Harburg/Fleestedt. Gleich ob in Fleestedt oder Neugraben – die kleineren Wochenmärkte schrumpfen, häufig fehlt der Nachwuchs an den Ständen.

„Man muss schon ein bisschen verrückt sein, um heutzutage auf dem Wochenmarkt zu arbeiten“, sagt Sven Wegener, der an seinem Stand auf dem Neugrabener Markt ein buntes Allerlei an frischem Obst anbietet. Über seine Theke gehen Aprikosen, Erdbeeren und Johannisbeeren, aber auch Orangen, Zitronen und Kiwis. Ebenfalls auf seiner Palette sind Äpfel vom eigenen Hof im Alten Land. Wegener ist einer der zwei Marktbeschicker, die in ihren Dreißigern sind. Alle anderen hier sind fünfzig und älter.

30 Stände sind in Neugraben derzeit zu finden

Zu seiner besten Zeit hatte der Neugrabener Markt über sechzig Stände, jetzt ist davon nur gut die Hälfte übrig. Noch findet hier jeder, was er braucht: Fisch- und Fleischwaren, Milchprodukte, Obst und Gemüse, Eier, Blumen und sogar einen Imbiss. Relativ neu sind die vielen Textilhändler, die jetzt das Bild des Marktes prägen. An ihren Ständen werden einfache Kleider, Portemonnaies und Handtaschen verkauft. „Früher haben wir diese fliegenden Händler mit ihrem Plunder weggeschickt, weil es auf dem Markt schlicht keinen Platz mehr gab“, sagt Marktmeister Reinhard Schöbel. „Jetzt können wir froh sein, wenn die kommen.“

Holger Kälin verkauft in Fleestedt Fischwaren.
Holger Kälin verkauft in Fleestedt Fischwaren. © HA | Victor Meuche

Wochenmärkte haben zu kämpfen

Neugraben ist kein Einzelfall, in ganz Hamburg haben Wochenmärkte zu kämpfen. Auf der Veddel und in Borgfelde etwa mussten Märkte schon schließen. „Es fehlt der Nachwuchs“, sagt Wilfried Thal. Er ist Präsident des Hamburger Landesverbandes des Ambulanten Gewerbes und der Schausteller, der die Interessen von Marktbeschickern vertritt. „Junge Leute halten bei der Berufswahl heutzutage Ausschau nach guten Verdienstmöglichkeiten und Sicherheit“, sagt er. „Da ist der Wochenmarkt nicht attraktiv genug.“

Hohes berufliches Risiko

Von beruflichem Risiko auf dem Wochenmarkt kann Hartmut Diercks ein Lied singen. Er weiß genau, dass man als Händler sein Glück herausfordern muss. Diercks verkauft in Neugraben, wie auch Markt-Nachbar Sven Wegener, Obst vom eigenen Hof – fiel aber aus gesundheitlichen Gründen einmal für ganze vier Jahre aus. „In dieser Zeit hat meine Familie den Stand am Laufen gehalten, sonst wär Feierabend gewesen“, sagt er. „Hier auf dem Wochenmarkt kannst du dir keinen gelben Schein holen und dann drei Wochen zu Hause bleiben.“

In ein paar Jahren will Diercks sich zur Ruhe setzen, sein Sohn will den Betrieb weiterführen. Das sei die Regel: „Quereinsteiger gibt es nicht, man wird in den Wochenmarkt hineingeboren.“ Mittlerweile komme es aber immer seltener vor, dass Kinder von Marktbeschickern die Nachfolge der Eltern antreten.

Steve Buth bietet in Neugraben Blumen an, die er auf dem Großmarkt ankauft.
Steve Buth bietet in Neugraben Blumen an, die er auf dem Großmarkt ankauft. © HA | Victor Meuche

Wenn die Qualität fehlt, bleiben auch die Kunden weg

Steve Buth gehört zu den wenigen, an die das Unternehmen von der Familie weitergegeben wurde. Er bietet an seinem Stand in Neugraben Blumen an, die er auf dem Großmarkt ankauft. Buth ist neben Sven Wegener das zweite Mitglied des Clubs der unter Vierzigjährigen. Er findet, das Verschwinden der Stände sei ein Teufelskreis: „Wenn wir gute Händler und ein gutes Angebot haben auf dem Wochenmarkt, zieht das auch Kunden an“, sagt er. „Wenn es das nicht gibt, bleibt die Kundschaft weg.“ Das wiederum führe zum Einbruch der Umsätze. „Und dann ziehen die nächsten Händler ab, weil es sich woanders mehr lohnt.“

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Unmittelbar neben dem Neugrabener Markt erstreckt sich ein riesiges Einkaufszentrum, im Inneren befindet sich auch eine große Discounter-Filiale. Für Marktmeister Reinhard Schöbel ist das auch Teil des Problems. „Die jungen Leute gehen zu dem Discounter, weil der billiger ist als der Wochenmarkt“, sagt er. „Aber alle haben das neueste iPhone.“ Die Qualität der Wochenmarkt-Ware wüsste die nachwachsende Generation oft nicht mehr zu schätzen.

Baustelle verdrängte den Wochenmarkt über Monate

Auch in Fleestedt wurde vor knapp einem Monat der Bau eines neuen Discounters fertiggestellt. Und auch hier machte die neue Kaufhalle dem Wochenmarkt zu schaffen. Aber nicht in erster Linie wegen der neuen Konkurrenz, sondern weil der Markt wegen der großen Baustelle zeitweise gar nicht erst stattfinden konnte. Von den ehemals acht Ständen sind in Fleestedt noch drei geblieben. „Unser Schlachter ist vor einem Jahr plötzlich und unerwartet gestorben, die Lücke konnten wir bis jetzt noch nicht füllen“, sagt Uwe Kautz, der in dem Ort Marktmeister ist. Jetzt gibt es noch einen Fisch-, einen Blumen- und einen Gemüsehändler. Die sind dafür aber auch gut besucht: Im Minutentakt kommen Kunden an die Stände, lassen sich von den Beschickern beraten, unterhalten sich freundlich.

Hanna Benitt verkauft in Fleestedt seit 27 Jahren Gemüse.
Hanna Benitt verkauft in Fleestedt seit 27 Jahren Gemüse. © HA | Victor Meuche

Marktleute sind wie eine große Familie

Es ist genau diese Herzlichkeit, wegen der auch Hartmut Diercks aus Neugraben nie etwas anderes machen will: „Man kennt sich untereinander“, sagt er. „Es ist wie eine Familie, das ist eben das Schöne am Wochenmarkt.“

Vielleicht war davon auch der Geschäftsführer des neuen Fleestedter Discounters angetan, denn der machte Uwe Kautz nach langen Verhandlungen ein Zugeständnis: Auf der großen Werbetafel der Kette, die an der Hauptstraße des Ortes auf den Supermarkt aufmerksam macht, wird in Zukunft nun auch der Wochenmarkt beworben – ein Lichtblick für Kautz. In der Nähe von Neugraben entstehen zurzeit Siedlungen, in die viele Familien mit Kindern ziehen sollen. Das lässt auch Marktmeister Schöbel wieder auf einen größeren Zulauf hoffen.