstag. Heute lebt der zuvor selbstständige Tischlermeister in Neustadt in Holstein. Das Grundstück an der Mozartstraße steht zum Verkauf.
Eröffnung ist erst in zwei Jahren
Das Museum am Kiekeberg will mit dem Fertighaus die 1970er-Jahren aufleben lassen. „Interviews und Archivalien zeigen uns Wertvorstellungen und die Familienorganisation, wir erhalten eine dichte Beschreibung vom Leben“, sagt Eggert, der zur Projektleitung der Königsberger Straße gehört.
Nach dem Zusammenbau rechnen die Experten von Jako Baudenkmalpflege mit zwei Monaten für die Restaurierung. „Wir wollen den Garten genauso anlegen wie das Ehepaar Gröll und die Innenausstattung so herrichten wie die Familie sie genutzt hat“, sagt Kiekeberg-Sprecherin Junker. Deshalb wird es bis zur Eröffnung für Besucher bis zum Sommer 2021 dauern.