Buchholz. Mehr Geburten und wachsende Einwohnerzahlen sorgen für Engpässe. Zusätzliche Gruppen sollen Entlastung bringen

Als Kai und Nina Beyer (Namen geändert) im November vergangenen Jahres von St. Pauli nach Buchholz zogen, hätte das Elternpaar nie gedacht, dass es kurze Zeit später davor stehen würden, Klage gegen den Landkreis einzureichen. Die beiden hatten sich auf das beschauliche Leben in der Kleinstadt gefreut, darauf, berufliche Aufgaben und Familie ohne Probleme miteinander zu vereinbaren. Doch dann begann die Suche nach einem Kita-Platz für ihren vierjährigen Sohn. Ohne Erfolg. Auf jede Anfrage gab es eine Absage. „Die Stadt hat uns einen Betreuungsplatz für August 2020 in Aussicht gestellt“, sagt Nina Beyer. „Dann wird unser Sohn fünfeinhalb Jahre alt sein.“ Den Eltern bleibt jetzt nur die Möglichkeit, einen Kitaplatz einzuklagen.

Ihnen geht es wie vielen anderen Eltern in Buchholz, die für ihren Nachwuchs einen Platz in der Kita suchen. Die Einrichtungen sind voll. Jüngsten Informationen der Stadtverwaltung zufolge fehlen der größten Stadt des Landkreises ab August etwa 54 Krippen- und 61 Plätze im Elementarbereich für Kinder von drei bis sechs Jahren. Und die Situation wird sich im Laufe des Jahres weiter verschärfen. Bettina Heimhalt, Leiterin des Fachdienstes Familie und Kinder rechnet mit einer weiteren steigenden Nachfrage. So werden sich die Wartelisten im Laufe des neuen Kindergartenjahres voraussichtlich nochmals um 78 Krippen- und 61 Anmeldungen für den Elementarbereich erweitern. Und dass, obwohl die Stadt in den vergangenen Jahren rund 200 Krippen- und mehr als 100 Kindergartenplätze geschaffen hat. Aktuell stehen insgesamt 1698 Betreuungsplätze zur Verfügung. Und dennoch gibt es Wartelisten.

Immer auf die Kleinen? In Berlin hat das Ringen um Kita-Plätze schon zu Demonstrationen geführt.
Immer auf die Kleinen? In Berlin hat das Ringen um Kita-Plätze schon zu Demonstrationen geführt. © Reto Klar

Die Ursachen für die Knappheit an Kitaplätzen sind vielfältig. „Buchholz ist ein attraktiver Wohnort“, sagt Dirk Hirsch, Erster Stadtrat der Kommune. So ist die Stadt in den vergangenen sechs Jahren – nach eigener Zählung – von 39 664 (Stand 31.12.2012) auf 41 666 Einwohner (Stand 31.12.2018) gewachsen, ein Plus von 2002 Menschen. Auch die Geburtenrate hat spürbar angezogen. Beide Trends sind ungebrochen. „Wir leben in mehrfacher Hinsicht in einer Wachstumsregion“, so Hirsch. Auch die niedrige Arbeitslosenquote habe Auswirkungen auf die Nachfrage nach Betreuungsplätzen. Der Fachkräftemangel in vielen Branchen führe dazu, dass Eltern ihre Elternzeit verkürzen und schneller in den Beruf zurückkehren. „Und dann brauchen sie Betreuungsplätze für ihre Kinder“, so Hirsch. Die Befreiung von den Kindergartengebühren trage außerdem zu einer steigenden Nachfrage nach Ganztagsplätzen bei, wie Bettina Heimhalt festgestellt hat.

Geburtenrate und Zuzüge steigen ungebrochen

Hinzu kommt, dass der Einschulungstermin für Kinder, die in der Zeit vom 1. Juli bis zum 30. September das sechste Lebensjahr vollenden, zum Schuljahr 2018/19 flexibilisiert worden ist. Die Folge: Zahlreiche Kindergartenplätze können ein Jahr länger belegt werden, wenn sich die Eltern gegen die Einschulung entscheiden und diese ein Jahr nach hinten stellen. Ihr Rechtsanspruch auf einen Kindergartenplatz verlängert sich dann automatisch um zwölf Monate. In Folge dessen werden in Buchholz 51 Kinder - und damit fast fünf Mal so viele im Durchschnitt der Vorjahre - ein Jahr länger ihren Kindergarten besuchen. Diese Plätze fehlen für die Nachrücker.

Rechtsanspruch

Seit August 2013 hat jedes Kind ab dem Alter von einem Jahr einen Rechtsanspruch auf einen öffentlich geförderten Betreuungsplatz in einer Kinderkrippe beziehungsweise Kindertageseinrichtung.

Kommt die Kommune dem Auftrag nicht nach, können Eltern einen Platz einklagen oder Kosten geltend machen. Schon während der Schwangerschaft sollten Eltern sich über künftige Betreuungsmöglichkeiten schlau machen und ihre Bemühungen dokumentieren.

Kann Stadt oder Gemeinde keine Kita in unmittelbarer Nähe anbieten, müssen auch lange Wege - rund 30 Minuten pro Wegstrecke - in Kauf genommen werden. Erst mit einer Absage von Stadt oder Jugendamt auf den geforderten Platz haben Eltern die Möglichkeit, gerichtlich vorzugehen.

Die Kosten für eine solche Klage werden von der Stadt oder Gemeinde getragen. Wenn Betroffene den Kita-Platz ohne Anwalt einklagen, kommen keine Kosten auf sie zu. Sollten sie einen Anwalt damit beauftragen, müssen sie diese Kosten mit einkalkulieren, die sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz richten. Die Kosten unterscheiden sich je nach Streitwert.

Die angespannte Situation in Buchholz ist keine Ausnahme. Bundesweit klagen Eltern über ihre verzweifelte Suche nach einem Betreuungsplatz für ihren Nachwuchs. Denn in den vergangenen Jahren haben die Kommunen viel zu wenig neue Kitas geschaffen. Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft fehlen in Deutschland fast 300.000 Plätze für Kinder unter drei Jahren. Hinzu kommt der Erziehermangel. Wie die Bertelsmann-Stiftung ausgerechnet hat, fehlen bundesweit 107.000 Erzieher. Auch Stadtrat Dirk Hirsch bestätigt dass das Fachkräfteproblem nach wie vor ungelöst ist. Einer repräsentativen Befragung des Verbandes für Bildung und Erziehung vom März dieses Jahres zufolge, herrsche in den Kindergärten bundesweit Personalnot, so Hirsch. „Der Arbeitsmarkt ist regelrecht leergefegt.“ Zusätzlich verschärft werde die Situation durch die Lage am Ausbildungsmarkt. Dort gebe es einen regelrechten Wettbewerb um die besten Köpfe. Vor diesem Hintergrund liege auf der Hand, dass die mehrjährige unbezahlte schulische Ausbildung zum Erzieher beziehungsweise Sozialpädagogischen Assistenten wenig attraktiv sei. „Leider ist das Land Niedersachsen trotz Ankündigung auf diesem Gebiet noch nicht ausreichend tätig geworden“, kritisiert Hirsch.

Kindern werden wertvolle Erfahrungen verwehrt

Die Leidtragenden sind die Eltern und Kinder. Frauen, die wegen des Kindes nicht arbeiten gehen können, die beruflich zurückstecken müssen, weil die Kinderbetreuung an ihnen hängen bleibt. Und kleine Mädchen und Jungs, denen wertvolle Erfahrungen und Entwicklungsmöglichkeiten verwehrt werden. Denn jedes zusätzliche Kitajahr beeinflusst die Persönlichkeitseigenschaften positiv, wie Forscherinnen und Forscher des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung herausgefunden haben.

Um die Situation in Buchholz kurzfristig zu entlasten, will die Stadt zusätzliche Nachmittags- und Ganztagsgruppen einrichten. „Wir arbeiten derzeit intensiv an einer Lösung“, heißt es aus dem Rathaus. „Bis zum Herbst könnten so etwa 70 weitere Betreuungsplätze entstehen“, sagt Stadtrat Dirk Hirsch. Gleichwohl lasse sich das Platzproblem kurzfristig in Gänze nicht lösen. „Wir würden gerne morgen drei neue Kitas eröffnen, aber Neubauten brauchen - zumal während einer starken Baukonjunktur - Zeit.“

„Inzwischen sind beim Landkreis mehrere Klagen betroffener Eltern eingegangen, von denen aktuell noch zwei anhängig sind“, sagt Landkreissprecherin Katja Bendig. Familie Beyer hofft darauf, dass sich die Situation für sie doch noch zum Guten wendet. „Wir haben an das Familienbüro der Stadt Buchholz geschrieben und gebeten, auf die Wartelisten aller Kitas gesetzt zu werden. Und wir wollen einen rechtsfähigen Bescheid haben, wann das Verfahren beendet sein wird, sonst werden wir beim Verwaltungsgericht Klage wegen Untätigkeit einreichen.“ Für die Mutter, die im März ihr zweites Kind bekommen hat, rennt unterdessen die Zeit weg. „In einem Jahr muss ich an meinen Arbeitsplatz zurückkehren“, sagt sie. Wenn sie bis dahin keinen Betreuungsplatz für ihre Kinder gefunden hat, muss die Stadt für den Verdienstausfall haften.

Bei der Stadt, die schon heute rund elf Millionen Euro pro Jahr für ihre Krippen und Kindergärten ausgibt, laufen unterdessen die Planungen für den Bau weiterer Kindergärten auf Hochtouren. Danach sollen im kommenden Jahr knapp 90 Krippen- und rund 70 Elementarplätze neu geschaffen werden. Für 2021 steht der Bau einer Kita mit weiteren 120 Plätzen auf der Agenda.

Rosengarten

In der Gemeinde Rosengarten gibt es acht Kitas und einen Waldkindergarten. Es fehlen aktuell 20 Elementar- und 45 Krippenplätze. Bürgermeister Dirk Seidler rechnet mit steigendem Bedarf.

In Nenndorf wird derzeit eine neue Kita gebaut, die Anfang 2020 eröffnen soll. Dort können 25 Elementar und 30 Krippenkinder betreut werden.

Im Haushaltsplan für 2020/21 soll daher Geld für den Bau einer weiteren Kita zur Verfügung gestellt werden. Sie könnte möglicherweise auf einem gemeindeeigenen Grundstück in Tötensen entstehen.

Aufgrund der Beitragsfreiheit, die seit Mitte 2018 gilt, werden sich die Ausgaben für Kitas in der Kommune im laufenden Jahr von 1,9 Millionen Euro (Stand 2017) um zirka eine halbe Million Euro erhöhen.

Um die Mehrausgaben decken zu können, muss die Gemeinde bei der Unterhaltung von Straßen und Landschaft sparen.